So schnell kann’s gehen. Weil Hanna als Mädel vom Land der Familie des Grafen Danilo nicht ins dünkelhafte Bild passt, wird es nichts mit der ersehnten Zweisamkeit. Anstatt jedoch vor Gram zu vergehen, heiratet die Verschmähte einen reichen Bankier, der ihr noch in der Hochzeitsnacht den Gefallen tut, das Zeitliche zu segnen.

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Plötzlich Witwe und stinkreich, wird sie nun in Paris das Ziel männlicher Begierden, die sich weniger auf ihre Schönheit und Intelligenz fokussieren, als vielmehr auf ihre schier unbegrenzten pekuniären Möglichkeiten. Auch Danilo, der nach dem Bruch mit Hanna intensiv Zerstreuung im Maxim sucht, entflammt erneut für sie, hat jedoch Angst, dass man auch ihm Geldgier unterstellen könnte. Franz Lehárs 1905 uraufgeführtes Werk setzt erstmalig eine autonome, selbstbewusste Frau ins Zentrum der Handlung und wurde damit zum Höhepunkt der silbernen Wiener Operetten-Ära.

Bis zum Tod des Komponisten im Jahr 1948 stand es mehr als 300.000 Mal auf internationalen Spielplänen – ein Triumph, für den es heute kein Pendant mehr gibt. „Machen Sie mir bloß keinen Stress“, bittet Regisseurin Mariame Clément, auf diesen Umstand angesprochen, scherzhaft im Gespräch. Die gebürtige Französin parliert zwar aufgrund eines mehrjährigen Berlin-Aufenthalts nahezu akzentfrei Deutsch und hat mit „La Belle Hélène“ und dem wiederentdeckten „Barkouf“ bereits zwei Offenbach-Stücke inszeniert, ist, was die Wiener Operette betrifft, allerdings noch ein unbeschriebenes Blatt. Was gab den Ausschlag, dies mit einer Neuproduktion von „Die lustige Witwe“ – zudem ihr Volksopern-Debüt – zu ändern?

No Bullshit

„Neben der Ehre, von Lotte de Beer überhaupt gefragt worden zu sein, interessiert mich alles an diesem Stück. Die Musik ist phänomenal gut, das Libretto ist genial, die Figuren sind vielschichtig, und die Handlung bringt mich zum Lachen. Ich glaube, es ist vielleicht sogar ein Vorteil, dass ich ‚Die lustige Witwe‘ gar nicht kannte, weil ich dadurch frisch und ohne Referenzen darauf schaue. Das Werk ist pure Energie, gepaart mit Emotion. Eine Komödie, die aber eine gewisse Fallhöhe hat und es einem erlaubt, in die Tiefe zu gehen.“

Mariame Clément fragt sich, wie denn die Vorgeschichte von Hanna Glawari und Graf Danilo ausschaut? Wie lange kennen die beiden einander überhaupt? Wie alt sind sie? „Diese Überlegungen öffnen viele Türen. An Hanna mag ich vor allem ihre No-Bullshit-Haltung. Sie weiß, dass die Männer hinter ihrem Geld her sind, und kommuniziert das auch klar. Das ist eine große Stärke des Stücks, zugleich aber auch eine kleine Schwäche, denn eine hübsche junge Frau wollen Männer auf der Opernbühne auch dann erobern, wenn sie kein Geld hat.“ Vielleicht ist Hanna also gar nicht mehr so jung? Womit wir, ganz ohne aufgesetzte Not, bei der gesellschaftlichen Aktualität wären: Auch eine schon länger auf dieser Welt wandelnde Frau kann begehrenswert sein. Hanna Glawari, Lehárs früh emanzipierte Heldin, ist es auf jeden Fall und unterstreicht damit den plausiblen Realitätsbezug.

Leiden versus Lachen

„Komödie ist leider nach wie vor ein wenig verpönt“, bedauert Mariame Clément und erklärt damit zugleich den Umstand, weshalb die Operette noch immer als die kleine Schwester der Oper gesehen wird. „Sie gilt als weniger nobel, es wird suggeriert, dass man für hehres Denken leiden muss, dass Witz und Intelligenz einander ausschließen, was ich richtiggehend beleidigend finde. Es ist auch gefährlich, weil es potenziell elitär ist. Intelligenz wird nicht von Sinnlichkeit oder offenkundiger Schönheit abgelenkt. Mein Gehirn funktioniert auch ganz gut, wenn ich lache.“

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Mariame Clément
Mariame Clément studierte Literatur und Kunstgeschichte, ehe sie über ihre Opernliebe zur Musiktheater-Regie kam. Seit zwei Jahrzehnten inszeniert sie in ganz Europa; mit Ben Glassberg, dem Musikdirektor der Volksoper, hat sie bereits beim Glyndebourne Festival zusammengearbeitet. „Die lustige Witwe“ ist ihr Wiener Operettendebüt. Heuer wird sie bei den Salzburger Festspielen die Regie von „Les Contes d’Hoffmann“ übernehmen.

