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Buchtipp: Trish Deseines Küche des Wohlbefindens

Gesundheit

Seit über zwanzig Jahren schreibe ich Kochbücher, und vor wenigen Wochen erschien in Frankreich mein neuestes Buch – »Un Déjeuner à La Campagne« –, das sich mit der traditionellen französischen Landküche und der Mittagsverpflegung beschäftigt.

Essen als Quelle der Gesundheit

Außerdem werde ich 60 Jahre alt. Nennen Sie es Aberglaube, wenn Sie wollen, aber ich bin im chinesischen Zeichen des hölzernen Drachens geboren, und da sich 2024 ein weiterer Zwölfjahreszyklus dieses Tierkreises vollendet, der den Beginn des »dritten Akts« meines Lebens einläutet, habe ich das Gefühl, dass es ein Jahr der großen Transformation sein wird. Ich hoffe auch, dass es ein weiteres Jahr des guten Essens sein wird und gleichzeitig eine Beschleunigung meiner Reise zu mehr Gesundheit und Stärke – körperlich wie emotional.

Essen als Artefakt der Sozialisierung

Heute blicke ich auf mein Leben – das sich wie ein Wimpernschlag anfühlt – und auf etwa fünfundsechzig­tausend Mahlzeiten zurück, die ich wohl bisher gegessen habe; wie den meisten von uns wurde mir mein Essen so ziemlich aufgezwungen, bis ich mein Zuhause verließ, um zur Universität zu gehen. Meine Familie, meine Schule und meine nationale Kultur bildeten den Grundstein dafür, wie und was ich essen würde, wenn ich sie verlassen hatte.

DIY Küche

Seitdem habe ich viele Küchen kennengelernt und theo­retisch die Kontrolle über meine Entscheidungen übernommen, auch wenn ich nicht alles, was ich esse, selbst gekocht habe. Dennoch enthält jede Mahlzeit eine winzige Spur der Art und Weise, wie mein Gaumen als Kind in Irland geformt wurde – und das ist auch heute noch so. Es sind diese Speisen, ihre Texturen und extremen Gewürze – die weichen Kartoffeln, das reichhaltig geschmorte Fleisch, das dick mit Butter bestrichene Brot, die cremigen Puddings, die supersüßen Kuchen mit salziger Buttercreme und die bissfesten Blechkuchen –, die so viele Jahre lang meine Vorstellung von Wohlfühlessen ausmachten. Es waren diese Empfindungen und Geschmäcker, eine vertraute Umarmung meiner Sinne, die mich mit flüchtigen Momenten der Zufriedenheit und Sicherheit in der Kindheit verbanden, nach denen sich mein Geist bewusst oder unbewusst sehnte. Aber wie die meisten Sechzigjährigen, die nicht das sportlichste Leben geführt haben, wird mir mit den Jahren immer bewusster, dass ich mich um meinen Körper und meinen Geist kümmern muss. Zu viele schnell zubereitete Komfortgerichte werden mir auf Dauer nicht guttun. Wie die meisten Frauen in meinem Alter haben mich die gesellschaftlichen Normen jahrzehntelang dazu gezwungen, Diät zu halten, zu fasten, besessen zu sein und beurteilt zu werden, was ich esse, wie ich es esse und wie es sich auf meine Körperform auswirkt, und jetzt werden wir mit der Medikalisierung des Essens bombardiert.

Bistro-Essen liegt wieder im Trend. In diesem Buch werden herrlich simple französische Rezepte wieder zum Leben erweckt: »Un Déjeuner à la Campagne - Rezepte für alle Saisonen«, Trish Deseine, Verlag Hachette Cuisine, um € 35,–

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Essen jenseits von Moden und Zeitgeist

Aber als sechzigjährige Frau – die von wechselnden Diktaten schikaniert, von einem sich ständig ändernden Zeitgeist der Ernährung beurteilt und gezwungen wird, sich mit den Auswirkungen von »Bequemlichkeit« und emotionalem Essen auf meinen Geist und Körper auseinanderzusetzen – habe ich endlich einen Weg durch den Dschungel gefunden. Denn mit dem Alter und fünfundsechzigtausend Mahlzeiten kommt eine tiefe, köstliche, befreiende Selbstwahrnehmung. Und dank dieser neuen Superkraft kann ich, wenn ich einkaufen gehe, mir etwas auf dem Teller ansehe oder eine Speisekarte (abgesehen von der poetischen Technik der Haute Cuisine) lese, innerhalb einer Millisekunde vorspulen und mir vorstellen, wie ich mich dabei und danach fühlen werde, einschließlich ethischer und ökologischer Überlegungen. Kein Gericht ist verboten und wird es auch nie sein. Stattdessen werde ich vielleicht einmal im Monat Fleisch kochen, aber nur das Beste, was ich finden kann. Ich werde geduldig warten, bis Erdbeeren, Tomaten und Melonen richtig Saison haben. Ich werde dafür sorgen, dass günstige Zutaten wie Mehl, Milchprodukte, Brot und Gemüse vom nächstgelegenen Bauern kommen, auch wenn sie ein Vermögen kosten. Jetzt gerade schaue ich auf einen bescheidenen Teller mit grünen Bohnen und wünsche mir nicht mehr, es wären Berge von irischen Kartoffeln, die mit Butter bestrichen sind, sondern ich kann mich darauf freuen, wie sehr mein Körper sie genießen und von ihnen profitieren wird. Ich weiß, dass der reichhaltige Kuchen, den ich für meine Freund:innen backen werde, ein echter Leckerbissen ist, den man gelegentlich mit ihnen teilt, und nicht ein ständiges Grundnahrungsmittel, das man täglich verzehrt wie in Irland. Ich finde es unmöglich, die Chemikalien zu übersehen, die in so vielen stark verarbeiteten und schnellen Lebensmitteln enthalten sind. Wenn ich mir einen Big Mac ansehe, sehe ich vor allem Gift, und heutzutage mag ich mich zu sehr, um das in meinen Körper zu stecken. Die flüchtigen Momente des perfekten Mundgefühls – Salz, Zucker, Fett – sind nicht länger ein Weg, um angenehme, beruhigende ­Emotionen hervorzurufen. Stattdessen haben sie den gegenteiligen Effekt. Diese tiefere zerebrale Verbindung hat langsam die viszerale – oft neurotische, ­seien wir ehrlich – verdrängt und mir ein persönliches Lexikon gegeben, dass das Geschwätz von glibberigen Chiasamen, kalt gepressten grünen Säften und Kimchi und Co glücklicherweise umgeht und zu meiner eigenen, persön­lichen, echten Freude am Essen führt. Mit geliebten Menschen geteilt, intuitiv, ohne Rücksicht auf Modeerscheinungen und auf allen Ebenen nahrhaft.

Erschienen in
Happy Life 01/2024

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Trish Deseine
Koch
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