Sibylle Berg hält die Menschen auf Trab. Nicht nur mit ihren Romanen und Theatertexten. Von denen hat sie seit Erscheinen ihres ersten Romans vor fast 25 Jahren schon einige geschrieben. Sondern auch in ihren Bemühungen, sie ständig mit unterschiedlichen Etiketten versehen zu wollen. Als „Designerin des Schreckens“ wurde sie bereits bezeichnet. Als „Höllenfürstin des Theaters“. Oder als „Kassandra des Klamaukzeitalters“. Wer sich jedoch ein wenig mit der in Zürich lebenden Autorin beschäftigt, wird sich sehr schnell ganz gut vorstellen können, dass ihr diese Zuschreibungen herzlich egal sind. Dass sie ihren Twitter-Account mit „Kaufe nix, ­ficke niemanden“ betitelt hat, lässt ebenfalls dar­auf schließen. 

Anzeige
Anzeige

Isolation und Außenseitertum

Themen wie Isolation, Überwachung und das Scheitern an autoritären Systemen kommen bei Berg immer wieder vor. Auf besonders komprimierte Weise in ihrem letzten Roman „GRM. Brainfuck“. Isolation und Außenseitertum spielen aber auch in ihrem 2014 uraufgeführten Kindertheaterstück „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ eine Rolle. Es handelt von der achtjährigen Lisa, die sich mit einem Alien anfreundet. Mit dessen Hilfe kann sie ihr Leben verbessern. Das Stück wird nach dem Lockdown im Vestibül des Burgtheaters gezeigt werden. 

Die BÜHNE hat sich mit der Autorin über die Zukunft des Theaters und das Schreiben von Theatertexten unterhalten. 

Literatur respektive Kunst, die selbstzensiert oder systemzensiert entsteht, kann durchaus bereits jetzt durch eine gute KI ersetzt werden. Spotify arbeitet im Musikbereich bereits daran, und es gibt schon KI-basierte Drehbuchsoftware."

Sibylle Berg über künstliche Intelligenz

BÜHNE: Wenn in vermutlich nicht allzu weit entfernter Zukunft Roboter und Computer unsere Welt beherrschen – mehr noch, als Algorithmen, Filterblasen und Systeme zur Datenüberwachung und -erfassung das ohnehin schon tun –, welche Rolle wird Ihrer Meinung nach die Literatur dann spielen?

Sibylle Berg: Es gibt verschiedene Szenarien. Eines wäre, dass nicht zwingend künstliche Intelligenz das Problem ist, sondern der zunehmende Trend zur Überwachung und zu einer Art faschistoidem Kapitalismus in allen Staaten, der sich beispielsweise in England, mit Vorgaben bei der BBC, jetzt schon zeigt. Und der sich auch dadurch ausdrückt, dass die Spaltung der Bevölkerungen gezielt befeuert wird. Und Literatur teilweise aus Angst vor den Publikums­reaktionen nicht erscheint. Dass Autorinnen und Autoren sich selber zensieren und sich damit überflüssig machen.

Anzeige
Anzeige

Literatur respektive Kunst, die selbstzensiert oder systemzensiert entsteht, kann durchaus bereits jetzt durch eine gute KI ersetzt werden. Spotify arbeitet im Musikbereich bereits daran, und es gibt schon KI-basierte Drehbuchsoftware. 

Und das andere?

Ein anderes Szenario wäre, dass alles noch ein wenig so weitergeht wie jetzt. Die Macht der Plattformen wächst, die Lesefähigkeit junger Menschen schwindet, und Literatur entweder als sehr kleines Randgruppenhobby bleiben oder verschwinden wird. 

Diversität als Alibi-Programm

Wie sieht es mit dem Theater aus?

Wenn es sich nicht langsam der Zeit anpasst, wird es komplett irrelevant werden. Zu 90 Prozent sieht die Realität in großen Theatern unverändert so aus wie vor vierzig Jahren. Dieses seltsame Machthierarchieprinzip in der Leitung, das nicht einmal den Versuch unternimmt, die Realität in kulturaffinen Kreisen zu reflektieren.

Die Leitungen und Programme sind größtenteils immer noch von weißen Männern bestimmt, die ein Programm für ältere weiße Frauen zusammen­stellen. Zwei durchaus relevante Personen­kreise. Der Rest findet oftmals wie als Alibi statt: „Oh, jetzt machen wir mal ein Trans-­Thema, oder wir holen uns ein paar schwarze oder asiatische Schauspielerinnen und Schauspieler.“ Wenn da nicht in den nächsten Jahren eine dramatische Erneuerung des Denkens stattfindet, sehe ich die Aufgaben des Theaters eher im musealen Bereich. 

Theater als Gemeinschaftsarbeit

Können Sie sich noch an Ihren aller­ersten Theaterbesuch erinnern?

Ich glaube, das war in Rumänien, ein Kinder­stück. 

Wie entscheidet sich, ob Sie ein bestimmtes Thema oder auch ein Geflecht aus mehreren Themen lieber in einem Roman oder in einem Theaterstück verarbeiten?

Es ist nicht so, dass ich eine Halde von Themen auf meiner internen Festplatte lagern habe, aus denen ich nach Belieben etwas her­ausziehe. Ich handle immer nach Lage. Ein Buchthema wächst meist über ein, zwei Jahre, bis es reif ist. Stücke entwickle ich oft nach Theater, Regieführenden, eventuell auch den Spielenden. Sie sind eher eine Gemeinschaftsarbeit, die ich aber allein ausführe.

Theaterstücke verlangen nach Verknappung und Unterhaltungselementen. Das ist ein gutes Training für das Schreiben von Büchern. "

Warum ist es Ihnen wichtig, auch Theater­­­texte zu schreiben?

Wegen des Geldes wäre die eine Antwort – die andere wäre: um ­immer wieder mal eine andere Form zu trainieren. Theaterstücke verlangen nach Verknappung und Unterhaltungselementen. Das ist ein gutes Training für das Schreiben von Büchern. 

Am Burgtheater wird ab Februar „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ zu ­sehen sein. Was hat Sie vor etwa sechs Jahren zum Schreiben dieses Stücks bewogen?

Die Anfrage eines Kinder- und Jugendtheaters und dann die ­Erinnerung daran, wie es ist, Kind beziehungsweise ­Jugendliche zu sein.

Warum ist dieses Stück gerade auch für Erwachsene sehenswert?

Na ja, so wahnsinnig entwickeln sich die meisten Menschen ja nicht weiter. 

Zur Person: Sibylle Berg

Alter: 58 Jahre Wohnort: Zürich

Ihr erster Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ erschien 1997 im Reclam Verlag, nachdem er zuvor von rund 50 Verlagen abgelehnt worden war. „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter" ist nach dem Lockdown im Vestibül des Wiener Burgtheaters zu sehen.

Wiener Burgtheater: Mein ziemlich seltsamer Freund Walther

Weiterlesen: Pelléas und Mélisande und die Neugierde, was sich im Inneren tut

Aktueller Spielplan des Burgtheaters