„Die sieben Wünsche“: Mythenwanderer im Märchenwald
Henry Mason – Regisseur und Autor – ist ein Meister magischer Stoffe. In seinem neuen Stück „Die sieben Wünsche“ prallen Profitgier und Despotie auf Empfindsamkeit und den Zauber der Natur.

Foto: Stefan Fürtbauer
Wünsch dir was! Oder besser doch nicht? Denn mit Wünschen sollte man gerade auf fantastischem Territorium vorsichtig sein: Manchmal werden Begehrlichkeiten unbedacht ausgesprochen und führen zu nachteiligen Effekten, mitunter verschwendet ihr Nutznießer sie auch allzu großzügig, und nicht selten verkehrt sich das Erhoffte gänzlich ins Gegenteil.
Auch wenn eine Familie, wie im vorliegenden Fall, Wunsch heißt, bedeutet dies noch lange nicht die Erfüllung der namentlichen Verheißung. Wir schreiben das Jahr 1850. Da wäre einmal die Großmutter, eine Matriarchin und Despotin, Besitzerin einer Papierfabrik, die ihr früheres Ansehen durch die innovative Technologie der Papierherstellung aus Holz aufpolieren möchte und Gewinnmaximierung zu ihrer Devise gemacht hat.
Dabei kommt ihr der nahe Wald, in dem sie lediglich eine Ressource sieht, die sie durch Abholzung zu nutzen gedenkt, gerade recht. Großvater Wunsch hat nicht allzu viel mitzureden bei den rücksichtslosen Fortschrittsplänen seiner Gattin. Das gilt auch für Sohn Wunsch, der die Fabrik zwar leiten muss, dem Herrschaftsanspruch seiner Mutter aber kaum etwas entgegenzusetzen hat.
Er und seine Frau haben zwei Kinder. Grete, die Ältere, ist ebenso begeistert von der innovativen Maschine, mit der man Holz zu Papier spinnen kann, wie ihre Großmutter, während ihr Bruder Hans mehr vom wundersamen Wald fasziniert ist. Hier sollen Wölfe, Hexen und andere Zauberwesen zugange sein. Als Hans tatsächlich auf solch einen magischen Waldbewohner trifft und ihm aus der Patsche hilft, wofür sich dieser mit sieben Wünschen bei ihm revanchiert, beginnt ein haarsträubendes Abenteuer. Denn auch jedem Familienmitglied stünde jeweils ein Wunsch zu, was Hans leider zu kommunizieren vergisst, ehe ihm selbst die Stimme weggewünscht wird ...
Henry Mason ist Experte für Mythen und Märchen, er hat sich bei diesem Stück aber zum ersten Mal des deutschen Fundus angenommen. Nicht nur hat er bei Klassikern der Brüder Grimm – wie „Schneewittchen“, „Hänsel und Gretel“ oder „Rotkäppchen“ – Anleihen genommen, sondern auch Motive einfließen lassen, wie sie in unterschiedlichsten Märchen vorkommen. Ein solches ist der Wald als Ort der Transformation.
Beim Wort antikapitalistisch weiß man gleich, dass man im Reich des Märchens angelangt ist.
Henry Mason, Regisseur und Autor
Mensch und Wald
„Ich wollte dezidiert eine Geschichte erzählen, die drei Generationen einer Familie umfasst, weil das eine Struktur ist, die archetypisch im Märchen vor- kommt. Und ich wollte den Wald als zentrales Thema einfließen lassen – was er im Märchen bedeutet und welchen Stellenwert er für uns hat“, erklärt Henry Mason. „Wenn man in Neuseeland, wo meine Mutter herkommt, durch einen der unberührten Wälder streift und einem bewusst wird, wie Wald eigentlich aussehen könnte, wenn der Mensch nicht eingreifen würde, rührt einen das an. Die Kostbarkeit des fragilen Systems Wald, das ökologische Momentum, war mir ebenfalls wichtig.“
Großmutter Wunsch will den Wald für ihre egoistischen Ziele opfern, ihr Enkel Hans sieht in ihm einen fantastischen Organismus. „Daraus ergibt sich der zentrale Konflikt des Stücks, denn hier kollidieren zwei Weltsichten. Man kann den Wald als reine Ressource begreifen, oder wir sehen Bäume als Lebewesen, die zwar auf einer anderen Zeit- und Wahrnehmungsebene funktionieren, aber Mitbewohner des Planeten sind.“
Man könnte sein Stück auch als „proökologische antikapitalistische Fabel“ bezeichnen, so der Autor schmunzelnd. „Denn beim Wort antikapitalistisch weiß man gleich, dass man im Reich des Märchens angelangt ist.“
Auf beste Unterhaltung verzichten muss freilich niemand. Ausnehmend komisch und überaus spannend ist „Die sieben Wünsche“ für Kinder ab sechs Jahren auf jeden Fall. Wobei Henry Mason herkömmlichen Altersbeschränkungen wenig abgewinnen kann und beim Schreiben immer auch an die Eltern denkt, die den Nachwuchs ins Theater begleiten dürfen/müssen. Auch für sie kreiert er stets Identifikationsfiguren.
