Erwin Steinhauer ist schnell am Punkt: „Ich habe dieses Stück gelesen und war platt. Ich habe gesagt, das ist das Beste, was ich von Peter (Turrini, Anm. d. Red.) jemals gelesen habe. Es ist poetisch, es ist humorvoll, es ist politisch und politisch inkorrekt, es ist dramatisch.“ Steinhauer schaut kurz auf, ob wir ihm eh noch folgen, lächelt und spricht weiter: „Dieses Werk schreit nicht nach einer großen Inszenierung, es ist die pure Macht des gesprochenen Wortes, und diesem Wort muss man Raum geben – Platz geben zum Nachdenken. Du musst dem Publikum die Chance geben, einzusteigen und dabei zu sein. Es ist kein Schwarz-Weiß-Stück, es ist nicht einer nur böse und der andere nur gut. Das ist die große Qualität.“

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Darum geht’s

„Bis nächsten Freitag“ heißt das Stück, und Peter Turrini hat es für die beiden Publikumslieblinge Föttinger und Steinhauer maßgeschneidert. Beschäftigt man sich mit dem Text, dann hat man bei jedem Satz, den man liest, die jeweilige Schauspielerstimme sofort im Ohr; so gerade, ohne jegliches Fett ist er geschrieben.

Um was es geht? Herr Steinhauer, bitte erzählen Sie es uns.

„Zwei Männer – jenseits der sechzig – haben einen großen Teil ihrer Jugend miteinander verbracht und sich dann verloren. Sie treffen sich nach langer, langer Zeit in einem Wirtshaus an der tschechischen Grenze wieder und entdecken, dass sie beide mit der Welt, die sie umgibt, nicht mehr viel anfangen, dass sie unwichtig werden. Der eine, Föttinger, leidet darunter, dass er Dozent ist und noch immer nicht Professor. Ich als Buchhändler leide darunter, dass die Menschen keine Buchhandlungen mehr brauchen. Es sind zwei Menschen, die mit ihrer Umgebung nicht mehr viel anfangen können.“

Die österreichische Innenpolitik ist nichts für erwachsene Menschen.

Der Dozent ist in der Corona-Zeit nach rechts und in die Welt der Verschwörungstheorien abgebogen, sein Freund, der Buchhändler, ist noch immer links, aber gefangen in einer Depression.

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Steinhauer: „Ich bin in diesen Text hineingefallen. Wehrlos war ich, weil er mich so hergenommen hat. Da sind Sätze drin, die eine ewige Gültigkeit haben. Tatsächlich gibt es Sätze, die in dieser Deutlichkeit so noch nie in der Josefstadt gesprochen wurden.“ Turrini ist mit seinem Stück ein einziger großer Denkanstoß gelungen – es ist also der richtige Zeitpunkt, konkreter bei Erwin Steinhauer nachzufragen.

Welche Art von Denken fehlt heutzutage?

Wir haben es gerade in der Probe besprochen: Es fehlen die Offenheit und die Bereitschaft, sich mit dem anderen auseinanderzusetzen. Es wird alles, was nicht deren Meinung ist, sofort von der anderen Seite verdammt; und so fühlt sich immer ein Teil der Gesellschaft in die Defensive gedrängt und im Stich gelassen und droht – wie in dem Stück – mit neuen Zeiten: „Wen wir einmal an die Macht kommen – wir, die Minderheit –, dann …

Turrini
Ein Multitalent führt Regie: Alexander Kubelka ist Bildhauer, Bühnenbildner, mas Sessler Verlag). Kubelka führte auch Regie beim Josefstadt-Hit „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“. Kann also nichts schiefgehen …

Foto: Lukas Gansterer

Macht Sie diese Entwicklung wütend?

Ich bin ein Kämpfer. Ich sage immer: Die Wut ist jung, und solange ich die Wut gegen vieles, was mich stört, in mir spüre, habe ich noch nicht aufgegeben. Daher ist dieses Stück auch eine Art Notwehr.

Worauf sind Sie konkret wütend?

Auf die Dummheit.

Aber die wird nicht weggehen.

Darum geht auch meine Wut nicht weg. Ja, es ist gefährlich für den Kreislauf, aber was soll ich machen … (Lacht.)

Vielleicht können Sie mir helfen: Ich kenne das aus meinem eigenen Freundeskreis, dass es Menschen in der Corona-Zeit nach rechts ausgehängt hat. Was tut man da?

