Märchen schreibt die Zeit. Buchstäblich. Die Handlung des Kunstmärchens „ Die Schöne und das Biest“ ging durch viele Formen und Farben, bis es zu dem wurde, das wir heute kennen.

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Die Geschichte selbst ist alt: Sie lässt sich bis zu zweitausend Jahre zurückverfolgen. Die wohl älteste Version – auch bekannt als „Amor und Psyche“ – stammt vom antiken Schriftsteller Apuleius. Das französische Märchen in seiner bekanntesten Form veröffentlichte die Schriftstellerin Gabrielle-Suzanne de Villeneuve 1740 unter dem Titel „La Belle et la Bête“. 16 Jahre später machte die Französin Jeanne-Marie Leprince de Beaumont daraus eine gekürzte, kinderfreundliche Version, die vielfach adaptiert wurde. Auch Disney nahm Beaumonts Erzählung als Vorlage für den Zeichentrickfilm „Die Schöne und das Biest“ und staubte dafür zwei Oscars für die beste Filmmusik sowie den besten Song ab.

Die Geschichte ging somit durch viele Menschen und Jahrhunderte. Jetzt erscheint sie wieder in Form von Theater bei uns: Ab 23. Mai 2024 kommt „Die Schöne und das Biest“ als letztes Stück in dieser Spielzeit im Theater der Jugend auf die Bühne.

„Kannst du mich lieb haben?“

Der Inhalt ist bekannt: Ein Kaufmann verirrt sich im Wald und landet in einem Schloss, wo er beherbergt wird. Dort pflückt er verbotenerweise eine Rose für seine jüngste Tochter. Auftritt Biest, das ihn mit dem Tod bedroht. Die Tochter nimmt den Platz des Vaters ein und begibt sich in Gewahrsam des Biests. Als sie das Schloss für drei Tage verlassen darf, ist das Biest dem Tode nahe. Sie kehrt zurück, gesteht ihm ihre Liebe, und der Fluch ist gebrochen.

Im gemeinsamen Zusammenleben fragt das Biest die Tochter des Kaufmanns, Belle („Die Schöne“) genannt, jeden Abend nach Zuneigung. Auch diese Frage wandelte sich im Laufe der Zeit.

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Während das Biest in der Urfassung jeden Abend die Frage „Willst du mit mir schlafen?“ stellt, wurde daraus in der kindergerechten Erzählung von Beaumont „Willst du mich heiraten?“. Auf der Bühne des Theater der Jugend wird auch das ein wenig abgeändert. „Bei uns fragt das Biest: ‚Kannst du mich lieb haben?‘“, verrät uns der Regisseur Henry Mason.

„Wir kasteln andere Menschen in Sekundenschnelle ein. Das Überwinden der Vorurteile, die instinktiv in uns auftauchen, das war immer schon ein zentrales Thema dieses Märchens“, fügt der Regisseur hinzu. „Wenn man diese Geschichte auseinander faltet, begreift man, wie viel sie vom menschlichen Zusammenleben zu erzählen hat.“

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Märchen ohne Disney

Mit Disney hat Henry Masons Version der Geschichte wenig zu tun. „Bei uns werden keine Kronleuchter singen“, meint der Regisseur schmunzelnd beim Interview mit der Bühne, das wir in einem Café führen. Mason bezieht sich für diese Produktion auf die Originalerzählung von Villeneuve. Dabei setzt er eigene Schwerpunkte und nimmt hierfür Aspekte aus den europäischen, chinesischen, indischen und russischen Geschichten.„Die Kerngeschichte bleibt nach wie vor die gleiche.“ Vor allem für all jene, die nur die Disney-Version kennen, sind Überraschungen garantiert. Das Ende will der Regisseur noch nicht vorwegnehmen. „Es soll auf jeden Fall überraschen“, sagt er mit einem Lächeln.

„Das ist das Tolle an Märchen: dass man sie neu erzählen kann. Sie sind bekannt, sie sind Kulturgut, aber man kann die Schwerpunkte anders setzen und damit sehr wohl überraschen“, ist der Regisseur überzeugt.

Henry Mason
Der zweisprachige Regisseur Henry Mason schrieb und inszenierte unter anderem für die Volksoper Wien, Wiener Staatsoper, Salzburger Festspiele und die Oper Graz.

Foto: Stefan Fürtbauer

Zur Person: Henry Mason

wurde 1974 in London geboren und studierte Theaterpraxis und Germanistik an der Universität von Exeter. Der zweisprachige Regisseur schrieb und inszenierte unter anderem für die Volksoper Wien, Wiener Staatsoper, Salzburger Festspiele, Oper Graz. 2009–2012 war er stellvertretender künstlerischer Leiter des Theater der Jugend. 2019 gewann er den Deutschen Musical Theater Preis.

Wild und schön

Auch auf die Frauenfiguren im Märchen will Mason einen Schwerpunkt legen. „Mich interessiert bei Märchen immer die weibliche Präsenz in der Handlung. Oft fehlen die Mütter, und man fragt sich, warum.“ Die Mutter ist als Erinnerung in Belles Kopf anwesend und begleitet ihre Tochter durch die Geschichte.

Angesiedelt ist die Handlung im letzten Jahrhundert. „Die 1920er-Jahre sind eine schöne Zeit in der Mode“, meint Mason mit einem Lächeln.„Und es ist ein Punkt in der Geschichte, der historisch für die Emanzipation wichtig ist.“ Deshalb platziert der Regisseur die Handlung bewusst zwei Jahre nach Einführung des österreichischen Frauenwahlrechts.

Auch die Emanzipation der Belle sei ein wesentlicher Teil des Märchens, betont er. „Belle macht eine Reise von der Angepasstheit zu ihrer eigenen Wildheit. Das Biest muss lernen, dass es schön ist, und die Schöne muss lernen, dass sie ein Biest ist.“

Henry Mason kann mit dem Theater der Jugend bereits auf eine lange Geschichte verweisen: Von 2009 bis 2012 war er hier Oberspielleiter und stellvertretender künstlerischer Leiter am. Sein letztes Stück am TdJ „Die automatische Prinzessin – Fantastische Fabeln aus 1001 Nacht“ ging 2016 über die Bühne. Weiters inszenierte Mason bereits unter anderem für die Volksoper Wien, die Wiener Staatsoper und die Salzburger Festspiele.

Der Regisseur zeigt sich glücklich, wieder am Haus in der Neubaugasse zu inszenieren. „Es ist wie ein altes Paar Schuhe, von dem man merkt, wie bequem sie waren“, findet er.

Das ist das Tolle an Märchen: dass man sie neu erzählen kann. Man kann die Schwerpunkte anders setzen und damit überraschen.

Henry Mason, Regisseur

Poetisch in Bild und Wort

Für das Bühnenbild arbeitet Mason mit seinem Team mit vielen Schwellenobjekten. „Vorhänge, Spiegel, Türen – es wird ein fließender, poetischer Raum, der viele Assoziationen erlaubt“, erzählt er.

Ein Rezept für eine gute Märchen-Inszenierung?

„Die Grundstruktur sowie die emotionale Komponente des Märchens beibehalten“, so Mason. „Dem Publikum das geben, was es erwartet. Wenn eine Geschichte so viele Jahrhunderte erzählt wurde, dann hat sie grundlegend etwas mit dem Menschsein zu tun. Sonst hätte sie nicht so lang überlebt.“

Wer also Kulturgut mit einem Theaterabend vereinbaren möchte: Das Theater der Jugend bietet beides in einem.

Hier zu den Spielterminen von Die Schöne und das Biest!