Fünf Jahre Burgtheaterstudio liegen hinter Anja Sczilinski. Wobei das Wort „liegen“ eine Passivität suggeriert, die in diesem speziellen Fall absolut unzutreffend ist. Wenn man sich mit der Leiterin der Kinder- und Jugendtheaterschiene des Burgtheaters unterhält, scheint es eher so, als würden die Erinnerungen an diese Zeit durch ihr Gedächtnis tanzen. Sie entpuppen sich als so bunt, lebendig und gegenwärtig wie das Theater selbst. Und mit diesen drei Adjektiven ist der – außerordentlich lebendige – Geist des Burgtheaterstudios im Grunde auch schon perfekt zusammengefasst.

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„Als wir nach Wien kamen, hatten wir viel vor. Wir wollten das Haus öffnen, das Publikum verjüngen und für mehr Diversität auf der Bühne und im Zuschauerraum sorgen. Wenn ich jetzt zurückschaue, freue ich mich, dass wir das mit dem Burgtheaterstudio geschafft haben – unser Publikum ist lebendig, divers und möchte mitsprechen“, hält Anja Sczilinski fest.

Mitreden und mitgestalten

Mitsprache sei in dieser Spielzeit im gesamten Burgtheater ein zentrales Thema gewesen, betont Sczilinski. Gemäß dem Spielzeitmotto „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ wurden in allen Spielstätten zentrale Fragestellungen aus den Themenbereichen Demokratie, Repräsentation und Sichtbarkeit verhandelt.

Im Burgtheaterstudio unter anderem im Stück „Dschabber“ von Marcus Youssef, das Anja Sczilinski selbst inszenierte. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtete die Arbeit für alle ab 13 die Geschichte einer jungen Muslima und rückte damit eine Figur ins Zentrum, der man auf deutschsprachigen Bühnen nach wie vor viel zu selten begegnet. Dass es ihr und ihrem Team immer wieder gelungen ist, die Geschichten marginalisierter Gruppen auf die Bühne zu bringen, ist eine Sache, auf die Anja Sczilinski mit besonders viel Stolz zurückschaut.

„Aber auch darauf, dass wir es geschafft haben, regelmäßig für alle Altersgruppen zu spielen. Und natürlich auch auf die vielen Auszeichnungen, die wir in diesen fünf Jahren bekommen haben“, merkt sie lachend an. Dazu zählen unter anderem die Stella-Preise für die beiden Inszenierungen „Ich, Ikarus“ und „Mädchen wie die“ wie auch die Stella- Nominierung für „Dschabber“ als „Herausragendes partizipatives Projekt“. Auch heuer gibt es wieder Grund zur Freude:

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„Über Nacht“ und „Herr der Diebe“ sind für den Stella*24 nominiert. Wenn Anja Sczilinski auf ihre Zeit als Leiterin des Burgtheaterstudios zurückblickt, dann auch auf eine Fülle von Maßnahmen zur Nachwuchsförderung – und zwar in allen Bereichen. „Durch unsere Kooperationen mit der MUK und dem Max Reinhardt Seminar konnten viele junge Schauspielstudierende erste Bühnenerfahrungen bei uns sammeln, außerdem war es mir immer wichtig, Nachwuchsregisseur*innen bestmöglich zu begleiten und junge Ausstatter*innen zu engagieren. Darüber hinaus hatten wir in regelmäßigen Abständen Stücke aufstrebender Autor*innen auf dem Spielplan“, hält die Theatermacherin fest.

Zur Person: Anja Sczilinski

Bevor sie mit Martin Kušej von München nach Wien wechselte, leitete Anja ­Sczilinski das JUNGE RESI, die Kinder- und Jugendtheaterschiene des Münchner Residenztheaters, die sie auch mitaufgebaut hat.  In Wien leitete sie das Burgtheaterstudio für junges Publikum, außerdem trat sie auch als Regisseurin (u. a. „Dschabber“) in Erscheinung.

Dschabber
Vielfalt im Vestibül. Anja Sczilinski inszenierte „Dschabber“ mit Spieler*innen des Studioensembles und Ensemblemitgliedern. Fatima, die Hauptfigur, erzählte ihre Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln.

Foto: Luiza Puiu

Ein festes Zuhause

Doch auch viele renommierte Künstler*innen spielten und inszenierten in den vergangenen fünf Jahren für Kinder, Jugendliche und Familien, wie Anja Sczilinski hervorhebt. Wie etwa Rüdiger Pape, dessen Bühnenadaption des Cornelia-Funke-Romans „Herr der Diebe“ derzeit für stets ausverkaufte Sitzreihen im Kasino sorgt. „Außerdem finde ich es wichtig, dass das gesamte Ensemble für junges Publikum spielt und es da keine Kategorisierung oder Unterscheidung gibt“, hält sie fest – und vor dem inneren Auge tauchen augenblicklich Felix Kammerer und Arthur Klemt in „Des Kaisers neue Kleider“ auf.

Das sei auch eine Sache, die man als Haus dafür tun könne, damit Theater für junges Publikum und die darin verhandelten Themen dieselbe Wertschätzung erfahren wie Stücke für Erwachsene „Schließlich geht es um das Publikum der Zukunft. Und wenn wir alle weiterhin am Theater arbeiten wollen, müssen wir dieses Publikum pflegen, schätzen, ihnen qualitativ hochwertiges Theater bieten und kein bisschen an ihnen sparen“, findet Sczilinski klare Worte.

