Wenn Weißer Spritzer zu Weißweinschorle wird und sich Wohnungsbesichtigungen plötzlich als Massenveranstaltungen mit Hang zur ausgefeilten Ellenbogentechnik herausstellen, ist das zumeist die Folge eines Umzugs von Wien nach Berlin. So ähnlich gestaltete sich das auch bei Schauspielerin Lili Epply, die seit dieser Spielzeit Teil des Berliner Ensembles ist. Im August ist sie umgezogen, ihre erste Premiere hat sie bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Zum Vorsprechen wurde sie auf Empfehlung der Regisseurin Christina Tscharyiski eingeladen, erzählt die 1995 in Wien geborene Schauspielerin. „Ich habe mich direkt wohl am Haus gefühlt und mich sehr für die Fragen interessiert, die hier gestellt und verhandelt werden“, fügt sie hinzu. Schon vorher hat Lili Epply, die in den vergangenen Jahren für Filme wie „Erik und Erika“ und „Südpol“ vor der Kamera stand, eine große Sehnsucht nach der Theaterbühne gespürt.

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Bauchgefühl

Nach der Schauspielschule, die sie 2018 abschloss, hat sich Lili Epply bewusst gegen ein fixes Engagement entschieden. „Aus einem Bauchgefühl und dem inneren Bedürfnis heraus, mich noch nicht festzulegen“, erklärt sie. „Ich wollte erstmal außerhalb eines Systems klarkommen, es aushalten, dass kein Rhythmus vorgegeben wird. Dadurch habe ich auch gelernt, proaktiv Entscheidungen zu treffen, was nicht unbedingt meine Lieblingsaufgabe ist“, ergänzt sie lachend. Nun ist sie aber felsenfest davon überzeugt, am Berliner Ensemble angekommen und gut aufgehoben zu sein. „Das Bedürfnis nach fünf verschiedenen Orten ist verschwunden“, fügt sie hinzu.

Lili Epply: Zwischen Theaterdurst und Soda Zitron
Ab 4. Februar ist Lili Epply in dem Monologabend „Möwe" zu sehen.

Foto: JR Berliner Ensemble

Wenn sie möchte, kann sie außerdem immer noch an fünf verschiedenen Orten gleichzeitig sein – und braucht ihren neuen Arbeitsplatz dafür nicht einmal zu verlassen. Denn am Berliner Ensemble begeistert sie unter anderem, wie vielfältig die Aufgaben sind, die auf sie zukommen. „Ich werde zum Beispiel einen Monologabend machen“, verkündet sie freudestrahlend. Sie fügt hinzu, dass es sich dabei um jenen Monolog handeln wird, den sie gemeinsam mit Schauspielerin Sarah Viktoria Frick in ihrer Schauspielschulzeit erarbeitet hat und den sie auch beim Vorsprechen am Berliner Ensemble präsentierte.

„Oliver (Oliver Reese, Intendant am Berliner Ensemble, Anm.) hat mir gleich beim Vorsprechen gesagt, dass wir daraus etwas machen. Und er hat es wahr gemacht“, so Epply. Am Berliner Ensemble herrscht eine Atmosphäre, in der zugehört wird, schildert sie. „Dadurch entsteht eine wache Arbeitsatmosphäre, die wiederum die Grundlage für einen vielfältigen Spielplan ist, finde ich. Weil man den Bezug zum Heute nicht nur durch die Stückauswahl selbst, sondern durch den gemeinsamen Zugriff auf einen Stoff schafft.“

Katharina Beatrice Hierl, Lili Epply, Sophie Scherrieble, Jasha Deppe, Marine Madelin. Lea Nora Härtel in „Hexenjagd" am Berliner Ensemble.

Foto: Matthias Horn

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Nachspüren und Verbindungen schaffen

Nach ihrem Umzug nach Berlin ging es auch schon in ihre erste Arbeit am Berliner Ensemble – Mateja Koležniks Inszenierung von Arthur Millers Stück „Hexenjagd“. Lili Epply spielt Abigail Williams, eine der Hexerei bezichtigte junge Frau, die mit dem Pfarrer Samuel Parris verwandt ist und ein Verhältnis mit dem Bauern John Proctor hatte, dessen Frau sie, um sich selbst zu schützen, ihrerseits als Hexe denunziert. „Abigail geht über Grenzen und agiert rücksichtslos.

