Der zerschlissene Stuhl steht unter einem Glassturz in der Comédie-Française. Er erzählt von allem, was Theater ausmacht: Besessenheit, Leidenschaft, Radikalität und Schonungslosigkeit. Es ist der Stuhl, auf dem Jean-Baptiste Molière seine vierte und letzte Vorstellung als eingebildeter Kranker spielte. Wegen eines Blutsturzes musste der Dichter vorzeitig die Bühne verlassen. Das Publikum lachte sich am 17. Februar 1673 schief, es hielt den hastigen Abgang für eine komödiantische Einlage des Theatergenies. Wenige Stunden später stirbt der 51-jährige Molière noch im Kostüm.

Anzeige
Anzeige
Karin Bergmann Gmunden

Holen wir den Club der toten Dichter zurück!

Wie schafft man es, junge Menschen davon zu überzeugen, dass es fast nichts Aufregenderes, Anarchistischeres, Intimeres gibt als einen guten Theaterabend? Karin Bergmann über Shakespeare als Einstiegsdroge und die Wiederbelebung des Clubs der toten Dichter. Weiterlesen...

Und heute? Bei Sondierungsgesprächen sollen manchmal Sätze der Machthaber gegenüber ihren potenziellen Ensemble-Mitgliedern wie folgt fallen: „Sorry, ich war so busy, ich hatte tatsächlich keine Zeit, Sie zu googeln.“ Wer irgendwann ein bisschen tiefer in die Psyche von Schauspielern gesegelt ist, weiß, dass dieser Grad der Respektlosigkeit sich in nahezu unheilbaren Kränkungen niederschlagen kann. Denn Schauspieler sind durchlässiger und verwundbarer als jede andere Berufsgruppe; sie brauchen Beachtung wie Sauerstoff, nur im Schutzmantel der Wertschätzung kommen sie auf der Bühne in den Zustand, den Nicholas Ofczarek einmal als „das Schweben“ bezeichnet hat.

„Ich mache diesen Beruf nur, weil ich Schauspieler so sehr liebe“, sagte Karin Bergmann, die mit der gleichen Akribie und Hingabe, mit der sie das Burgtheater einst wieder hell machte, jetzt die Festwochen Gmunden leitet. Ich freue mich auf den „Sturm“ in der Regie von Moritz F. Beichl mit Sona MacDonald im Part des Prospero, der dort Premiere feiert.

Beim „Schwimmenden Salon“, dem Festival, das ich kuratieren darf, habe ich viel gelernt, vor allem, dass man nichts auf die leichte Schulter nehmen darf. „Wir sind doch nur Springmäuse“, seufzte Stefanie Reinsperger, die heuer mit Sebastian Wendelin (am 5. Juli) in „Amour fou“ im Vöslauer Thermalbad durch den Jazz unmöglicher Lieben tanzen wird, einmal in Selbstironie. Tatsächlich sind Schauspieler emotionale Akrobaten, die aus großer Fallhöhe operieren und vor allem dann glücklich sind, wenn „wir Fleisch zwischen die Zähne kriegen“, so Christiane Hörbiger über gute Rollen und Texte.

Festwochen Gmunden

Die Ruhe vor dem Sturm

Karin Bergmann weiß, wie sich die Herzen der Theaterfans im Sturm erobern lassen. Mit Shakespeares „Sturm“ zum Beispiel. Aber auch mit Stars wie Sona MacDonald, Joachim Meyerhoff, Mavie Hörbiger und Philipp Hochmair. Wir haben alle Details zum Programm der Salzkammergut Festwochen Gmunden. Weiterlesen...

Thomas Bernhard war in solch vorauseilender Panik, dass seine Texte von „Zweiten“ (wie Peymann das Mittelmaß lapidar bezeichnet) belebt werden, dass er mit dem Titel seines Stücks „Ritter, Dene, Voss“ keine Besetzungszweifel aufkommen ließ. In Gmunden werden Hochmair/Hörbiger/Fritsch die Zerfleischungsorgie eines dysfunktionalen Geschwister-Trios in einer szenischen Lesung wieder auferstehen lassen. Mit welcher – stellenweise durchaus auch zärtlichen – Brutalität Regisseure Liebes-Missbrauch betreiben, kann man hinreißend in Klaus Pohls schreibtherapeutischer Aufarbeitung von Peter Zadeks legendärer „Hamlet“-Inszenierung „Sein oder Nichtsein“ nachlesen; Joachim Meyerhoff soll Gerüchten zufolge die Zadek-Dramen hinter der Shakespeare-Tragödie zu einem Film werden lassen.

Anzeige
Anzeige

Stürzen wir uns also in einen Sommer voller Theaterbesessener: Paulus Manker peitscht seine Almas diesmal durch das Südbahnhotel, Maria Happel lässt Petra Morzé und Marcello De Nardo in Reichenau als „Präsidentinnen“ ins Klo greifen, und Michael Maertens erweckt in Salzburg einen neuen „Jedermann“ zum Leben. Und noch immer gilt, was Max Reinhardt bereits 1920 verkündete: „Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater.“ Das kann man googeln.