Noch einmal kurz zurück zum Wald, der im Märchen oft als zentrale, meist düstere Wirkungsstätte dient. „Das hängt sicher damit zusammen, dass der europäische Wald einst unübersichtlich und dicht war. Man wusste nicht, welche Gefahr vielleicht schon hinter der nächsten Biegung lauerte. Im Wald wohnten wilde Tiere und Menschen, die sich außerhalb der sozialen Normen bewegten. Er war ein regelfreier, anarchischer Ort.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Magischer Verfremdungseffekt
Zu den künstlerischen Schwerpunkten Henry Masons zählen William Shakespeare, Musiktheater, das von der Barockoper bis zum (selbst geschriebenen) Musical reicht, und Theater für ein junges Publikum. Er gilt als Spezialist für Märchen- und Mythenbearbeitungen.
Was interessiert ihn speziell an diesem Genre?
„Ich habe schon als Kind am liebsten fantastische Stoffe gelesen – und nie wirklich damit aufgehört. Im Grunde geht es mir um die Psychologie der Figuren, und das Fantastische gibt einem die Möglichkeit, menschliche Zustände wie Ängste, Sorgen und Träume in Form von Metaphern über die Bande zu spielen. Ich bin da sicher ein Nerd und mag den magischen Realismus als Idee oder Schnittstelle. Brecht hat vom Verfremdungseffekt gesprochen. Das heißt, wir siedeln einen Konflikt einfach irgendwo anders an. Würde man in den Ankündigungstext schreiben ,‚Die sieben Wünsche‘ behandeln eine ökologische, antikapitalistische Utopie, würden alle schreiend davonrennen und über den Boboscheiß schimpfen. Wenn man es aber als unterhaltsames Märchen erzählt, das im Kern davon handelt, wie wir aufeinander zugehen können, funktioniert es vielleicht. Die Großmutter als autokratische Herrscherin, zu der einem auch ein paar Beispiele aus der aktuellen Weltlage einfallen würden, versus die Idee einer gleichberechtigten Gesellschaft, das birgt zudem eine politische Parabel.“
Der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim behauptete im Titel seines erfolgreichsten Buches: „Kinder brauchen Märchen.“
Kann Henry Mason dem zustimmen? „Ich glaube, Kinder brauchen Geschichten. Sie brauchen Freiräume, in denen ihre Fantasie arbeiten darf. Das Theater ist eine Empathieschule, weil wir uns gemeinsam mit den Protagonisten in einem Raum live auf eine Reise begeben. Das Tolle daran ist, dass wir nicht alles vorkauen oder simulieren, sondern dass wir Leerräume zulassen. Man muss vielmehr mit Suggestion, Behauptung und Vervollständigung arbeiten. Und ich habe Sorge, dass diese Empathie verloren geht, wenn Kinder nicht mehr in echten Räumen miteinander zu tun haben können, sondern andauernd mit dem virtuellen Raum abgespeist und vertröstet werden.“
Brite, Neuseeländer, Österreicher
Henry Mason entstammt einem künstlerischen Umfeld. Seine Eltern waren beide Opernsänger. Der Vater, ein Brite, war 27 Jahre lang als Solobassist am Landestheater Linz engagiert, die Mutter, eine Neuseeländerin, hängte den Gesang später an den Nagel und arbeitete als Englischlehrerin in der Erwachsenenbildung.