Sich bemühen und versuchen, sie wieder an Bord zu holen. Wenn einer über die Reling gerutscht ist und röchelt, muss man schauen, dass man ihm einen Rettungsring zuwirft. Wenn er ihn nicht nimmt, dann hat er Pech.

Es wird jetzt gerade viel von Versöhnung gesprochen und dass die Gesellschaft gespalten sei. Muss man sich aber wirklich mit jedem Deppen versöhnen? Und kann man nicht einfach einen Dodel einen Dodel nennen?

Absolut. Man kann es auch stehen lassen. Man muss nicht mit allen wieder gut werden. Ich bin durchaus der Meinung, dass aus Dissonanz mehr entsteht als aus Harmonie.

Schon, oder?

Ja. Wenn wir zu den Proben gehen und sagen würden: „Super sind wir! Alles total leiwand!“ – das führt zu nichts. Nur aus der Dissonanz und der Konfrontation entsteht etwas und bringt mich weiter.

Turrini
Wir haben Erwin Steinhauer bei den Proben getroffen. Er sagt über Turrinis Stück: „Ich bin in diesen Text hineingefallen. Da sind Texte drinnen, die eine ewige Gültigkeit haben, die man in dieser Deutlichkeit in der Josefstadt noch nie gehört hat.“

Foto: Lukas Gansterer

Woran erkennt man eigentlich einen Deppen?

Ich glaube, die erkennt man nicht mehr, weil sie so weit verbreitet sind. Man erkennt wahrscheinlich einen Deppen zu einem gewissen Grad, wenn wir uns in den Spiegel schauen, weil wir selber diese Deppen sind. (Steinhauer lächelt.)

Wenn Sie so die heimische Tagespolitik verfolgen: Wie geht es Österreich?

Es ist traurig, dass ich auf diese Frage, die immer bei Interviews mit mir kommt, immer dieselbe Antwort geben muss: Die österreichische Innenpolitik ist nichts für erwachsene Menschen. Was hier in letzter Zeit passiert ist – von den „1 Euro 40“-Videos über Wahlen, die falsch ausgeführt werden, oder E-Mails, die an den falschen Verteiler geraten –, es ist alles ein ganz tiefer Wahnsinn.

Sie selber waren eine Zeitlang sehr aktiv in den sozialen Medien, sind es aber jetzt nicht mehr so sehr. Was ist passiert?

Ich hasse mich selber, dass ich in diesem Soziale-Medien-Strudel drinstecke. Aber bei uns freischaffenden Pensionisten (lacht) geht ohne Ankündigung auf den sozialen Medien gar nichts mehr. Es ist sinnlos, eine Annonce zu schalten: „Heute spiele ich in Gigritzpatschen.“ Nein, du musst es posten, damit du eine Response bekommst. Aber es stimmt: Ich war in der Falle, solange ich auf Twitter war. Ich habe dort 5.000 Follower gehabt. Aber irgendwann ist mir die Mehrheit der Postings, deren Qualität, dieses fürchterliche Niveau so auf die Nerven gegangen, dass ich gesagt habe: Kinder, nicht mit mir. Und als dann dieser Trottel Twitter übernommen hat, habe ich gesagt: Nein. Aus. Danke.

Ich finde, dieses ewige Reagieren, Lesen und Reagieren in den sozialen Medien zieht so wahnsinnig viel Energie.

Ich konnte nicht mehr schlafen, bevor ich nicht reingeschaut habe. Das war ein totaler Zwang. Von solchen Dingen muss man sich lösen und wieder versuchen, die eigene Fantasie unabhängig von der Umwelt zu gestalten, indem man liest. Weil dann passiert in meinem Kopf mein eigener Film, und der ist wertvoller als alles andere.

Herr Steinhauer, danke schön für das Gespräch.

Turrini
Zwei, die ein volles Haus garantieren. Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger – ein Schnappschuss der beiden Freunde nach den Proben.

Foto: Lukas Gansterer

Zur Person: Erwin Steinhauer

Er ist ein Quotengarant im Fernsehen, im Film, auf der Bühne. Er spielt und singt und hat (vermutlich) alle Preise und Ehrungen ­bekommen, die man in Österreich bekommen kann. 2017/18 spielte er zuletzt in der Josefstadt („Fremdenzimmer“). Im November und ­Dezember kann man Steinhauer mit seinen diversen Programmen u. a in Wien, Bad Ischl und Graz erleben. Infos: allesgute.at