Foto: Élisa Haberer

Früher Phantasieauslöser

In Paris aufgewachsen, kam Mariame Clément über die Oper zur Regie – nicht umgekehrt. „Ich habe Oper immer schon geliebt, weil sie in mir die Phantasie ausgelöst hat, Geschichten zu erzählen. Erst unlängst habe ich Zeichnungen gefunden, die ich mit 13 Jahren angefertigt habe. Während ich ‚Don Giovanni‘ auf CD hörte, dachte ich mir Szenen dazu aus und hielt sie fest. Mit Sprechblasen und historischen Kostümen, sehr konservativ“, erinnert sie sich amüsiert. „Oper war immer mein Medium. Aber Opernregie gab es als Studienfach in Frankreich nicht.“

Also studierte sie Literatur und Kunstgeschichte, zog nach Berlin, entdeckte für sich eine neue musikalische Fülle und begann an der Staatsoper Unter den Linden zu hospitieren.

Ihr Debüt als Regisseurin gab sie 2004 mit „Il signor Bruschino“ (Rossini) und „Gianni Schicchi“ (Puccini) in Lausanne. Am Theater an der Wien inszenierte sie „Castor et Pollux“, an der Opéra national de Paris „Hänsel und Gretel“, an der Semperoper Dresden „Die verkaufte Braut“ und bei den Bregenzer Festspielen „Don Quichotte“ – nur ein kleiner Auszug ihres stetig wachsenden Repertoires. Heuer wird sie in Genf mit „Roberto Devereux“ – nach „Anna Bolena“ und „Maria Stuarda“ – ihre Donizetti-Trilogie vollenden, bei der das Team bis hin zu den Hauptdarstellern über die Jahre das gleiche blieb.

Ben Glassberg

Romeo und Julia aus der Bronx

Liebe in Zeiten des Bandenkriegs: Leonard Bernsteins Musical-Bestseller „West Side Story“ erlebt eine gloriose Neuauflage. Dirigent Ben Glassberg über die Magie des Stücks, den Einfluss seines Großvaters und Schlaf als Sport. Weiterlesen...

„Das für mich Spannende ist die Vielfalt“, wehrt sie die Frage, was eine gute Regisseurin ausmache, ab. „Mein Imposter-Syndrom ist, dass ich keine Schauspielregie-Ausbildung habe, also keine Legalität. Worauf ich anfänglich gebaut habe, war eine hohe Musikaffinität. Und ich habe ein Verständnis für Stimme, weil ich selber Gesangsunterricht hatte. Patrice Chéreau konnte Musik nicht lesen und hat trotzdem Wagners ‚Ring‘ inszeniert (gilt als Jahrhundert-‚Ring‘; Anm.). Deswegen will ich keinesfalls dogmatisch sein. Ich selbst arbeite mit Empathie – für die Figuren, die Darsteller, alle Mitwirkenden.“

Sie liebe es auch, mit Dirigenten zu kooperieren. „Für mich ist diese Dualität kein Hindernis, sondern ein Reiz. Wenn man das nicht mag, sollte man Schauspiel inszenieren.“ Letzteres würde sie tatsächlich gerne einmal machen.

„Pedro Almodóvar hat in einem Interview gesagt: ‚Mein Beruf ist unglaublich: Andere Leute werden dafür bezahlt, meine Träume wahr werden zu lassen.‘ So sehe ich das auch.“ Heuer wird sie bei den Salzburger Festspielen „Les Contes d’Hoffmann“ inszenieren. Ein weiterer Meilenstein? „Oh ja!“, meint sie lachend. „Ein Debüt in Salzburg ist wohl für jeden, der sich mit Oper beschäftigt, etwas ganz Besonderes.“

Zu den Spielterminen von „Die lustige Witwe“ in der Volksoper!