Stellen Sie sich vor, Sie sind Verleger. Oder Unterhaltungschef von Netflix. Und eines Tages werden Sie auf einer Party von einem jungen Schriftsteller abgepasst, der Ihnen von einem Stück erzählt, das er gerade geschrieben hat und von dem er weiß, dass es ein Welterfolg, ein Blockbuster, wird. Sie sind nett und fragen höflich nach dem Inhalt. Und dann legt der junge Schriftsteller los wie folgt: „Viola liebt Herzog Orsino, der die Gräfin Olivia liebt, die wiederum den jungen Cesario liebt. Cesario ist aber die als Mann verkleidete Viola, die im Königreich Illyrien gestrandet ist. Weder Orsino noch Olivia wissen, dass Cesario in Wirklichkeit eine Frau ist. Und dann taucht auch noch Violas verschollener Zwillingsbruder auf. Tja, und am Ende gibt es eine Doppelhochzeit.“

Anzeige
Anzeige

Wir verlosen 2 x 2 Tickets für „Was ihr wollt“ am 13. September in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt!

William Shakespeares rasante Liebes- und Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ ist ein Welthit. Tausendfach aufgeführt, zur Musikkomödie verwurschtet von Trevor Nunn („Les Misérables“, „Cats“ etc.), filmisch versenkt, umgeschrieben, neu- geschrieben. Die Uraufführung fand vermutlich am 2. Februar 1602 in der Middle Temple Hall in London statt. Shakespeare hatte das Stück im Jahr davor geschrieben – direkt im Anschluss an „Viel Lärm um nichts“ und „Wie es euch gefällt“ – und hier noch einmal ordentlich an Tempo zugelegt. Diese Komödie ist wie eine Fahrt in der Bobbahn: voll schneller Kurven und immer Vollgas. Erstmals gedruckt und veröffentlicht wurde sie 1623 im sogenannten First Folio, der ersten Gesamtausgabe von Shakespeares Werken. Und jetzt also die Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt.

Als Theater Quote machte

Als Theater Quote machte

Nestroys „Lumpazivagabundus“ wurde nicht nur in der Josefstadt zum Hit, sondern auch im TV. Selbst die ARD übertrug das Stück zur besten Sendezeit mit Qualtinger, Sowinetz und Böhm. Weiterlesen...

Torsten Fischer wird inszenieren. Er hat in Wien in den vergangenen drei Jahrzehnten alles möglich Wunderbare auf die Bühne gebracht, zuletzt die von Publikum und Kritik gefeierte „Dreigroschenoper“.

Das Publikum ist nicht blöd. Man muss es abholen - und kann es aber dabei verführen, mit in die Tiefe zu gehen."

Torsten Fischer, Regisseur
Anzeige
Anzeige

Shakespeare meets Tango

Der Februar ist nur zwei Tage alt, als wir Torsten Fischer treffen, es ist einen Tag nach dem Fotoshooting zu dem Stück. Die Idee, Stöckelschuhe zu tragen, kam übrigens aus dem Ensemble und stellt unseren Versuch dar, das Stück auf einen Satz zu reduzieren: Mann? Frau ? Uns und Shakespeare doch egal! Hauptsache Liebe. Wie im Original werden alle Rollen in den Kammerspielen von Männern gespielt.

Wir korrigieren: Nicht alle.

Der Narr – oder in dem Falle der Clown – wird von Maria Bill gespielt und gesungen. Ja, Sie lesen richtig: Bill wird singen, und zwar ein paar ganz großartige Tangonummern. Das Stück heißt auch im Untertitel „Shakespeare meets Tango“ (aber dazu später mehr; und keine Sorge: Torsten Fischer hat sich eigentlich recht brav ans Original gehalten).

