Das Interview mit Sopranistin Hedwig Ritter findet im ehemaligen Büro von Robert Meyer statt. Auf Wunsch von Lotte de Beer wurde es in ein Besprechungszimmer umfunktioniert. Das passt gut zum neuen Geist des Volksoper, der Anfang der Saison 2022/23 mit der gebürtigen Niederländerin das Opernhaus eingezogen ist. Wobei das Wort Geist in diesem Zusammenhang möglicherweise ein wenig irreführend ist, denn die Volksoper ist alles andere als ein Geisterhaus. Ganz im Gegenteil – das in der Währinger Straße beheimatete Opernhaus ist ein Ort, der vor Lebendigkeit nur so strotzt. Eine Inszenierung, die auf besondere Weise Zeugnis davon ablegt, ist „Orpheus in der Unterwelt“.

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Inszeniert von Spymonkey, einer der bekanntesten Physical-Comedy-Gruppen Großbritanniens, ist Jacques Offenbachs Operette ebendort gerade als bunte, durchgeknallte Clown-Show zu sehen. Rote Nasen? Fehlanzeige. „Wir sind keine Clowns mit roten Nasen und Perücken. Wir sind Clowns mit einer großen Leidenschaft für das Theater und die Schauspielerei“, erklärt Toby Park, einer der Mitbegründer von Spymonkey, sein „Theatre of the Funny“. Bevor es in die Probenarbeit ging, führte er das Volksopern-Ensemble gemeinsam mit seinem kongenialen Partner Aitor Basauri an die für die Truppe typische Spiel- und Arbeitsweise heran. Mit dabei: Hedwig Ritter, die sich Toby und Aitor als Eurydike gewünscht hatten.

Toby Park aus „Orpheus in der Unterwelt“

Lasst die Spiele beginnen

Wo Spymonkey draufsteht, ist viel Theater drin. Aber auch eine ganze Menge Physical Comedy und Clownerie. Das ­ergibt einen sprudelnden Cocktail aus exquisiten Bühnenzutaten, der nun Offenbachs „Orpheus“ in neues Licht taucht. Weiterlesen...

Neue Verletzlichkeit

Die 1995 im Südburgenland geborene Sängerin gehört seit dieser Spielzeit zum Ensemble der Volksoper. „Ich konnte aus der Probenzeit unglaublich viel mitnehmen“, erzählt sie im Interview, das wenige Tage nach der Premiere von „Orpheus in der Unterwelt“ stattfindet. „Schon im ersten Workshop mit Toby und Aitor, der vor ungefähr eineinhalb Jahren stattgefunden hat, ist viel in mir passiert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich am Abend oft geweint habe und gar nicht wusste, warum. Nicht weil ich traurig war, sondern weil ich eine neue Art der Verletzlichkeit gespürt habe“, erzählt die Sängerin.

Nach der umjubelten Premiere kamen Toby Park und Aitor Basauri auf sie zu, um ihr zu sagen, dass ihnen von Anfang an klar war, dass sie ein Clown sei. „Sie meinten, dass sie mir nur zeigen mussten, wie ich dieses Potenzial nutzen und damit umgehen kann. Und das haben sie auch getan“, fügt sie mit hellwachem Blick hinzu. Dass sich dieser Moment tief in ihr Gedächtnis eingegraben hat, steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Hedwig Ritter als Eurydike in der Volksoper

Kein süßes Mäuschen: Die Inszenierung ist ein Befreiungsschlag für die Figur der Eurydike. Foto: Barbara Pálffy/Volksoper

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Die Befreiung der Eurydike

An die gemeinsame Arbeit denkt sie auch deshalb gerne zurück, weil sie in den Proben nie das Gefühl hatte, etwas verstecken zu müssen. „Mir wurde nie gesagt, dass ich so nicht gehen darf oder mich so nicht bewegen soll. Weil man als Clown aus allem etwas machen kann, gab es nichts, das nicht angenommen und wertgeschätzt wurde. Das habe ich sehr genossen, obwohl die anfängliche Leere, die mit der Improvisationsarbeit einherging, für mich nicht immer einfach auszuhalten war.

Toby und Aitor mussten mir oft sagen, dass ich einfach loslegen kann und es schon passen wird“, fasst die Sopranistin zusammen. Den Perfektionismus, der im Klassikbetrieb häufig den Ton angibt, konnte sie bei dieser Inszenierung also ein wenig hinter sich lassen. „Im Grunde bringe ich mich nur in den Zustand, der zu dem Stück passt und verhindere nicht, was ohnehin zu mir gehört“, bringt sie es auf den Punkt. Hin und wieder fallen ihr zu Hause neue Nuancen ein, die sie dann in den Vorstellungen ausprobiert. Wie das ankommt? „Bislang haben immer alle gelacht“, sagt Hedwig Ritter und muss nun selbst schmunzeln.

