Esmeraldas Sex-Appeal ist eigentlich ein großes Missverständnis. Die verführerische Tänzerin mimt sie nur, um ihr Überleben zu finanzieren. In der Filmgeschichte wurde sie jedoch meist als berechnend-egoistische Femme fatale dargestellt. Ab Oktober wird sie in der Inszenierung des „Glöckners­ von Notre Dame“ im Theater der Jugend kein Objekt, kein Opfer, sondern eine starke Frau mit Mut zur eigenen Meinung sein. In der Neubearbeitung des britischen Regisseurs und Theatermachers Jethro Compton wird der Stoff mit nur vier Personen erzählt und bekommt dadurch den Charakter eines Kammerspiels. Die Geschichte wird auf die Hauptfiguren Esmeralda, Quasimodo, Frollo und Phoebus und deren Konflikte verdichtet. 

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Disney und soziale Gerechtigkeit

„Ich fand ja Disney am besten“, sagt Frank Engelhardt, der den Quasimodo spielen wird. Soffi Povo, die Esmeralda, nickt und ergänzt: „Bei Disney war Esmeralda ein denkender Mensch und nicht nur ein Objekt der Begierde.“ Anders als im 1831 erschienenen Roman von Victor Hugo und in zahlreichen Verfilmungen hat sie in der Adaption von Walt Disney trotz ihrer prekären Lebensumstände ihren Mut und ihren Gerechtigkeitssinn nie aufgegeben. „Du sprichst von Gerechtigkeit, aber du bist grausam gegenüber denen, die deine Hilfe am dringendsten brauchen“, entgegnet sie ihrem Antagonisten Claude Frollo, als er den körperlich missgestalteten Quasimodo unpassenderweise bestrafen will. Bei Disney durfte sie mehr als sexy sein: Sie setzt sich für Unterdrückte und soziale Gerechtigkeit ein.

Sie freue sich sehr, eine starke und emanzipierte Frau darzustellen, sagt ­Soffi Povo: „Ich glaube, dass ich viel von ihr lernen kann, denn ich selbst bin eher konfliktscheu.“ Diese Inspiration will sie auch auf die Mädchen überspringen lassen, vor denen sie spielen wird. Als Jungschauspielerin möchte Povo selbst vermeiden, in die „sexy Schub­lade“ eingeordnet zu werden. „Ich finde das gewollt Erotische oft sehr unerotisch“, sagt sie.

Kinder als brutales Publikum

Die Ausgrenzung, Vorurteile, gesellschaftliche Stimmungsmache und die Rolle der Frau: Die Themen, die im Stück behandelt werden, sind aktueller denn je. Engelhardt freut sich auf die Rolle des Antihelden Quasimodo. Diese werde nicht zuletzt dadurch sympathisch, weil er Esmeralda nicht ­sexualisiere, sagt er: „Wir wollen weg davon, ein Monster zu schaffen. Mein Quasimodo wird extrem verletzlich. Ein kindlicher Außenseiter.“ 

Schauspieler Frank Engelhardt spielt seit 2009 am Theater der Jugend.

Foto: Atha Athanasiadis

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Apropos Außenseiter: Wie ist das Standing als Schauspieler im Kindertheater? Wird man von Kollegen weniger ernst genommen? „Ich glaube schon. Ich hatte aber noch nie eine Sinnkrise, seit ich Kinder- und Jugendtheater spiele“, sagt Engelhardt. Am schönsten sei es für ihn, wenn er Kinder verzaubern kann. „Manchmal kriegt man sie aber nicht“, sagt Povo und lacht. „Kinder entscheiden in der ersten Sekunde, zu wem sie halten.“ Ja, es sei ein sehr direktes Publikum, ergänzt Engelhardt: „Im besten Sinne brutal.“

Zur Person: Soffi Povo

Alter: 29 Jahre
Wohnort: Wien
Rolle: Esmeralda
Die Wienerin mit spanischen Wurzeln wollte schon als Kind Schauspielerin werden, um „viele Leben auszuprobieren“. Lobeshymnen der Kritiker gab es zu Jahres­beginn für ihre Darstellung der Hedy Lamarr am Wiener Schubert Theater. 

Zur Person: Frank Engelhardt

Alter: 46 Jahre
Wohnort: Wien
Rolle: Quasimodo
Dem Saarländer wurde als jüngstem Spross einer Familie von ­Bergleuten die Liebe zum Theater nicht gerade in die Wiege gelegt. Das ­änderte sich, als ihn sein Bruder, ein Techniker bei einem Kindertheater, zu einer Vorstellung mitnahm. Seit 2009 ist er am Theater der Jugend.

Termin und Karten

Premiere: 20.10.2020

Was: „Der Glöckner von Notre Dame“
Wann: bis 12. Dezember
Wo: Theater im Zentrum tdj.at

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