Jetzt freut sich Torsten Fischer erst einmal auf den Probenbeginn. Der wurde wegen Corona nämlich immer und immer wieder verschoben. „Ich habe mir für den ersten Tag eine kleine Ansprache vorgenommen, bei der ich dem Ensemble sagen werde: ‚Es geht nicht um gutes oder schlechtes Theater oder um neues oder altes Theater. Ihr müsst offen und den Notwendigkeiten der Rolle gegenüber aufgeschlossen sein – geht so mit euch selbst auf eine Entdeckungsreise.‘“

Der Regisseur macht eine Pause: „Und ich werde gespannt sein, was dann passiert.“ Das klingt nach Freestyle, ist es aber nicht. Fischer hat sich akribisch vorbereitet und auch das Stück selbst neu übersetzt. Was gescheit ist, denn genau daran – nämlich an einer schlechten Bearbeitung – scheiterte etwa die Filmversion von Trevor Nunn.

Was ihr wollt: Alles total egal – Hauptsache Liebe
Claudius von Stolzmann, Julian Valerio Rehrl, Mathias Franz Stein und Martin Niedermair.

Foto: Lukas Gansterer

Perfekte Pointen, leere Bühne

„Es gibt dutzende Übersetzungen, und ich habe sie alle gelesen. Bei all diesen Varianten habe ich fest- gestellt, dass sie meiner Meinung nach den Spirit von Shakespeare nicht treffen. Weil sie sich um eigenständige Witze oder eigenständige Schlenkerer oder eine Romantisierung bemühen. Wenn man sich mit Shakespeare auseinandersetzt, bemerkt man schnell, wie knapp und präzise er geschrieben hat. Seine Sätze waren unglaublich gerade, sie treffen einen mitten ins Herz. Und so haben wir versucht, das Stück so direkt und konkret wie möglich zu übersetzen, ohne Angst vor Banalitäten.“

Perfekter Boulevard also? Fischer überlegt kurz und schickt nach: „Boulevard ist oft negativ besetzt. Diese seltsame Unterscheidung zwischen E und U gibt es nur im deutschsprachigen Theater. Das Publikum ist nicht blöd. Man muss es abholen – und kann es aber dabei verführen, mit in die Tiefe zu gehen. Und genau das kann Shakespeare, und darum hat er auch so viele Jahrhunderte überlebt, weil er dieses Spiel zwischen Banalem und Tiefergehendem perfekt beherrscht.“

Keine Schnörksel auch bei den Überlegungen, wie das Bühnenbild werden wird: Groß ist die Bühne in den Kammerspielen ja nicht, und es benötigt einen präzisen Blick, um mit dem bestehenden Platz zurechtzukommen.

Was ihr wollt: Alles total egal – Hauptsache Liebe
Torsten Fischer

Foto: Moritz Schell

Zur Person: Torsten Fischer

Seine künstlerischen Spuren ziehen sich quer über den Globus: Fischer inszenierte Opern und Schauspiel in Köln, Stuttgart, New York, Warschau, Zürich, Straßburg ... und immer wieder auch in Wien. Opern im Theater an der Wien („Telemaco“, „Iphigenie auf Tauris“ etc.) und an der Josefstadt, u. a. „Engel der Dämmerung“, „Die Dreigroschenoper“, „Gott des Gemetzels“ und viele Stücke mehr. Torsten Fischer ist seit 1981 am Theater tätig und lebt in Berlin und Griechenland.

Bitte, Herr Regisseur, erklären Sie: „Die Bühne ist von Anfang an bis zum Ende eine Bühne ohne jegliche Gegenstände. Sie besteht nur aus Menschen. Sie ist leer. Eine abstrakte weiße Bühne, damit nichts ablenkt und man mit dem Brennglas den Menschen beim Spielen zuschauen kann.

Das ist nicht ganz neu, weil Shakespeare schon so gearbeitet hat. Somit bin ich auch nicht gezwungen, besonders originell zu sein.“

Und dass Tango gespielt wird, ist also einfach passiert? Auch hier nicht der klitzekleinste Versuch an der Originalität?

