Für Andrew Morstein gilt die abgedroschene Phrase „Glück im Unglück“. Denn eigentlich hätte der Tenor in diesem Jahr im Jungen Ensemble am Theater an der Wien durchstarten sollen. Aus 572 Bewerberinnen und Bewerbern aus 56 Ländern wurden die sechs herausragendsten Nachwuchstalente ausgewählt. Zahlreiche Premieren von Opern und Liederabenden waren geplant. Coronabedingt wurde vieles verschoben, einige Pläne fielen ins Wasser. Für Morstein, der für sein Engagement im August von den USA nach Wien übersiedelte, ist es dennoch eine glückliche Fügung hier zu sein: „In den Vereinigten Staaten, gibt es seit vergangenem März überhaupt keine Möglichkeit mehr, vor einem Publikum zu singen. Ich bin daher sehr, sehr dankbar, im Moment in Wien zu sein.“

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Kleine Bühne, große Rolle

Die großen Vorstellungen sind im Moment zwar nicht möglich. Das erste halbe Jahr war für Morstein dennoch künstlerisch wertvoll. „Das Junge Ensemble am Theater an der Wien ist eines der außergewöhnlichsten Programme – nicht nur in Europa, sondern weltweit“, sagt er. Das liegt daran, dass sich die jungen Künstlerinnen und Künstler ausprobieren können. Denn mit jeder Produktion und jeder Rolle verändert sich die Dynamik im Team und die Komfortzone wird verlassen. „Dadurch bleiben die Dinge sehr frisch und spannend, untereinander, aber auch musikalisch gesehen“, sagt Morstein.

Auf der Bühne der Kammeroper bekommen die JETs (kurz für Junges Ensemble des Theater an der Wien) die Chance, auch größere Rollen zu singen. Das ist für Nachwuchskünstler nicht immer möglich innerhalb des Gefüges in einem etablierten Ensemble. „Wir können dadurch erforschen und herausfinden, wozu wir fähig sind und unsere Grenzen austesten“, so der Tenor. Auf der großen Bühne des Theater an der Wien sind die jungen KünstlerInnen ebenfalls in Produktionen involviert und lernen von den erfahreneren Sängerinnen und Sängern. „Das ist ebenfalls sehr wertvoll und wichtig“, sagt Morstein.

Das Junge Ensemble des Theater an der Wien startet in diesem Jahr unter nicht ganz einfachen Bedingungen künstlerisch durch: Bass Ivan Zinoviev, Sopran Miriam Kutrowatz, Tenor Andrew Morstein, Sopran Valentina Petraeva, Mezzosopranistin Sofia Vinnik und Bariton Sebastià Peris.

Foto: Moritz Schell

Von Rossini bis Mozart

An der Kammeroper war Morstein zuletzt in Vivaldis „Bajazet“ zu hören. Seine Rolle des „Andronico“ wurde eigentlich nicht für einen Tenor geschrieben, sondern für eine Alt-Stimmlage. „Das war eine interessante Herausforderung“, so Morstein. Diese selten gespielte Barockoper konnte noch vor Publikum aufgeführt werden. Und wenn die Lockerungen planmäßig verlaufen, wird Morstein am 16. April mit der Partie des „Amalekite“ in Georg Friedrich Händels Oratorium „Saul“ Premiere feiern. Zudem wird er in der kommenden Saison als „Conte Almaviva“ in Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ zu hören sein.

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„Alles von Meister Rossini“, das ist überhaupt Morsteins erste Antwort auf die Frage nach Traumrollen. Wenn er bei einer Antwort etwas besonders betonen will, wechselt er von seiner Muttersprache Englisch ins Deutsche. Aber auch die großen italienischen Rollen von Giuseppe Verdi, etwa „eines Tages ein Alfredo aus La Traviata“, stehen auf seiner Bucket List. Für französische Stücke hegt Morstein nach eigenem Bekunden „viel Liebe, wie etwa Faust von Charles Gounod. Und die Liebe zu Mozart teilt er mit seiner Kollegin Miriam Kutrowatz: „Ein Tito würde mich reizen.“

Tour mit A cappella-Band

Dass Morstein heute so lange und ausgiebig über Opern schwärmt, war nicht immer ganz so vorherzusehen. Geboren in Silver Spring in den USA, sang er an der Nashville Opera im Chor und einige kleinere Rollen. Schnell gewann er den Metropolitan Opera Encouragement Award, dennoch war Morstein für „viele Jahre kein Opernsänger“. Von circa 22 bis 27 Jahren machte er viel Popmusik. Mit einer A cappella-Band unternahm er ausgedehnte Tourneen durch die USA und Kanada. In den Niederlanden nahm die Gruppe eine Tourvideo auf, Konzerte führten sie bis nach Belgien und Deutschland. An einem Punkt realisierte Andrew Morstein, dass Popmusik ihn nicht mehr genug herausforderte. Daher kehrte er vor einigen Jahren an die Universität zurück, um seinen Master an der Northwestern University in Evanston in Illinois zu machen. Bisher war er unter anderem als „Ramiro“ in Rossinis „La Cenerentola“, „Tom Rakewell“ in Strawinskys „The Rake's Progress“ und in der Titelpartie von Berlioz’ „Béatrice et Bénédict“ zu hören.

Spannende Umwege: US-Tenor Andrew Morstein tourte einige Jahr mit einer A-Cappella-Gruppe durch die Vereinigten Staaten und Kanada, bis er zur Oper

Foto: Gilian Riesen

Guter Geschmack auch abseits der Oper

Geprobt wird weiterhin in der Kammeroper, aber mit hohen Sicherheitsauflagen und reduziert. Auf Instagram kann man in Andrew Morsteins Postings verfolgen, wie er sich die übrige Zeit vertreibt: Mit kochen, durchaus raffinierter als auf Hobby-Niveau. Woher kommt das Wissen um Kochen und Wein? „Ich habe viel in Restaurants gearbeitet, und bin auch gelernter Sommelière“, sagt Morstein und lacht. „Im Moment genieße ich es ein bisschen, dass ich wieder mehr Zeit hab, kulinarische Sachen auszuprobieren.“

Doch die Bühne fehlt, der Wunsch aufzutreten ist natürlich groß. „Für mich ist Wien die Hauptstadt der klassischen Musik, es ist für mich wunderbar, dass ich hier mein klassisches Debüt geben kann“, sagt Andrew Morstein.

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