Ihr habt für „lonely ballads“ einen Zugang gewählt, den man mit dem Begriff „Seelenstriptease“ umschreiben könnte. Warum dieser scheinbar sehr persönliche Blick auf die vergangenen Monate?

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Mir war es wichtig, auf der Bühne zu zeigen, was passiert, wenn man zur Gänze auf sich selbst zurückgeworfen ist. Und diesen Zustand zu verdichten. Aus dem heraus ist auch die Idee entstanden, die Schauspieler:innen in einem sehr reduzierten Bühnenbild spielen zu lassen. Es ist zwar ein großes Musikensemble auf der Bühne, aber ansonsten sind sie alleine und in gewisser Weise nackt. Nicht physisch, aber psychisch.

Also geht es auch um persönliche Geschichten?

Wir beginnen bei der Generierung des Textes zwar mit persönlichen Bestandsaufnahmen, schrauben das aber hoch und suchen nach Themen, die über das Private hinausgehen. Bei diesem Stück war das unter anderem der Wiederanstieg von Antisemitismus, aber auch das Thema Femizid. Ich versuche die Schauspieler:innen also zuerst dort abzuholen, wo sie gerade stehen, dann werden diese Geschichten aber nochmals hochgeschraubt.

Selbstironie als Ausgangspunkt

Würdest du sagen, dass das Stück trotz der Schwermut, mit der man gerne an die vergangenen Monate zurückdenkt, einen Funken Hoffnung enthält?

Ich glaube an die Evokation, also an das, was im Publikum passiert. Das Stück an sich ist eher melancholisch und das Hoffnungsvolle groß auszubreiten war nicht unsere erste Intention. Trotzdem glaube ich daran, dass so etwas wie Hoffnung im Publikum generiert wird. Aber es ist eher ein Ringen danach. Insgesamt ist es eine Bestandsaufnahme dessen, was passiert, wenn man in einer Gesellschaft, in der es immer stärker darum geht, sich über das Außen zu definieren, nur mit sich selbst ist. Einerseits haben wir darüber nachgedacht, was auf einer persönlichen Ebene passiert, wenn man plötzlich zu Gänze auf sich selbst zurückgeworfen ist. Andererseits hat uns auch die gesellschaftspolitische Dimension interessiert, beziehungswiese die Wechselwirkung zwischen den beiden Ebenen.

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Thomas Kolles Aufritt gehört zu den körperlichsten des Abends.

Foto: Gerhard Breitwieser

Hat die für euch so wichtige Selbstironie auch ihren festen Platz in diesem Stück?

Vorweg würde ich dazu gerne anmerken, dass die Selbstironie der Hauptausgangspunkt des aktionstheaters ist. Wobei ich es fast eine gnadenlose Selbstverarsche nennen würde (lacht). Ich finde Theater ohne Humor schrecklich. Humor ist ein Opener, ein Vehikel, das Menschen brauchen, um zu überleben. Natürlich würden wir niemals einen Schwank auf die Bühne bringen, das haben wir noch nie gemacht. Trotzdem interessiert mich der Humor, der bei uns bis zum Slapstick gehen kann, ungemein. Ein lustiger Moment hat ja auch etwas Reinigendes. Und im nächsten Moment haut man dann den Hammer rein. Da sind wir dann im Bereich der Dramaturgie.

Gerade bei solchen nicht gerade einfachen Themen fragt man sich dann trotzdem gerne, ob der eine oder andere Lacher überhaupt in Ordnung war …

Man darf immer lachen und manchmal lacht man ja auch aus einer Not heraus. Natürlich kommt es auch vor, dass man an der falschen Stelle oder unter seinem Niveau lacht, aber genau diese Momente möchten wir ja auch provozieren. Mir ist es sehr wichtig, diese Dinge niemals zu bewerten, denn Theater macht man fürs Publikum. Das bedeutet, dass es um die Geschichten jeder einzelnen Zuschauerin und jedes einzelnen Zuschauers geht, an die wir versuchen mit jenen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, anzudocken.

Kein Hörspiel auf Stelzen

Spannend ist auch, dass man es hier mit einem Kontext zu tun hat, zu dem wirklich jede und jeder etwas sagen kann …

Zum ersten Mal sprechen wir mit einem Stück über eine Situation, die für uns alle ähnlich ist. Natürlich darf man dabei aber niemals vergessen, dass wir in einer viel privilegierteren Situation sind als etwa die Menschen in Indien. Das zu thematisieren, war mir ebenfalls ein großes Anliegen.  

