„Alle, die wir hier landen, haben einen kleinen Dachschaden“, erzählte eine Souffleuse, als ich vor einigen Jahren das Burgtheater in allen Winkeln, Kellern, Gängen und Kammern durchforstete, „das verbindet uns.“ Sie sagte es voller Zärtlichkeit und Stolz.

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Souffleuse spielentscheidend für einen Abend

Für eine Reportage durfte ich mehrere Tage im Bauch des Theaters verbringen. Ich fand das so aufregend wie ein Kind, das sich in einem Spielzeugladen einsperren hat lassen. Warum es Menschen in die Flüsterbranche zog, war mir immer ein Rätsel gewesen, aber damals begriff ich, dass das Talent einer Souffleuse spielentscheidend für einen Abend sein konnte. „Ich kenne manche der Schauspieler so gut, dass ich an der Art ihres Atmens erkennen kann, ob sie eine Kunstpause setzen oder tatsächlich einen Hänger haben“, sagte sie und erzählte von jener Vorstellung, die „der totale Albtraum“ war: „Der Hauptdarsteller sagte mir: Ich konnte dich nicht hören.“ 

Es sind in etwa 600 Menschen, die im Burg- und Akademietheater allabendlich die Illusionsmaschinerie zum Strahlen bringen. Ohne diese Armee im Schatten könnten „die göttlichsten Schauspieler des Universums“ (so der Schriftsteller Gerhard Roth) einpacken.

Bis in die letzte Herzfaser für das Haus brennen

Schauspieler, sagt der Burg-Doyen Michael Heltau, „kommen und gehen“, aber die, die „bis in die letzte Herzfaser für das Haus brennen, sind die Bühnenarbeiter und die Technik“. 

Ganz unten im Theaterkoloss verbirgt sich deren Allerheiligstes. Das „Kleine Illmitz“ ist eine Art Partykeller, der den burgenländischen Ortsnamen aufgrund der Schilf­dekoration verpasst bekam. Hier stiegen früher die heißesten Feste, und Schauspielerinnen tanzten im Rausch der Premieren-­Erleichterung auf den Tischen. Einer der Bühnenarbeiter scherzte: „Mein Lieblingsstück heißt Schließtag.“ Solche Witze würde heute, nach Monaten der Theaterstille, keiner über die Lippen bringen. 

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Spezialisten und Psychotherapeuten

Tatsächlich scheint es, dass viele, die hinter den Kulissen zaubern, sich auch über die Jahre ganz nebenbei eine Ausbildung in Psycho­therapie erworben haben: die Maskenbildner, die, sobald ihre Kunden den Raum betreten, intuitiv wittern, ob der Rest einvernehmliches Schweigen oder ein nervlich beruhigendes Gespräch sein sollte. 

Die „Garderoberinnen“, die Diplome im Umgang mit Lampenfieber haben. Die Kantinen-Crew, die Häufchen von Merci-Riegeln und Gummibärchen auf der Theke positioniert, damit „die Damen und Herren sich nach einer aufreibenden Probe beruhigen können“, wie die langjährige Chefin damals erzählte. Die Martina amtiert leider nicht mehr. Sie war ein Star ihrer Zunft und eine, die „den deutschen Herrschaften ‚Schorle‘ oder ‚Tomatensalat‘ sicher nicht“ durchgehen ließ. 

Am Trinkgeld zeigt sich, ob es den Damen g’fallt oder net.

Veronika Fileccia, Klofrau im Wiener Burgtheater

Von poetischer Logik, dass eine, also eigentlich die Klofrau des Burgtheaters, Veronika Fileccia, eine Hygiene-­Präsidentin von Weltrang ist. In ihrer Jugend verdrehte sie als mit vielen Federn und kaum Kostüm geschmückte Revuetänzerin dem Nahen Osten den Kopf und überlebte dort eine Messerattacke eines eifersüchtigen Millionärs. Indirekt könnte sie Theaterkritikerin werden, denn „am Trinkgeld zeigt sich, ob es den Damen g’fallt oder net“. Auch ein hohes Leichenaufkommen würde sich negativ auf die Generosität der Toilettenbesucherinnen auswirken: „Ganz traurig war es beim letzten ‚Hamlet‘, eine echte Katastrophe. Viel zu viele Tote. Da hab i dann nur zu der erschöpften Kundschaft g’sagt: Gehen oder nicht gehen, das ist hier die Frage.“ 

Ich verbrachte fasziniert Stunden in ihrem Raumduft-Imperium. Und eines kann ich verraten: Bis heute kann sie das Cancan-Bein nahezu bis an die Nasenspitze heben.

Angelika Hagers Kolumne
Angelika Hager ist Journalistin und Autorin.

Foto: Rafaela Proell

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesell­schafts­resssort beim Nachrichtenmagazin „profil“. Sie ist die Frau ­hinter dem Kolumnen-­Pseudo­nym Polly Adler im ­„Kurier“. Hager gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich). 

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