Mit der Frage „Worum wird es denn nun genau gehen?“ hüpft man bei Herbert Fritsch nicht weit. Dafür ist der in Augsburg geborene Regisseur ein wahrer Meister, wenn es darum geht, von einem Thema ins nächste zu springen – allerdings stets auf eine Art und Weise, die Sinn ergibt, weil er den Faden niemals ganz verliert. Sehr viel lieber balanciert er jedoch darauf und jongliert dabei mit Gedanken und Geschichten, die sich oft um Musik und noch viel öfter um das Theater drehen. Er tut es womöglich nicht bewusst, aber wenn Herbert Fritsch über seine Arbeit spricht, erwacht der etwas abgedroschene Satz, dass das Theater die wohl lebendigste aller Kunstformen sei, tatsächlich zum Leben. Und damit sind wir irgendwie auch schon mitten im Stück, das Fritsch gerade für das Burgtheater vorbereitet. „Zentralfriedhof “ lautet der Titel, doch daran sollte man sich besser nicht aufhängen. Oder wie es Sabrina Zwach, Herbert Fritschs langjährige Dramaturgin, in Zusammenhang mit seiner letzten Wiener Arbeit, „Die gefesselte Phantasie“, formulierte: „Wir werden es so machen wie immer, wir werden die Erwartungen nicht erfüllen.“

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Die Kunst der Themenverfehlung

„Bei der Konzeptionsprobe habe ich zum Ensemble gesagt, dass ein Titel immer ein Filter ist, mit dem man sich etwas anschaut. Man hat also eine gewisse Erwartungshaltung, und wenn dann auf der Bühne plötzlich Dinge passieren, die man mit dem Titel nicht in Zusammenhang bekommt, beginnen die Gehirne der Zuschauer*innen zu glühen. Ich glaube, dass in diesen Momenten sehr viel mehr entstehen kann, als wenn all die Dinge, die im Stück vorkommen, dem Titel entsprächen. Die größte Themenverfehlung ist das Beste, was einem Titel passieren kann“, erzählt der Regisseur, der vor seiner Regiekarriere zu den Schauspielstars der Volksbühne unter Frank Castorf gehörte. An seine Sätze hängt der 73-Jährige häufig ein „Ja“, das Bestimmtheit und Offenheit gleichermaßen suggeriert. Das könnte dann vielleicht so aussehen: Ja?! Fragezeichen und Ausrufezeichen verbinden sich zu einem sogenannten Interrobang. Ein Begriff, der gut zum Theater Herbert Fritschs passt, das bei aller Präzision stets vor Offenheit, Komik und Lebendigkeit strotzt.

„Ich sage immer: Lass uns das so spielen, als wären wir kleine Kinder – mit dieser Naivität“, bringt es der Regisseur ohne große Umschweife auf den Punkt und setzt nach: „Für mich muss ein Stück leben. Schauspieler*innen sind keine Reproduktionsmaschinen.“

Worum es geht? Darum, eine Erfahrung zu machen.

Dorothee Hartinger, Schauspielerin

Wer seine bunten, im besten Sinne unterhaltsamen Arbeiten ein wenig kennt, kann sich vermutlich bereits gut vorstellen, dass das auch auf einen Abend zutreffen könnte, der sich auf die eine oder andere Weise mit dem Tod beschäftigen wird. Als ich zugestimmt habe, dieses Stück zu machen, obwohl ich anfangs große Zweifel hatte, habe ich dazugesagt, dass ich bestimmt nichts Trauriges machen werde“, erinnert sich Fritsch und unterfüttert seine Aussage mit einem Sketch von Hans Moser:„Zwei Totengräber irren sich im Stockwerk, landen auf einer Hochzeitsgesellschaft und regen sich furchtbar darüber auf, wie pietätlos die Leute sind.“

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Dorothee Hartinger
Mit Herbert Fritsch hat die Schauspielerin Dorothee Hartinger bereits mehrmals zusammengearbeitet.

Foto: Andreas Jakwerth

Zur Person: Dorothee Hartinger

wurde 1971 geboren und studierte Schauspiel an der Otto- Falckenberg-Schule München. Seit 2002 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters. 2023 wurde ihr der NESTROY-Theaterpreis in der Kategorie „Beste Darstellung einer Nebenrolle“ für ihre Rolle in „Der Raub der Sabinerinnen“ verliehen. Mit Herbert Fritsch hat sie bereits mehrmals zusammengearbeitet.