Dazu passt auch, dass die Figur der Eurydike in der Spymonkey-Inszenierung alles andere als ein süßes Mäuschen ist. „In unserer Fassung befreit sie sich am Ende. Damit kann ich mich sehr gut identifizieren“, so Ritter. 

Eines meiner größten Ziele ist es, auf der Bühne ich selbst sein zu können und nichts von mir verstecken zu müssen.

Hedwig Ritter

Erweckungsmoment

Musik war auch schon in ihrer Kindheit ein großes Thema, erzählt sie – und setzt nach: „Mein Opa hat mit dem Akkordeon ein Lokal unterhalten, meine Tante und mein Onkel haben in einer Coverband gespielt und meine Mama leitete lange einen Kinderchor. Es gab viel Interesse an klassischer Musik, wobei Oper so gut wie nie vorkam.“ Ihr Interesse galt zunächst ohenhin einem Instrument: Mit sechs Jahren fing Hedwig Ritter an, Trompete zu lernen, vier Jahre später begann sie das Instrument in Oberschützen auf Vorbereitung zu studieren.

Im Alter von 14 Jahren kam zum Trompetenstudium Gesangsunterricht dazu, doch so richtig wollte der Funke noch nicht überspringen. Bis zu einer Fernsehübertragung der Oper „Rigoletto“ mit Diana Damrau in der Rolle der Gilda. „Das war mein Erweckungsmoment“, hält die Sängerin lachend fest. Von diesem Moment an gab es für die gebürtige Südburgenländerin nur noch den Operngesang. Die plötzlich erwachte Leidenschaft – gepaart mit jeder Menge harter Arbeit – führte schließlich zu einem Sologesangstudium an der MUK Wien. In der Spielzeit 2020/21 war sie Mitglied des Opernstudios am Linzer Landestheater und schlüpfte dort in die Rolle des Hannerl in „Dreimäderlhaus“, außerdem übernahm sie die Partie der Adele bei der Operette Langenlois. 

Hedwig Ritter als Eurydike in der Volksoper

Timothy Fallon (Pluto/Aristeus) und Hedwig Ritter (Eurydike) auf der Bühne der Volksoper. Foto: Barbara Pálffy/Volksoper

Hopp oder dropp

Ob es schon während des Studiums ihr Wunsch war, fest in ein Ensemble zu gehen? Hedwig Ritter nickt. „Ich genieße die Sicherheit, die eine Anstellung mit sich bringt. Nicht nur jene eines regelmäßigen Einkommens, sondern auch das Gefühl, dass durch die gemeinsame Arbeit ein Vertrauensverhältnis entsteht.“ Außerdem hilft ihr diese Sicherheit auch dabei, sich freizuspielen, ist sie überzeugt, „Wir hatten in ‚Orpheus in der Unterwelt‘ eine Szene, an der wir unglaublich lange gearbeitet haben und ich dachte mir die ganze Zeit über, dass ich meinen Part auf keinen Fall solide spielen möchte.“

„Hopp oder dropp“ lautete stattdessen die Devise. „Dieses Gefühl war neu für mich“, fügt sie lachend und ohne große Umschweife hinzu. Ein intensives Spiel war der Sopranistin aber auch vor der Zusammenarbeit mit Spymonkey schon wichtig. „Ich bekomme eher die Anweisung, mehr aufs Singen, anstatt auf die Intensität des Spielens zu schauen“, fügt sie daran anknüpfend hinzu.

In einem Job, in dem es darum geht, das Publikum zu packen und auf eine Reise mitzunehmen, sei sie aber lieber überbeherzt bei der Sache, anstatt zu sehr darauf zu achten, dass jeder Ton perfekt sitzt. Bevor sich unsere Wege wieder trennen, sagt sie noch: „Eines meiner größten Ziele ist es, auf der Bühne ich selbst sein zu können und nichts von mir verstecken zu müssen. Und auf dieser Grundlage zu schauen, was die Rolle oder der Gesang mit mir macht.“ Was sie mit dieser offenen Einstellung und ihrem leichten Hang zu Bühnen-Halligalli für die Klassikwelt tut? Wenn es nach uns geht: sehr viel.

Zu den Spielterminen von „Orpheus in der Unterwelt“ in der Volksoper