Wenn man im Eingangsbereich des Theaters im Zentrum steht und einen Schritt auf den Gehsteig macht, kann man einen Zipfel des Stephansdoms ausmachen. Genau auf diesem Gehsteig stehen wir, den Zipfel des Stephansdoms im Augenwinkel, als wir den Schauspieler Jonas Graber an uns vorbeigehen sehen. Er kommt gerade von einer Probe, erzählt er uns, seit einem Monat laufen diese auf Hochtouren. Von der kommenden TdJ-Produktion? „Genau“, nickt er und deutet auf das Plakat im Schaufenster hinter uns, auf dem er abgebildet ist. „Parzival“ steht da in roten Buchstaben, und man erkennt Jonas Graber eindeutig als Titelhelden.

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Ritter mit Identifikationspotenzial

Dass Graber heute auf der Bühne des Theaters der Jugend steht, hat er unter anderem Michael Schachermaier zu verdanken. Eine Empfehlung und einenAuftritt später zeigte sich der Regisseur begeistert vom Schauspieler. In der letzten Spielzeit durfte dieser den jungen Ismael in „Moby Dick“ in der Inszenierung von Schachermaier verkörpern. Heute ist Graber im Ensemble des Theater der Jugend.

„Ein Gewinn für jede Produktion“, lobt Schachermaier den Schauspieler im Interview mit der Bühne. „So wie er (Jonas Graber; Anm.) seine Rollen anlegt, gibt es eine große Möglichkeit der Identifikation für Jugendliche. Und das ist für ein junges Publikum immens wichtig – dass man sich im Parzival wiederfindet.“

Auch Schachermaier erkannte sich beim Lesen der Verse selbst wieder und fand sich bei der Lektüre an den Beginn seiner eigenen Regiekarriere erinnert.„Mir war damals völlig klar: Das ist die Welt, in der ich sein will, in der ich existieren will und meine Erfahrungen sammeln möchte. Dabei wusste ich nicht genau, was das für eine Welt war. Man musste sie sich zuerst erobern. Man musste eigene Fehler machen.“

Bestseller des Mittelalters

Im 13. Jahrhundert entstanden, erzählt der Versroman von Wolfram von Eschenbach die Geschichte des jungen Parzival, der auszog, um Ritter zu werden. Das Werk, das übertragen sechzehn bis achtzehn Bücher umfassen würde, galt zu seiner Zeit als Bestseller.

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„In erster Linie ist das eine Geschichte über Empathie“, bringt der Regisseur es auf den Punkt. „Es ist die Geschichte von einem Jungen, der auszieht, um die Welt zu erobern, um sie kennenzulernen, und dann mit einer Lüge konfrontiert wird.“

Auf seiner Reise wird Parzival mit harten Lebensrealitäten konfrontiert, nachdem seine Mutter ihn im Wald aufgezogen hat, um ihn vor Leid, Krieg und Tod zu bewahren.„Herzeloyde ist, wenn man so will, die erste Helikoptermutter der Literaturgeschichte. Deshalb ist der Stoff besonders interessant für unsere Altersgruppe: weil sich junge Menschen so gut darin wiederfinden können.“

Michael Schachermaier
In fremde Welten eintauchen. Regisseur Schachermaier ist bekannt für seine Inszenierungen von Heldensagen.

Foto: Petra Rautenstrauch

Eine Lebensreise in neunzig Minuten

Empathie, Mitleid, Sehnsucht – es sind große Gefühle, die die Heldensage umrahmen. „Im Grunde erzählen wir eine Lebensreise“, fügt Schachermaier hinzu. Eine große Geschichte für kleine Menschen. Wie bricht man am besten die 25.000 Verse auf unter neunzig Minuten herunter?

„Das ist bei großen Stoffen immer eine sehr schöne Angelegenheit: Man macht daraus ein Kaleidoskop der Handlungen. Im Mittelpunkt steht die Hauptfigur, und um diese herum kommen Figuren, die ihn in diesem Universum schützen, begleiten, herausfordern, Intrigen spinnen.“

Auf der Bühne werden für die Inszenierung fünf Schauspieler*innen stehen – alle mit mehreren Rollen besetzt. Wie so ein großes Stück mit so wenigen Darsteller*innen funktioniert? „Mit einem wahnsinnig spielfreudigen Ensemble“, kommt es prompt von Schachermaier, der sich von seiner Truppe überzeugt zeigt. „Das geht nur mit Personen, die sich in die Charaktere reinschmeißen und die mit Spiellust und Spielfreude aufeinander zugehen. Sonst könnte man so einen Stoff nicht mit fünf Leuten erzählen.“

Animiert in ein anderes Zeitalter

Für die Bühne und die Ausstattung ist diesmal Dominique Wiesbauer verantwortlich. Zum ersten Mal begegnete Schachermaier der Bühnenbildnerin als Regieassistent am Theater der Jugend. Heute freut er sich, wieder mit der Künstlerin zusammenzuarbeiten. Für „Parzival“ erschafft Wiesbauer mit projizierten und animierten Zeichnungen ihre Version des Mittelalters. „Es ein ganz eigenes Universum, das sie kreiert, und dadurch kann ich es mir leisten, Pferde über die Bühne zu schicken, Turniere und Schwertkämpfe zu zeigen“, so Schachermaier.

In den Mythen ein Anker

Michael Schachermaier ist mit der Inszenierung von opulenten Sagen auf sein Sujet gestoßen – mit Erfolg. Nun reiht sich „Parzival“ in die Sammlung seiner Helden ein. Eine Abenteuergeschichte für Jung und Alt, in die große Themen eingeschrieben sind. Inklusive Identifikationspotenzial.

Zur Person: Michael Schachermaier

Der Autor und Regisseur Michael Schachermaier inszenierte mehrfach am Theater der Jugend, außerdem u. a. am Burgtheater, Volkstheater, Saarländischen Staatstheater oder am Next Liberty in Graz. Zuvor war er Assistent von Andrea Breth, Matthias Hartmann, Christoph Schlingensief und Alvis Hermanis. In der letzten Spielzeit brachte er „Moby Dick“ ins Theater im Zentrum, ab April 2024 inszeniert Schachermaier „Parzival“.

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