Sweet Horror. Der Einstieg des gebürtigen Linzers Stefan Gaugusch in die Welt von Kasperl, Petzi und der Großmutter ist ironischerweise negativ besetzt. „Prägend war das Erlebnis dennoch“, erklärt er beim Interview in seiner Firmenzentrale nahe des Karmelitermarkts, die aus einem Büro samt Aufenthaltsraum und einer sich über zwei Stockwerke erstreckenden Werkstatt besteht. „Natürlich bin auch ich mit dem Fernseh-Kasperl groß geworden. Mich hat diese Welt von Anfang an fasziniert, obwohl mein erstes Live-Erlebnis mit dem Kasperl kein schönes war.

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Meine Mama und meine Oma sind mit mir zum Puppentheater am Urfahraner Markt gegangen, weil ich das unbedingt wollte. Da war ich vier oder fünf Jahre alt.“ Er im Zelt, Mutter und Großmutter in Sichtweite draußen. „Irgendwann habe ich sie aber nicht mehr gesehen und bin plärrend hinausgerannt. Ich habe sie zwar sofort gefunden, wollte aber trotzdem nicht wieder hinein.“ Den damaligen Puppenspieler Ambrosius Lagger, Spross einer Schaustellerfamilie, die beim Münchner Oktoberfest aktiv war, traf er später wieder. „Zu ihm entwickelte sich sogar eine Freundschaft.“

Die Faszination für das Genre ließ Stefan Gaugusch jedenfalls nie wieder los. Noch während der Schulzeit, in der katholischen Jungschar, gab er sein Kasperltheater-Debüt – „mit selbst zusammengenagelter Bühne und eigenfabrizierten Puppen.“ Schon damals lernte er Clemens Matzka, heute Schau- und Puppenspieler, kennen. Gemeinsam mit dem Arzt Wilfried Schöner und dem Studenten Raphael Kovarik bilden sie aktuell so etwas wie das Dreamteam der Kasperl-Szene.

Von der Urania ins Fernsehen

Eine Ausbildung zum Puppenspieler gibt es in Österreich nicht, alles ist Learning by doing. Schauspielerisches Talent, sprachliches Vermögen und die Fähigkeit zur Improvisation bilden den Kern dessen, was man für den Beruf mitbringen sollte. Stefan Gaugusch fuhr als Teenager, wann immer es ihm möglich war, nach Wien. „Meistens bin ich dann rund um das Urania Puppentheater herumscharwenzelt“, amüsiert er sich heute über sein altersuntypisches Freizeitverhalten.

„Im Schaukasten hing ein Schild, wonach Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht würden. Also habe ich beim Portier meine Telefonnummer hinterlassen, und eines Tages hat tatsächlich Hans Kraus, der Gründer des Wiener Urania-Puppentheaters (gemeinsam mit seiner Frau Marianne, Anm.), bei uns angerufen. Er hat es aber mit meiner Mutter zu tun bekommen, die aus allen Wolken fiel und ihm erklärte, dass ihr Sohn vor allem die Schule fertigmachen würde, ehe er sich irgendwo bewerben könne. Das war schließlich auch der Deal mit meinen Eltern.“ Gesagt, getan. Und ab ging’s nach Wien.

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„Gleich nach der Matura war ich der siebente Zwerg von links im Urania-Team. Den Meistern beim Spielen nahe zu sein und zuzuhören, hatte großen Einfluss auf mich. Der Rhythmus der Sprache, das Timing, da konnte ich in der Beobachtung viel mitnehmen. Erst kupfert man ab, dann entwickelt man seinen eigenen Stil.“ 1989 gründete er „Kasperl & Co“ und schrieb mit seiner Truppe 20 Jahre lang Kinder-TV-Geschichte, parallel dazu auch mit der Erfindung generationenprägender Figuren wie der Ratte Rolf Rüdiger oder dem grün-gelben Monster Confetti. „Ich war Anfang 20, und wir hatten eine Redaktion, die uns viele Freiheiten gelassen hat. Eigentlich war fast alles machbar, wir verstanden uns als Gegenpol zu all den Pädagogen, die vor uns für das Kinderfernsehen verantwortlich waren.“ Dem Kasperltheater blieb er trotz des TV-Erfolgs aber immer treu.