Um Theater für junges Publikum zusätzlich zu stärken, bekamen die Stücke mit dem Vestibül ein festes Zuhause.

„Dadurch konnten wir das ganze Jahr über produzieren und ein sehr reiches Repertoire für alle Altersgruppen aufbauen“, so die Wahlwienerin. „Gleichzeitig ist das Vestibül aber auch die kleinste Spielstätte, weshalb klar war, dass es nicht der einzige Spielort sein darf. Eigentlich war es mein Ziel, innerhalb der fünf Jahre auch einmal ins große Haus zu gehen.“

Burgtheaterstudio
Mitmachen und experimentieren. Von Körperarbeit über chorisches Sprechen bis hin zur Eroberung der Theaterräume in den Ferien (Foto): In den Laboren des Burgtheaterstudios standen alle Zeichen auf Ausprobieren.

Foto: Susanne Hassler-Smith

Neues Publikum erschließen

Neben der „Mitsprache“ gehört ein weiteres Wort mit dem Präfix „mit-“ zu den Grundpfeilern des Burgtheaterstudios – das „Mitwachsen“. Wie das zu verstehen ist, möchten wir von Anja Sczilinski wissen. Sie antwortet: „Im Idealfall wachsen die Kinder mit dem Haus mit – sie lernen es in ihrer Kindheit kennen und bleiben dem Theater auch als Jugendliche erhalten und als Erwachsene weiterhin verbunden.“

Einen wichtigen Beitrag zu dieser im Idealfall nachhaltigen Verbindung leistet die Zusammenarbeit mit den Kooperationsschulen, betont Anja Sczilinski. In dieser Spielzeit waren es insgesamt 16 in ganz Wien beheimatete Schulen, mit denen das Burgtheaterstudio kooperierte. Das bedeutet: Die Schüler*innen dieser Schulen besuchten mindestens einmal im Jahr eine Inszenierung des Burgtheaters, oder das Burgtheater kam mit einer mobilen Inszenierung zu ihnen. Zusätzlich gab es Workshops, Publikumsgespräche und Fortbildungen für Lehrer*innen.

„Die Kinder dieser Schulen haben eine Verbindung zum Burgtheater, die sie mit nach Hause nehmen und die dadurch ins Privatleben übergeht. Wenn sie dann in ihrer Freizeit mit ihren Eltern und Großeltern ins Vestibül kommen, erreichen wir wirklich neues Publikum. Denn an den Schulen ist das Theaterpublikum so divers wie sonst nirgends“, so Sczilinski.

Liebe Grüße ... oder wohin das Leben fällt
Alle spielen für alle. „Alle im Ensemble spielen für junges Publikum“, so das Credo des Burgtheaterstudios. Wie etwa Lukas Vogelsang, Rainer Galke und Dunja Sowinetz in „Liebe Grüße ... oder wohin das Leben fällt“.

Foto: Luiza Puiu

Beim Thema Workshops möchte sie noch einmal einhaken, denn Programme wie die Junge Akademie, das Studioensemble und die unterschiedlichen Labore seien mindestens genauso wichtig wie die Inszenierungen und Lesungen. Mithilfe zahlreicher Partner*innen wie der Bildungsdirektion, der Wiener Städtischen Versicherung und der Arbeiterkammer sei es gelungen, Strukturen zu etablieren, die über die Jahre gewachsen und nun fest in den Schulen und der Stadt verankert sind. „Theater und Kultur sind ein Teil von Schule. Beim Theatermachen nicht nur dabei zu sein, sondern auch Teil zu sein und mitzumachen, bringt viele Vorteile für Schüler und Schülerinnen wie auch für Lehrerinnen und Lehrer. Theater bietet die großartige Möglichkeit, sich auf kreative Weise selbst besser kennenzulernen. Schule ist ein Ort des gemeinsamen Wachsens“, betont Heinrich Himmer, Bildungsdirektor für Wien.

Rückschau mit Zukunftsvision

Anja Sczilinski wäre außerdem nicht Anja Sczilinski, wenn sie in ihre Rückschau nicht auch zwei Wünsche für die Zukunft packen würde. Wie die lauten? Die „Frau vom Theater“, wie sie in Schulen hin und wieder genannt wird, antwortet zuerst mit einem entschlossenen Funkeln in den Augen, dann sagt sie: „Ich wünsche mir einen politischen Beschluss auf Bundesebene, in dem steht, dass ein Theater- besuch pro Jahr für alle Schüler*innen in Österreich verpflichtend ist. Außerdem finde ich, dass eine Nation, die sich Kulturnation nennt, ein Bundestheater nur für junges Publikum haben sollte.“ Mic Drop? Nicht ganz, denn eine Sache möchte sie noch loswerden: „Bis Ende Juni gibt es im Vestibül und im Kasino noch jede Menge zu sehen!“

Das Licht der Welt
Bildet Banden! Welche Formen von Engagement gibt es? Wie verschafft man sich als junger Mensch Gehör? „Das Licht der Welt“ sucht nach Möglichkeiten des Protests angesichts des Klimawandels.

Foto: Christine Miess

Hier zu den Vorstellungen im Vestibül und im Kasino!