Mirjam Stängls Räume: Diese Bühnen halten sich nie vornehm zurück
Die vielfach ausgezeichnete Bühnenbildnerin Mirjam Stängl erweckt Räume und Dinge zum Leben, sodass man im besten Fall mit ihnen mitfühlen kann. Für „Keeping up with the Penthesileas“ hat sie das Kosmos Theater in eine Wrestling-Arena verwandelt. Popcorn gibt es auch.
„Mein Vorteil ist, dass es für mich keine leeren Räume gibt“, lautet Mirjam Stängls Antwort auf die Frage, ob sich die Fülle an Möglichkeiten, die ein leerer Raum mit sich bringt, auch beengend oder angsteinflößend anfühlen kann. Anders als beim weißen Blatt, das tatsächlich immer nur ein weißes Blatt ist, sei jedem Raum nämlich immer schon etwas eingeschrieben, so die Bühnenbildnerin. „Wenn man ganz genau hinschaut, gibt es immer Qualitäten, die schon da sind und zu etwas einladen. Den Fokus auf diese Dinge zu lenken, kann dabei helfen, den ersten Schritt zu machen.“ Wir sitzen im Kosmos Theater, wo in etwas weniger als zwei Stunden die Generalprobe der österreichischen Erstaufführung des Stückes „Keeping up with the Penthesileas“ von Thomas Köck und Mateja Meded über die Bühne gehen wird. Das feministische Theater am Siebensternplatz wird Stängl etwas später im Gespräch als „Kunstinsel“ bezeichnen. Doch dazu gleich mehr.
Luft nach oben
Dass sie einen Raum niemals als vollkommen leer beschreiben würde, sagt viel darüber aus, wie die 1993 in Wien geborene Bühnenbildnerin ihren Beruf versteht. „Als Forschungsfrage interessiert mich unter anderem, inwieweit es möglich ist, Dinge so zum Leben zu erwecken, dass man als Zuschauer*in Empathie mit dieser dinglichen Welt entwickeln kann“, bringt es Mirjam Stängl auf den Punkt und denkt die Frage noch weiter: „Für mich sind Theaterräume auch Metaphern für unsere Umwelt, die es uns unter anderem ermöglichen, darüber nachzudenken, ob es vielleicht andere, weniger ausbeuterische Wege gibt, Dingen zu begegnen. Und sich vielleicht auch auf intensivere Weise damit auseinanderzusetzen, was bestimmte Materialien in einem auslösen.“ Diese Fragen stelle sie sich jedoch nicht bei jeder Arbeit gleich, sondern vor allem, wenn es zum Projekt passt, hält sie daran anknüpfend fest. Nach einer kurzen Pause setzt sie nach: „Man kann auch Theater weniger menschenfixiert machen, was wiederum auch etwas mit der Wertschätzung für die anderen Gewerke zu tun hat – und auch für den Raum an sich.“
Mangelnde Wertschätzung sei jedoch etwas, von dem das Bühnenbild um einiges weniger betroffen sei als beispielsweise das Kostümbild, das Licht oder die Musik, so Stängl. Luft nach oben gebe es trotzdem. „Wenn unsere Stücke zu Festivals eingeladen werden, ist es häufig immer noch so, dass sich alles um die Regie-Person dreht, obwohl wir das Inszenierungskonzept gemeinsam entwickelt haben. Meiner Meinung nach ist das etwas, das dem altmodischen Bedürfnis nach einem Universalgenie entspringt. Nur wenn man als Kollektiv auftritt, ändert sich das ein bisschen, aber in Wahrheit ist Theater ja immer Teamsport. Dennoch gibt es nach wie vor die Vorstellung, dass die Regie immer das letzte Wort hat, was aber auch deshalb nicht gerecht ist, weil man ja nicht nur einer Person die gesamte Verantwortung aufbürden möchte.“
Kraft der Behauptung
Für „Keeping up with the Penthesileas“ hat Mirjam Stängl, die 2023 von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Bühnenbildnerin des Jahres gewählt wurde, einen Wrestling-Ring gebaut. Das Stück, das im Kosmos Theater von Anna Marboe inszeniert wird, verschränkt die Welt der griechischen Amazonen mit jener von Kim, Kylie und Co – den Amazonen des digitalen Kapitalismus. „Die Idee, dass es Kampfrunden gibt, ist schon im Stück angelegt und wird durch unsere Raumsetzung zusätzlich verstärkt. Außerdem gibt es eine spannende Verbindung zwischen Theater und Wrestling, weil beides auf der Kraft der Behauptung und bestimmten Verabredungen mit dem Publikum basiert.“ Passt also wie die Faust aufs Auge.