Kein humaner Strafvollzug

Seit 2015 treten die vier Herren einmal monatlich im Theater in der Josefstadt auf und geben hier ihre „Kasperlmärchen“ zum Besten. Geschrieben von Stefan Gaugusch, oftmals in Zusammenarbeit mit Medicus Wilfried Schöner, gelangen spannende Stücke zur Aufführung, deren Konflikte Kinder ab drei Jahren zu begeistern vermögen. „Das Spiel Gut gegen Böse funktioniert immer“, so der Erschaffer, „wobei mir stets wichtig war, dass die Figuren ein Motiv haben. Auch die Bösewichter sind nicht von Grund auf böse, sondern haben zum Beispiel Zurückweisungen erlebt, die sie zu dem gemacht haben, was sie heute sind.“

Theater für die Kleinsten: Kasperl & Co in der Josefstadt
Imposante 4 x 4 Meter plus Seitenausleger misst die mobile Kasperl-Bühne, die in den Sträußelsälen des Theaters in der Josefstadt zum Einsatz kommt.

Foto: Raphael Kovarik

Das Publikum ist gemischt – „von behüteten bis zu weniger behüteten Kindern“ –, allen gemeinsam ist, dass sie über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügen. „Wir wollten einmal eine Art ‚humanen Strafvollzug‘ in die Stücke bringen, indem wir gesagt haben, okay, der Räuber ist gefangen und muss nun drei Wochen lang bei der Großmutter den Rasen mähen. Das war den Kindern aber zu wenig, das Bedürfnis, dass der Räuber ins Gefängnis muss, war ein großes. Das ist ebenso interessant wie witzig.“ Man könne Kindern via Kasperl wahrscheinlich viel vermitteln, das sei aber nie sein Ziel gewesen. „Natürlich muss es um etwas gehen, es braucht eine Handlung, einen Plot. Aber es braucht keinen moralisch erhobenen Zeigefinger.

Ich selber mag Theater als Erlebnis, aus dem ich hinausgehe und schwebe, weil es mich berührt hat. Und genau das sollte es auch für Kinder sein.“ Außerdem ist ihm Humor ein Anliegen. „Früher gab es Stücke, bei denen Höflichkeit und Fleiß im Zentrum standen. Die waren meist unheimlich langweilig, so wollte ich es auf keinen Fall machen.“

Puppenspiel als Handwerk

Besonders stolz ist Stefan Gaugusch auf die Bühne, die, wie auch alle Puppen und Kostüme, von (seiner) Hand gemacht ist. „Die Bühne, mit der wir in der Josefstadt auftreten, misst etwa 4x4 Meter und ist mit ihren ausklappbaren Seitenteilen im Grunde ein großer Quader. Sie ist mobil, spielt aber alle Stückln. Licht und Ton sind vom Feinsten, und wenn es ein Stück erfordert, haben wir auch eine Nebel- und eine Schneemaschine.“ Die Figuren sind zum Großteil Handstabpuppen.

Theater für die Kleinsten: Kasperl & Co in der Josefstadt
Puppen, Kleider und Kulissen werden in der Werkstatt von Hand gemacht. Und nicht jede Figur muss lieblich sein.

