Let’s make „Tannhäuser“ so richtig great again!
Wagner hat „Tannhäuser“ groß gedacht, und so setzt ihn Regisseurin Lydia Steier auch um. Inklusive Traumbesetzung, spektakulärer Bühnenbilder und Showeffekten, die alle lieben werden – ausgenommen die üblichen Verdächtigen.

Foto: Hilde van Mas
Wagner groß machen? Wie soll das gehen? Und warum? Braucht es das überhaupt? Ist er nicht groß genug? Spätestens jetzt werden die ersten auf Bewahrer-Krawall gebürsteten Radaubrüder am Stehplatz unruhig.
Lydia Steier, die Regisseurin, lacht. „Man muss sich bei Wagner große Bühnenbilder ausdenken, damit man sich nicht in den unglaublichen Melodien und in eine musikalische Ekstase verliert. Erst dann können sich die Musik, die Geschichte und auch die gesellschaftliche Botschaft vermischen. Es ist viel anstrengender, als einen Puccini oder Verdi zu inszenieren – die Phrasen sind länger, die Emotionen bei Wagner brauchen mehr Zeit. Wir werden daher eine sehr lyrische Bildsprache verwenden, die die Musik sichtbar macht. Alles ist von großem Respekt getragen und huldigt dem musikalischen Werk.“
Na, bitte. Wer buht da noch?
Konkret wird es zwei Bühnenbilder geben, aber dazu später.
Am Anfang alles verraten
Zuerst ein kurzer Exkurs zum Werk. Wer’s kennt – bitte auf der nächsten Seite weiterlesen.
Da wäre einmal die Musik. Wagner war ein Meister der Leitmotive – und die starten in der Ouvertüre: Hier werden alle Themen vorgestellt, um die es später geht und die immer wieder in variierter Form wiederkehren.
Im „Tannhäuser“ geht es um zwei Dinge: Glaube und Lust, also Religion und Sex – oder höflicher: den Kampf zwischen profaner und sakraler Liebe.
Sex als Musik
In der Ouvertüre klingt das dann so: Sie beginnt ganz zart, wie ein Kirchenlied. Die Musik schwillt an. Dann in Minute fünf ein neues Thema, das zu hymnischen Höhepunkten (sechste und neunte Minute) führt und dann in sich zusammenfällt. Haben Sie erotische Vergleiche im Kopf ? Sie liegen richtig. Am Ende dann das religiöse Thema vom Anfang, das auch einen letzten Höhepunkt bekommt. So viel zur unerreicht schönen Musik.
Und der Inhalt? Kurz gefasst: Der Dichter Tannhäuser wird Venus (Lust) entrissen und müht sich durch den langen Weg der Suche nach der Liebe Gottes und Elisabeth (Keuschheit). Nutzt es was? Nein. Am Ende sind alle tot.
Mit dieser Kurzfassung steigen wir wieder ins Gespräch mit der Regisseurin ein. Sie lacht. Das ist nett.

Foto: Sandra Then
Große Bühnenshow
„Bei Tannhäuser ist es wichtig, zu überlegen, wie man die Längen überspielt und wie man sie mit Bildern füllt, die das Denken anregen, ohne zu stören. Es müssen poetische Bilder sein, die die Musik unterstützen. So werden wir die Spannung zwischen Leidenschaft und Pflicht unter die Lupe nehmen. Wir untersuchen moderne Themen durch den Filter des frühen 20. Jahrhunderts und bleiben bei dieser Suche bei der großen Show, den großen Bildern und Bühnenaktionen.“
Die zwei Bühnenbilder
Zwei Bühnenbilder gibt es. Das eine sieht aus wie einem Dom entnommen: in der Mitte ein großer Bogen und an beiden Seiten Stiegenaufgänge und riesige Kirchenfenster und Kanzeln. Alles dunkel gehalten. Das zweite hingegen ist ein heller großer Raum – ein Lokal, das sich über mehrere Etagen zieht. Dahinter eine Gründerzeit-Hausfassade.
Es sind Miniaturen, die man uns in der Probebühne gezeigt hat – wie beeindruckend sie auf der Bühne der Staatsoper wirken werden, kann man nur erahnen.