Mit detailliert ausgearbeiteten Kostümen, einer Popcorn-Maschine und einer veränderten Publikumssituation versucht der Abend ein Happening zu schaffen, das etwas über die Absurdität unseres Gesellschaftssystems erzählt. Im Stück selbst wird dieses unter anderem als „Kaputtalismus“ bezeichnet. „Einerseits gibt es einen produktiven Kampfgeist, andererseits werden die Kämpfe, die man ausficht, sofort vom Kapitalismus vereinnahmt und damit ad absurdum geführt. Das gilt auch für feministische Bewegungen“, sagt Mirjam Stängl.
In Wien war ihre Arbeit zuletzt in der Inszenierung „Zwiegespräch“ im Akademietheater zu sehen. Die Produktion wurde zum Berliner Theatertreffen 2023 eingeladen und die Bühnenbildnerin mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. „Mirjam Stängls Bühnenbild gehört der erste Auftritt in Rieke Süßkows Inszenierung von Peter Handkes Text ‚Zwiegespräch‘: Knarzend und quietschend wird ein raumfüllender Paravent über die Bühne des Akademietheaters gezogen“, hieß es in der Jury-Begründung. Und weiter: „Diese Bühne hält sich nie vornehm zurück. Sie spielt mit, greift ein, sorgt für anhaltendes Staunen."
Ihre Herangehensweise beschreibt Stängl deshalb als eher ungewöhnlich, weil sie meistens versuche, ein körperliches Gefühl zu finden, das ein Text oder ein Thema bei ihr auslöst. „Ich beobachte, was in meinem Körper passiert und probiere, dafür einen Raum zu finden oder diese Gefühle in Bilder oder Bewegungsqualitäten zu übersetzen“, hält sie fest. „Manchmal gibt es auch ein Material, das mich in Bezug auf das Thema besonders interessiert und mit dem ich mich dann intensiv auseinandersetze.“
Kunstinseln erhalten
Ihr Interesse an unterschiedlichen, oft außergewöhnlichen Materialien und Bewegungsmechanismen kommt ihr auch beim haptischen und handwerklichen Teil ihrer Arbeit sehr zugute. „Ich komme aus der freien Szene und mag das sehr. Es ist zwar anstrengend, so viel selbst zu machen, gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass bei mir im Umgang mit Materialien viele gute Ideen entstehen. In der Werkstatt kann ich tiefe Beziehungen zu den Materialien aufbauen und versuche diese dann dem Publikum zu übermitteln“, so Stängl.
Bevor sich unsere Wege wieder trennen, wollen wir noch von der Bühnenbildnerin wissen, ob sie lieber am Stadttheater oder in der freien Szene arbeite. Sie hält kurz inne, dann antwortet sie: „Entweder die freie Szene mit mehr Geld oder Stadttheater mit den Leuten aus der freien Szene“. Mirjam Stängl lacht, dann vertieft sie ihre Antwort: „Was ich in der freien Szene künstlerisch extrem fruchtbar finde, ist, dass meistens Leute zusammenkommen, die wirklich zusammenarbeiten wollen – an Projekten die sie sehr interessieren. Häufig ist es aber auch ein prekäres und anstrengendes Arbeiten, weil es damit einhergeht, jede Naht selbst zu machen und jede Schraube selbst anzuziehen. Das ist physisch und organisatorisch so anstrengend, dass ich das nicht immer machen könnte.“
Eine Lösung wäre, die freie Szene finanziell besser zu unterstützen, hält sie daran anknüpfend fest. „Außerdem fände ich es gut, wenn die Stadttheater die Qualitäten der freien Szene mehr übernehmen würden. Die Proben zum Beispiel an die Anforderungen des Projekts anpassen. Um etwas Neues oder Besonderes zu schaffen, was sich ja viele große Theater wünschen, braucht es nämlich auch neue oder besondere Bedingungen. Darüber hinaus fände ich es wichtig, die finanziellen Mittel gerechter zwischen der freien Szene und den Stadttheatern zu verteilen, damit auch solche Kunstinseln wie das Kosmos Theater weiterhin relevante Kunst machen können."
Zu den Spielterminen von „Keeping up with the Penthesileas“ im Kosmos Theater!