Meiner Meinung handelt sie aber auch aus Liebe und aus einem sehr scharfen Blick auf gesellschaftliche Umstände heraus. Sie trägt sehr viel Stärke, aber auch eine große Zerstörungskraft in sich“, erklärt die Schauspielerin. Sie setzt jedoch gleich nach, dass es ihr schwerfällt, von außen auf eine Rolle zu schauen, wenn sie ihr schon so nahe ist. Aus dem Blickwinkel der Moral möchte sie keinesfalls auf ihre Figuren schauen, sondern lieber ihren Beweggründen auf den Grund gehen, nachspüren und Verbindungen schaffen. Auch tief in ihre Abgründe hinein.

Die persönliche Anbindung an ihre Rollen entsteht bei Lili Epply über verschiedene Bezugspunkte. „Was ich immer mache, ist eine Playlist für die Figur zu erstellen“, sagt sie. Außerdem versucht sie als Vorbereitung auf ihre Rollen verschiedene Eindrücke zu sammeln, wachsam zu sein, viel ins Gespräch zu kommen, zu lesen und Filme und Serien zu schauen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die ihr dann plötzlich auffallen, die sie zu integrieren und weiterzuverarbeiten probiert.

Platz für Geheimnisse

Die Probenarbeit mit Mateja Koležnik hat sie als sehr schöne Erfahrung in Erinnerung behalten. Vor allem ihr genaues Hinschauen und Hinterfragen ist ihr im Gedächtnis geblieben. „Dadurch konnte sie mir die Dinge so vermitteln, dass sie für mich körperlich und haptisch umsetzbar wurden“, erzählt sie. Als sehr bereichernd empfand sie auch, dass mit Magdalena Reiter auch eine Choreografin an der Produktion beteiligt war. „Ich finde diese Ebene der nonverbalen Kommunikation zwischen zwei Körpern total spannend. Auch wenn es eigentlich ein Stück ist, in dem sehr viel gesprochen wird, in einem Bühnenbild, das sehr viel verdeckt, wodurch die Inszenierung teilweise zum Hörspiel wird. Es ist Platz für Geheimnisse.“

Lili Epply in Mateja Koležniks „Hexenjagd".

Foto: Matthias Horn

Die physische Ebene, die im Theater eine deutlich größere Rolle spielt als im Film, bedeutet Lili Epply sehr viel. Das rührt unter anderem auch daher, dass die Schauspielerin lange getanzt und sogar eine Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper absolviert hat. Obwohl ihr diese Frage immer wieder gestellt wird, hat Epply nicht das Gefühl, dass sie durch den Umstieg von einer Kommunikations- und Ausdrucksform auf eine andere, etwas verloren hätte. Ganz im Gegenteil, „es ist eher etwas dazugekommen“, sagt sie. Aus ihrer Tanzausbildung hat Lili Epply eine Wachsamkeit für ihren Körper mitgenommen. „Ich halte es für wichtig, vor allem in Berufen, in denen man zu einem Großteil mit sich selbst arbeitet, in sich selbst hineinzuhorchen. Daran muss ich mich aber auch selbst immer wieder erinnern.“

Soda Zitron und Wiener Leitungswasser

In all dem Umzugstrubel war das Berliner Ensemble für Lili Epply ein wichtiger Ankerpunkt. „Hier hatte ich immer das Gefühl angekommen zu sein, was mir in einer Stadt wie Berlin auch wichtig ist. Ich hatte einen Ort, an dem sich alles fokussiert". Und in der hart erkämpften Wohnung läuft mittlerweile sogar die Internetverbindung einwandfrei. Gibt es trotzdem Dinge, die ihr fehlen? „Das Soda Zitron geht mir schon sehr ab. Und das Wiener Leitungswasser“, antwortet sie lachend. Lernt man Lili Epply kennen, wird jedoch sehr schnell klar, dass diese Dinge keine allzu große Rolle spielen, solange ihr Durst nach neuen Bühnenerfahrungen gestillt ist.

Foto: Julian Baumann

Zur Person: Lili Epply

Lili Epply, geboren in Wien, sammelte während ihrer Schulzeit erste Bühnenerfahrung im Rahmen ihrer Tanzausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper sowie als Teil der Jungen Burg am Burgtheater. Sie studierte Schauspiel am Thomas Bernhard Institut des Mozarteum Salzburg. Nach ihrem Abschluss folgten diverse Gastengagements, etwa am Schauspielhaus Wien oder dem Burgtheater. Außerdem steht sie regelmäßig für Film und Fernsehen vor der Kamera. Seit der Spielzeit 2021/22 ist sie Teil des Berliner Ensemble.

Zum Spielplan des Berliner Ensemble