Vertrauen in die Suche

Wenn Herbert Fritsch sagt, dass Theater im Theater und nicht am Schreibtisch entsteht, dann meint er das auch genau so. Der Probenprozess ist eine gemeinsame, spielerische Suche, deren Endprodukt, obwohl es im Falle Fritschs im ersten Moment vielleicht so klingt, mit Improvisation nichts zu tun hat. „Wie in der Commedia dell’arte versuchen wir eine Form zu finden und damit zu spielen. Das finde ich schön“, hält der Regisseur fest. Schön fände er im Übrigen auch, wenn der Abend eine solch rauschhafte Wirkung entfachen würde, dass die Zuschauer*innen danach nicht mehr nach Hause finden. „Vielleicht schaffen wir es, dass sie danach alle direkt in den 71er einsteigen und Richtung Zentralfriedhof fahren.“ Der Regisseur lacht sein lebendiges, spitzbübisches Herbert- Fritsch-Lachen.

Von Dorothee Hartinger, deren vierte gemeinsame Burgtheater-Inszenierung mit Herbert Fritsch nun ansteht, wollen wir wissen, welche Rolle Vertrauen bei dieser Form der gemeinsamen Suche spielt. „Ich habe totales Vertrauen. Und erlebe es als eher rational denkender Mensch als unglaublich genußvoll, sagen zu können, dass ich offen dafür bin, was wir in den Proben gemeinsam ausprobieren“, findet die Schauspielerin klare Worte. Umwege zu gehen und Ideen auch wieder zu begraben gehöre dazu.„Je älter ich werde, desto mehr schätze ich die Probenzeit, die nicht auf ein Endergebnis abzielt“, fügt sie hinzu. „Wenn man jünger ist, hat man schnell das Gefühl, den Abend schon haben zu müssen. Viele Regisseur*innen lassen einem auch nicht die Freiheit, etwas Abwegiges zu machen. Man wird zurückgepfiffen. Ich finde es für unseren Beruf aber wichtig, etwas erfahren und erleben zu dürfen.“

Als wir wieder in Richtung „Zentralfriedhof “ abbiegen und die Frage, worum es denn nun tatsächlich geht, erneut auftaucht – probieren kann man es ja –, merkt Dorothee Hartinger an: „Letztlich müsste man darauf antworten: Es geht darum, eine Erfahrung zu machen.“ Und mitgebrachte Erwartungen im besten Fall gemeinsam mit der Jacke an der Garderobe abzugeben, um in den kommenden zwei Stunden frei und offen für neue Erlebnisse zu sein. Denn, so Hartinger, das Schöne am Theater sei ja unter anderem, „dass man eine Karte kauft und die Dinge vom Zustand des Seins in jenen des Bedeutens übergehen. Schlussendlich ist es genau das ja auch, was uns Schauspieler*innen von den Zuschauer*innen unterscheidet – wir können scheinbar einfachen Dingen eine Bedeutung geben.“

Herbert Fritsch
Er gehörte zu den prägendsten Schauspielern der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf, jetzt inszeniert er "Zentralfriedhof" am Burgtheater: Herbert Fitsch.

Foto: Andreas Jakwerth

Zur Person: Herbert Fritsch

gehörte zu den prägendsten Schauspielern der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf. Er ist Bühnenbildner, Fotograf, Performer und Medienkünstler. In seiner ersten abendfüllenden Regiearbeit inszenierte er Molières Komödienklassiker „Der Geizige“. Zwischen 2007 und 2019 folgten viele weitere Regie- und Bühnenbildarbeiten, 2014 seine erste Opernregie. 2021 inszenierte er an der Wiener Staatsoper den „Barbiere di Siviglia“. Mit Herbert Grönemeyer arbeitete er am Stück „Herbert“ fürs Schauspielhaus Bochum. Mit seinen Theaterarbeiten wurde er mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seine Inszenierung von Ferdinand Raimunds „Die gefesselte Phantasie“ ist am 4. April zum letzten Mal im Burgtheater zu erleben.

Oder wie es Herbert Fritsch formuliert: „Ich mag es, wenn die Schauspieler*innen auf der Bühne Instrumente spielen, die sie gar nicht beherrschen. Weil sie das auf eine Art und Weise tun können, dass es vom Publikum trotzdem als Musik wahrgenommen wird, obwohl sie eigentlich nur auf einem Klavier herumhämmern. Dieses Sichtbarmachen von Musik, das ist für mich Schauspielerei. Das mag ich so sehr am Theater."

Ob sich darin ein Hinweis versteckte, was uns in „Zentralfriedhof" möglicherweise erwarten könnte? Herbert Fritsch lacht. Wir verstehen und freuen uns schon darauf, Jacken und Erwartungen an der Garderobe abzugeben.

Hier zu den Spielterminen von Zentralfriedhof!