Foto: Kasperl & Co

„Das heißt, sie werden von unten mit Stäben geführt, die Arme haben Marionettengelenke, sind also elegant zu bewegen. Es gibt dicke ebenso wie dünne, sie sind nicht allzu putzig, im Grunde sind sie unisex.“ In seinem Fundus, der sich wenige Häuser von der Werkstatt entfernt befindet, steht ein Kasten voll mit Perücken, Bärten, Accessoires und sogar Brüsten, mit deren Hilfe sich eine Puppe in unterschiedliche Figuren verwandeln lässt. Die Werkstatt ist in zwei Fachbereiche unterteilt. Oben Stoffe und Gewänder – „da schaut es aus wie beim Lambert Hofer“ –, unten wird gebaut, modelliert, geschnitzt und bemalt. In einer Schachtel lagern 40 Paar Hände, „wobei diese heute oft nicht mehr geschnitzt werden müssen, sondern mittels Abguss-Technik hergestellt werden können.“

Alter Ego: Rolf Rüdiger

Einer großen Fanschar ist Stefan Gaugusch als Rolf Rüdiger aus der sonntäglichen Radio-Wien-Sendung „WOW – die Rätselshow“ bekannt, die er gemeinsam mit Robert Steiner moderiert. In der Pandemie kam täglich von Montag bis Freitag um 14 Uhr das für Erwachsene konzipierte Radio-Format „Die 2 um 2“ dazu. „In Rolf Rüdiger steckt natürlich viel von mir“, so sein Kreator, „allein schon diese nicht zu bändigende Fresssucht“, lacht er, „die Liebe zu Cremeschnitten ist authentisch, wie vieles andere auch.“ Außerdem ist er nicht gerade politisch korrekt – „er wäscht sich nicht, hat keine Manieren und ist verfressen“ –, was ihn für Groß & Klein offenbar attraktiver macht als „pädagogisch wertvolle“ Figuren.

Theater für die Kleinsten: Kasperl & Co in der Josefstadt
Hinter den Kulissen geht es hektisch zu. Umso wichtiger ist ein eingespieltes Team, das sich zu hundert Prozent aufeinander verlassen kann.

Foto: Kasperl & Co

Nur einmal hat er einen Witz gemacht, den eine Hörerin nach feministischen Gesichtspunkten dermaßen unlustig fand, dass Stefan Gaugusch zum Gender-Seminar beordert wurde … Rolf Rüdigers großes Verdienst ist es zudem, dass er seine Kasperl-Kollegen in der Zeit des Lockdowns finanziell über Wasser hielt. Manche der bei „WOW“ mitmachenden Kinder sind außergewöhnlich lustig. Ist ihm ein Anruf besonders in Erinnerung geblieben? „Ja, der kam aber nicht von einem Kind, sondern von einer Dame, die uns erzählt hat, dass ihr leider bereits verstorbener Mann ein großer Rolf-Rüdiger-Fan gewesen sei. Also habe sie ihm einen Stoff-Rolf-Rüdiger in den Sarg gelegt. Das war skurril, denn was soll man darauf antworten? ,Schade um das Viech‘ geht ja nicht“. Humor beweist Stefan Gaugusch auch in seinem Onlineshop. Dort stehen für Männer wie Frauen T-Shirts bis Größe 5XL zur Auswahl. Slogan auf der Brust: „Rattenscharf“. Was zum lustvollen Wesen des Rolf Rüdiger wie maßgeschneidert passt.

Zur Person: Stefan Gaugusch

Geboren in Linz, ging er nach der Matura nach Wien, sammelte erste Erfahrungen im Wiener Urania-Puppentheater und begann mit 20 als Gestalter beim ORF-Kinderprogramm, wo er u.a. die Figuren Rolf Rüdiger und Confetti erfand. 1989 gründete er Kasperl & Co, mit dem er 20 Jahre im TV präsent war und seit 2015 regelmäßig im Theater in der Josefstadt gastiert. Auf Radio Wien moderiert er in der Rolle des Rolf Rüdiger die Sendungen „WOW“ und „Die 2 um 2“.

Zu den Spielterminen von „Kasperl und Co“ in den Sträusselsälen des Theater in der Josefstadt!