Torsten Fischer lächelt: „Jede Wette, dass es Kritiker geben wird, die schreiben werden, das sei ein Musical geworden. Aber ich mache nicht mehr Musik, als von Herrn Shakespeare gewünscht wird.
Ich fand, dass die Lieder des Narren ein wenig aus der Zeit gefallen sind. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Nach meiner Begegnung mit Maria Bill hatte ich eine so wahnsinnig große Lust, Maria als Narren auszubauen. Der Clown spielt ja eine übergeordnete Rolle, so etwas wie Gott, der die Fäden der Verwirrung zieht, um die richtigen Paare zusammenzuführen. Da passt Tangomusik doch wunderbar dazu! Die Texte sind so poetisch, und sie treffenden Geist von Shakespeare. Sie sind so platziert, dass sie die Handlung weitertragen beziehungsweise die Handlung ergänzen.“

Und schon sind wir wieder beim Original: Denn genau so hat es der gute alte William auch mit seinen Liedern gemacht. Maria Bill wird in Spanisch, Italienisch und Portugiesisch singen. Vermutlich– das ist vor Probenbeginn noch nicht fix – werden Textteile wie Übertitel auf die weiße Bühnenwand projiziert. Die Texte der Lieder sind ebenfalls neu geschrieben. Übrigens: Mit Bill hat Fischer schon in der „Dreigroschenoper“ zusammengearbeitet. Ebenso mit Claudius von Stolzmann, Tamim Fattal und Martin Niedermair. Mit Letztgenanntem – und natürlich Sona MacDonald – hat Fischer „Engel der Dämmerung“ inszeniert: ein Meisterwerk, das kurz vor der ersten Corona-Welle in den Kammer- spielen Premiere feierte.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Aber jetzt – spät, aber doch – die Sache mit den Männern in Frauenkleidern. Im Gegensatz zu „La Cage aux Folles“ hat die Verkleidung hier keinerlei Travestie-Hintergedanken. Zu Shakespeares Zeiten war es üblich, dass Frauen auf der Bühne von Männern gespielt wurden. Freilich, bei „Was ihr wollt“ war Shakespeare moderner und aufgeschlossener als viele Zeitgenossen. (Immerhin: Langsam, aber sicher beginnen sich Geschlechter- rollen aufzulösen. Gut, vielleicht nicht überall – aber es wird.) Torsten Fischer: „Mir war sehr schnell klar, dass das Stück nur von Männern gespielt werden darf, denn so wurde es geschrieben. Wenn eine Olivia etwa von einer Frau gespielt werden würde, dann ist das unglaubwürdig und travestiehaft. Wenn sie aber von einem Mann gespielt wird, dann ist sie eine Projektionsfläche. Unerreichbar im Prinzip – und das wird dann durch die Liebe erschüttert.“

Schon wieder. Kaum geht es um den Inhalt, wird es verwirrend. Es ist ein komplexes Programm, das Shakespeare hier entworfen hat. Dabei geht es doch eigentlich um das simple Faktum, dass es doch völlig egal ist, wen wir lieben. Oder? Torsten Fischer nickt. „Ich glaube, dass Shakespeare die verzweifelt und dadurch auch komisch Suche von uns Menschen nach Identität zeigen wollte. Wir wir zwischen unseren geheimen Leidenschaften, unserer Utopie und dem, was wir glauben, dass die Gesellschaft von uns abverlangt, pendeln. Das Stück ist eigentlich sehr tief und melancholisch, und daraus hat Shakespeare etwas gemacht, was uns auch zum Lachen bringt.“

Unser Stichwort. Das Lachen. Endlich. Etwas, was wir uns alle wirklich verdient haben in und nach Zeiten wie diesen. Schön, wenn man dabei auch noch ein wenig lernen kann - von einem Stoff, der 421 Jahre alt ist und uns mehr über Toleranz lehrt als so manch aktuelles Stück ...

Was ihr wollt: Alles total egal – Hauptsache Liebe
Maria Bill und Claudius von Stolzmann im Theater in der Josefstadt.

Foto: Philipp Horak

Zur Person: Maria Bill singt Tango

Die großartige Volksschauspielerin in der Rolle des Narren bzw. Clowns. Schon im Original hat Shakespeare in den Text musikalische Passagen mit eingebaut. In der aktuellen Inszenierung wurden diese Stücke durch Tango ersetzt, die die Handlung weitertragen. Bill wird auf Spanisch, Italienisch und Portugiesisch singen. Es wird Überzeilen geben, die auf die Bühne projiziert werden.