Wie viel Anfang, mit all seinen schönen, aber teilweise auch unangenehmen Nebeneffekten, tatsächlich in dem Wort Neuanfang steckt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab.Davon, wie viel Aufwand es kostet, den richtigen Bäcker und den besten Steuerberater zu finden zum Beispiel. Oder auch davon, wie schnell man in und außerhalb der Arbeit Freundschaften knüpft. Dass eine weltweite Pandemie einmal Einfluss darauf haben könnte, wie sich so ein Neubeginn gestaltet und anfühlt, hätte sich vor etwas mehr als einem Jahr noch kaum jemand gedacht. Nun ist es aber so und die Suche nach den besten Ärzten, Bäckern und Steuerberatern dadurch nicht unbedingt einfacher. 

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Schauspielerin Friederike Tiefenbacher verlegte ihren Lebensmittelpunkt vor kurzem von Dortmund nach Wien. Für sie ist jeder ­Wechsel von einem Theater an ein anderes eine Form von Neubeginn. Diesmal allerdings unter deutlich schwierigeren Bedingungen. „Wobei wir ja glücklicherweise arbeiten dürfen und während der Proben ja fast der Anschein von ­Normalität entsteht“, erklärt die in Heidelberg geborene Schauspielerin mit den markanten Gesichtszügen. Überhaupt möchte Friederike Tiefenbacher auch auf die schönen Dinge hin­weisen. „Es ist wirklich toll, an ein Haus zu kommen, das gerade denselben Prozess des Neubeginns durchmacht. Ich erlebe das nun bereits zum dritten Mal und genieße es immer sehr, selbst mitgestalten zu können und mitzubekommen, wie sich ein Theater und damit auch ein gemeinsamer Weg entwickeln.“

Erster Umzug

Für Lavinia Nowak stehen die Zeichen nicht auf Neuanfang, sondern auf Anfang. Sie ist zum ersten Mal Teil eines festen Ensembles. Und ihre Übersiedlung nach Wien ihr allererster Umzug in eine neue Stadt. Direkt nach der Schauspielschule hat sich die in München geborene Schauspielerin am Volkstheater beworben. Nach mehreren Vorsprechen konnte sie sich zwischen Heidelberg, Graz und Wien entscheiden. Wie die Sache ausgegangen ist, wissen wir ja bereits, warum die Wahl ausgerechnet auf das Volkstheater fiel, allerdings noch nicht: „Hier hat einfach alles gepasst, es war ein richtig schönes Vorsprechen und die Atmosphäre locker und persönlich“, fasst die 25-jährige Neo-Wienerin zusammen und versucht dabei nachzustellen, wie Kay Voges während ihres Vorsprechens auf seinem Stuhl hockte und ihr dabei ganz unverschnörkelt den Eindruck vermittelte, dass er ebenfalls große Freude an dem Zusammentreffen hatte. Ihr Gefühl bestätigte sich prompt. „Zuerst hieß es, dass sie sich bald melden würden, dann kam Kay mir aber hinterher und meinte, dass es Blödsinn wäre zu warten, sie würden mich unbedingt am Haus haben wollen". Somit war die Sache für die junge Schauspielerin sofort klar. 

Gemeinsame Sache

Klarheit scheint für Lavinia Nowak ohnehin mehr Lebenseinstellung als Fremdwort zu sein. Wenn sie ihre Ansichten vermittelt, dann tut sie das ohne schwammige Formulierungen und komplizierte Umwege. So hat sie auch für das Volkstheater eine klare Vision, die auf ihren eigenen Erfahrungswerten beruht. „Ich habe eine Sache gelernt, die ich auf alles in meinem Leben ­anwenden kann: Wenn das gemeinsame höhere Ziel stimmt und alle mit Herzblut dabei sind, dann werden Dinge einfach toll.“

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Auch Friederike Tiefenbacher ist davon überzeugt, dass der Zusammenhalt innerhalb eines Ensembles für die Theaterarbeit ausschlaggebend ist. „Die Arbeit in Dortmund war für mich deshalb so wichtig, weil Kay und dem Ensemble die Qualität der Zusammenarbeit so wichtig war. In all der Zeit am Theater habe ich für mich herausgefunden, dass das die Dinge sind, die mich am Theater am meisten interessieren.“ 

Dostojewskis unendliche Figuren

Sobald die Theater wieder öffnen, werden Friederike Tiefenbacher und Lavinia Nowak in einer Romanbearbeitung von Dostojewskis „Erniedrigte und Beleidigte“ am Volkstheater zu sehen sein. Regie führt Sascha Hawemann, mit dem Friederike Tiefenbacher schon zusammengearbeitet hat und den sie als sehr intuitiv beschreibt. Der Stoff selbst kommt erst mal etwas angestaubt daher. Im Wesentlichen geht es um eine Liebe, die an Klassenunterschieden scheitert. „So schwer ist es jedoch gar nicht, den Text in die heutige Zeit zu übertragen“, resümiert Tiefenbacher. „Alle Charaktere, von denen hier erzählt wird, sind Menschen, die an der Gesellschaft krank werden. Daher ist es schon ein Thema, an dem man sehr viel aufhängen kann. Außerdem sind Dostojewskis Figuren unendlich und lassen sehr viel zu".

Wen Lavinia Nowak aus dem großen Figurenpool der Weltliteratur noch gerne spielen würde? „Das versuche ich gerade für mich herauszufinden, aber es geht eher in Richtung Punk.“ Das glauben wir ihr sofort. 

Zu den Personen:

Lavinia Nowak: In München geboren und aufgewachsen, studierte sie zunächst ­Germanistik, Philosophie und Fremdsprachen an der LMU München, dann Schauspiel an der Theaterakademie August Everding. Während des Studiums gastierte sie am Residenztheater München, am Volkstheater München sowie an den Münchner Kammerspielen.

Friederike Tiefenbacher: Die gebürtige Heidelbergerin studierte Schauspiel an der Hochschule der Künste Berlin. Ihr erstes Engagement führte sie ans Schillertheater Wuppertal. Von 2004 bis 2010 war sie Ensemblemitglied am Staatsschauspiel Dresden, danach zehn Jahre in Dortmund. Nun ist sie fest am Volkstheater engagiert.

Weiterlesen: Claudia Bossard über „In den Alpen / Après les alpes“

Infos zu „1000 Wege – Ein Telefonat“, dem aktuellen Stück des Volkstheaters, finden Sie hier