Foto: Hilde van Mas
Glitzerregen und große Show
„Ich glaube fest daran, dass in die Tiefe gehende Analysen unserer Zeit mit schlauer Unterhaltung kompatibel sind“, so Steier, die nicht davor zurückscheut, große tragische Opern mit Tanz- und Shownummern auszustatten. Eines dieser Showelemente bei „Tannhäuser“ sei hier verraten: Im ersten Akt werden vier Akrobatinnen aus dem Venusberg hochfliegen und Glitzer regnen lassen. Machen Sie nur: Sexualisieren Sie die Szene. Könnte stimmen ...
„Leidenschaft und Pflicht ist genau das, was wir alle in der Kunst leben. Tannhäuser ist auf der Suche nach etwas, wonach sich sein Herz sehnt.“
Sind das nicht alle unsere Herzen? Wir gehen in der Probebühne im Arsenal einen Stock tiefer, wo sich in einer Garderobe gerade Clay Hilley einsingt.
Die Sache mit dem Heldentenor
Er ist der neue Tannhäuser. Der gebürtige Amerikaner lebt mittlerweile in Berlin, er ist das erste Mal in Wien – und liebt es. Das freut uns.
„Ich mag diese unreifen Momente bei ‚Tannhäuser‘. Im Sängerkrieg, wenn alle über die hohen poetischen Ideale von Romantik, Pflicht und Ehre reden, sagt er: ,Ihr versteht euer Leben überhaupt nicht. Ich habe Dinge gesehen, die ihr nicht gesehen habt.‘ Er macht klar, dass es im Leben um Vergnügen und Genuss geht und keine Regeln gelten. Er lässt die anderen spüren, dass sie eh gute Jungs sind, aber dass sie ihr Leben ein bisschen leben sollten.Tannhäuser ist wie Siegfried, er traut nur sich selbst.“

Foto: Hilde van Mas
Clay Hilley ist Heldentenor. Wie wird man das überhaupt?
Hilley lacht: „Ja, ich habe die richtigen physischen Eigenschaften: Stimmbänder, Resonanzraum, meinen Schädel. Das alles muss so beschaffen sein, dass es ein Wagner-, Strauss-, Beethoven-Orchester durch- dringen kann. Und ich habe einen wunderbaren Mentor: Jon Frederic West, bei dem ich jedes Jahr mindestens eine Woche verbringe, um zu üben, um zu lernen.“
Die besten Stimmen
Man merkt Clay Hilley die Freude an, dass er an der Wiener Staatsoper sein Debüt geben wird. An seiner Seite Publikumslieblinge wie Günther Groissböck, Martin Gantner und Malin Byström, Ekaterina Gubanova, Ilia Staple u.v.a.
„Das sind alles großartige Sänger, alles nur die Besten – und ich spreche da nicht von mir“, sagt Hilley. Schaut verschmitzt, lacht und freut sich darüber, wie Regisseurin Lydia Steier den „Tannhäuser“ inszenieren wird: „Die Art, wie Oper gemacht wurde, ist viele Jahre in eine sehr minimalistische Richtung gegangen. Die Menschen haben Straßenkleidung getragen, und es gab sehr wenig Kulissen. Alles sehr spartanisch. Die Staatsoper geht da einen ganz anderen Weg: mit den Tanzszenen, mit diesem gigantischen Bühnenbild, das inhaltlich perfekt passt. Das wird ein ganz, ganz großes Spektakel – das ist Wagner. Ich glaube, so hat er es sich auch vorgestellt.“
Das sehen manche sicher anders.
Wagner-Opern werden von vielen Traditionalisten wie Gottesdienste gefeiert, alles Neue vehement abgelehnt. Witzig, bei einer Oper, in der unter anderem Sex verhandelt wird.

Foto: Hilde van Mas
Broadway-Gefühle
Clay Hilley schaut ernst und meint: „‚Tannhäuser‘ wird eine Oper, in die nicht nur Fans gehen werden, sondern in die man auch als Paar gehen kann, wenn man einen schönen, spannenden, bewegenden Abend erleben möchte.“
Und weiter: „Es wird emotional, wie eine sehr große Broadway-Produktion, jedoch mit unverstärktem, richtigem Operngesang. Aber alle Gefühle, die Menschen bei Musicals empfinden, werden wir auch abrufen. Man muss keine Angst vor Wagner haben. Das – so glaube ich – können wir in diesem Stadium garantieren.“