„Ich bin mit der Lust an der Entdeckung von Neuem in einem Haushalt mit sehr vielen Büchern aufgewachsen.“ Mason studierte Theaterpraxis und Germanistik in Großbritannien und arbeitet heute als Regisseur, Autor, Übersetzer und Schauspieler. „Eigentlich bin ich Geschichtenerzähler, egal ob ich inszeniere oder schreibe. Interessanterweise haben sich die meisten beruflichen Chancen für mich im deutschsprachigen Raum ergeben. Seit sechs Jahren bin ich auch österreichischer Staatsbürger. Das war mir nach dem Brexit ein Anliegen.“
Manchmal ist es für den Regisseur Mason schwierig, etwas umsetzen zu müssen, was der Autor Mason geschrieben hat.
Henry Mason, Regisseur und Autor
Unprätentiös ehrlich
Mit dem Theater der Jugend verbindet ihn eine lange Geschichte. Hier hat er nicht nur viel inszeniert, sondern war auch Oberspielleiter und stellvertretender künstlerischer Direktor. War es eine bewusste Entscheidung, die administrativen Tätigkeiten aufzugeben, um sich ganz der Kunst widmen zu können?
„Eigentlich schon. Ich habe irgendwann gemerkt, dass es mir zu stressig war, ständig für ein Haus auf Abruf zu sein. Ich bewundere Menschen, die das können, mich aber hat es grantig gemacht, wenn das Künstlerische von der Logistik und der Organisation ins Abseits gedrängt wurde. Ich habe schon des Öfteren darüber nachgedacht, ob ich irgendwann einmal ein Theater leiten wollte, weil ich es natürlich toll fände, eigene Spielpläne zu erstellen. Aber sobald ich mir vor Augen halte, wie dann mein Tagesablauf ausschauen würde, denke ich: nein. Bei allen Unsicherheiten der Freiberuflichkeit bin ich happy mit meinem Leben.“

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Wiewohl er während der Pandemie eineinhalb Jahre lang nicht eine einzige Anfrage hatte und schon dachte, er müsse beruflich umsatteln. „Als dann wieder Anfragen kamen, habe ich panisch zu allem ja gesagt.“
Dabei seien ihm drei Regiearbeiten pro Jahr ohnehin genug, um Zeit zum Schreiben zu haben. Zum ersten Mal hat sich Henry Mason aktuell auch an einen Roman gewagt. „Nun warten 600 Seiten darauf, überarbeitet zu werden, und das ist erst Teil eins“, lacht er.
„Ich habe das Buch auf Englisch geschrieben, weil ich wissen wollte, ob ich das kann. Und ich werde mein Möglichstes tun, dass der Roman auch veröffentlicht wird, obwohl ich keinerlei Kontakte in die britische Verlegerwelt habe. Das Schöne beim Schreiben ist, dass man nicht limitiert ist von den Gesetzen der Physik und der Ökonomie. Manchmal ist es für den Regisseur Mason schwierig, etwas umsetzen zu müssen, was der Autor Mason geschrieben hat. Aber ich mag es, mir selber Herausforderungen zu basteln.“
Für jemanden, der Englisch als Elternsprache hat, könnte sich beruflich die halbe Welt eröffnen. Inszeniert er auch international? „Nein, das hat sich nie ergeben. Es entspräche aber auch nicht meiner Persönlichkeit, denn ich bin sehr in Österreich verwurzelt. Das liegt vielleicht daran, dass ich in den ersten sechs Jahren meines Lebens viel herumgereist bin und seitdem den starken Wunsch verspüre, sesshaft zu sein. Ich möchte in der Nähe meiner Eltern sein, bei meinem Partner sein, an einem Ort sein. Ich bin auch ein eher schüchterner Mensch und fühle mich in einer Welt, die extrem pushy ist, nicht wohl.“
Lieber inszeniert er in der nächsten Spielzeit am Linzer Theater des Kindes „Die Ersten“, ein Stück über vier Entdeckerinnen, macht in Baden mit „Die lustige Witwe“ seine allererste Operette und bringt in Innsbruck seine Interpretation von Mozarts „Idomeneo“ auf die Bühne.