Freibrief von Julya Rabinowich: Sommerkörper
Ein Freibrief als Versprechen an Erlösung: Schriftstellerin Julya Rabinowich schreibt in ihrer neuen Kolumne über die Tücken des „Beach-Body“.

Foto: Michael Mazohl
Dieser Freibrief soll ersehnte Erleichterung bringen – wie ein heftiger Regen nach einem flirrend heißen Sommertag, der auch tatsächlich Kühlung bringt und nicht nur saunaartiges Weiterschwitzen in neu aufgeladener Schwüle. In dunklen Zeiten, die ungefähr ab März über die Menschheit hereinbrechen (jedenfalls für jenen Teil, der sein Leben dort verbringt, wo man allgemein „den Westen“ vermutet), braucht es Ermutigung, Labsal und Liebe, um den Zusammenhalt der Badegesellschaft endlich zu stärken.
Die dunklen Zeiten kündigen sich heimtückisch an mit farbenfrohen Hochglanzcovern, die sich in das Bewusstsein der Betroffenen bohren wie Fadenwürmer in diverse Organe.
Es beginnt schleichend mit fröhlichen Gesichtern und bunten Make-up-Tipps, schreitet voran mit luftig-schönen Kleidungsvorschlägen, und wenn man sich bereits in Sicherheit wähnt, schlägt das Schicksal mit voller Härte zu: Dann kommt der Bademodenteil mit Sonne und asketisch-ästhetischen Körpern, fünfzig Cent großen Nippelabdeckungen, die als Bikini verkauft werden, und Schnürln, die in die Backen hineinhängen – und damit sind weder Spaghetti noch Gesichter gemeint.
An den asketisch-athletischen Körpern sieht auch das hinreißend aus, und es verspricht, an allen gut auszusehen, wenn sie sich bloß nur endlich anstrengen würden, diese Wombats des bisherigen Versagens. Irgendwann und irgendwo werden den Vollversagen den dann geraffte, gerüschte und gepunktete Zelte empfohlen, aber nicht als jener Zirkus, der Spaß machen würde, sondern als Badebekleidung. Nach der ersten, verheerenden Attacke folgt, gut kalkuliert, die nächste Welle.
Wenn diese letzte Stufe der Eskalation gezündet wird, ist der Zug abgefahren, es gibt kein Zurück. Die Cover brüllen aus der Deckung heraus: „Bauch weg in zehn Tagen!“, was doch wirklich schwere Verletzungen mit sich bringen würde, immerhin versprechen sie nicht: „Kopf weg in drei Sekunden!“ Das ist sehr nett. Ein wenig Nachsicht mit den Kunden und Kundinnen kann nicht schaden. Man muss sich ja an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen und sich lieber demütig zeigen. Nachdem der Bauch, der Po und die Cellulite in zehn Tagen verschwunden sind, darf die Menschheit an den Strand.
Man nennt diesen Prozess: „der Beach-Body“. Diesen hat die Menschheit der westlichen Welt offensichtlich nur im Sommer; wer im Winter an den Beach geht, darf sich etwas mehr gehen lassen, denn das Verbrechen der unzureichenden Konturierung wird hinter weiten Pullovern und Daunenmänteln versteckt, und das Ästhetische drückt vorübergehend beide Augen zu, in denen die Schönheit der Betrachtenden liegt.
Man stelle sich also diese feierliche Prozession nahtlos modellierter, den Anforderungen moderner Sexindustrie stromlinienförmig angepasster, tätowierter, solargebräunter, medizinisch gestraffter, mit Po-Implantaten und Brust-Silikoneinlagen als Kampfpanzer gestärkter Körper zum Strand als etwas beinahe Religiöses vor, als einen Festumzug der anderen Art. Die anderen dürfen solche Zeremonien besser nicht mit ihrem Anblick entwerten, denn sie haben im Aufbau des Strandkörpers versagt und keinen Zutritt zu einem solchen.
Und hier kommt mein Freibrief als Erlösung all der Verunsicherten, Leidenden und Zweifelnden. Es gibt einen Ausweg, es gibt Rettung für alle! Pfeift auf Trichterbrustkörbe, eingefallene Hinterbacken, der Schwerkraft hörige Busen und quellende Speckschwärtchen! Seid! Badet! Lebt! Irgendwann ist dieser Körper nicht mehr eurer. Und deswegen ist er, der eurige, für euch der schönste.