Welche Rolle spielt der menschliche Körper in diesem Stück?

Es gibt extrem körperliche Parts wie jenen von Thomas Kolle. Ich bin kein Freund eines Hörspiels auf Stelzen. Gleichzeitig bin ich aber ein Fan des reduzierten, strengen Raumes, weil ich Theater mit den Menschen machen möchte, die auf der Bühne sind.

Habt ihr euch in den vergangenen Monaten gut unterstützt gefühlt?

Es gab gewisse gesundheitstechnische Maßnahmen, die nötig waren. Das war nicht nur das Gebot, sondern auch die Not der Stunde. Faktum ist, dass diese oft sehr prekären Situationen für Künstler:innen immer da waren, sie jetzt aber noch offensichtlicher geworden sind. Und es ist längst an der Zeit, diese prekären Verhältnisse zu besprechen.

Simon Scharinger, Simon Gramberger, Joachim Rigler und Kristian Musser übernehmen den musikalischen Teil des Theaterabends.

Foto: Gerhard Breitwieser

Trennlinien aufbrechen

In einem Interview habe ich gelesen, dass du 1989, als das aktionstheater ensemble gegründet wurde, schon mit einem Bein im arrivierten Theaterbetrieb gestanden bist, dann aber wieder raus wolltest. Warum?

Ich habe immer wieder an großen Häusern und bei Festivals inszeniert, unter anderem weil es mir wichtig war, mich zu stellen. Die sogenannte freie Szene war für mich nie ein Rückzugsort, an dem man sich versteckt, weil man sich den anderen Dingen nicht stellen möchte. In den vergangenen 30 Jahren habe ich immer wieder versucht, diese gläserne Decke zu durchbrechen, um aufzuzeigen, dass diese komische Aufteilung von freier Szene und Häusern total daneben ist. Was wirklich zählt, sind Qualität und die Frage, welche Grundvoraussetzungen es braucht, um gutes Theater zu machen. Also um jenes Theater zu machen, das man machen will. Wir leben in Österreich immer noch in einem sehr konservativen Theaterland, in dem die Kompagnien nicht die gleiche Wertigkeit haben wie die Häuser. Dort müssen wir aber hin.

Kann man trotzdem sagen, dass sich etwas tut?

Es tut sich definitiv etwas. Das merken wir unter anderem dann, wenn größere Häuser mit Ideen für Koproduktionen an uns herantreten. Auch die großen Häuser wissen nämlich mittlerweile, dass es Dinge gibt, die man aufbrechen muss. Da spielt auch mit, dass wir bekannt dafür sind, ein sehr junges Publikum anzusprechen und anzuziehen, deren Lebensrealitäten wir zu spiegeln versuchen. Das hat aber auch mit einer bestimmten Arbeitstechnik zu tun, denn wir können im Vergleich zu großen Häusern, die viel längere Vorlaufzeiten haben, sehr viel direkter reagieren. Im Aufbrechen dieser Trennlinien steckt eine große Chance.

Schaut man auf die Geschichte des Theaters zurück, wird schnell klar, dass die unmittelbare Reaktion ja eigentlich zu den Kernelementen des Theaters gehörte …

Ja, genau. Aber eben nur dann, wenn man zurückschaut. Wenn ich mit etwas genauerem Blick auf die Gegenwart schaue, ist das nämlich nicht unbedingt der Fall. Das heißt nicht, dass die Klassiker keine Berechtigung haben. Aber es geht auch direkter. Diese Reaktion bekomme ich auch von unseren Zuschauer:innen, die mir immer wieder sagen,  dass sie gerade etwas gesehen haben, womit sie sich identifizieren konnten.

Das bedeutet also auch, dass sich die Stücke verändern, wenn ihr sie länger spielt?

Richtig. Wenn sich politisch etwas tut, das mit dem Kontext des Stücks in Verbindung steht und sich dadurch auch etwas in den Menschen verändert, die mitmachen, dann verändern sich auch die Stücke. Gleichzeitig arbeiten wir aber auch sehr präzise. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht Musik und Text ineinander zu verweben. Und auch die Texte selbst sind Komposition.

Foto: Apollonia Bitzan

Zur Person: Martin Gruber

Der gebürtige Dornbirner studierte Schauspiel und gründete 1989 die Theaterkompagnie aktionstheater ensemble, mit der er an zahlreichen Häusern in Österreich, Deutschland und der Schweiz gastierte und an diversen internationalen Festivals teilnahm.

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