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»HZ16« Salzburg

Von der Industriehalle zum Wohn-Highlight: Fabriken neu entdeckt für Wohnen, Arbeiten und Events

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Gestern Industrieanlage, heute Wohnhaus, Bürogebäude und sogar atemberaubende Sehenswürdigkeit: Fabriken und Logistikhallen sind flexibel in ihrer Nutzung und verzaubern durch Patina und exotischen Charme. Immer mehr Bauträger und Architekt:innen entdecken diese verrosteten Schätze.

Roughe Betonsäulen, unverkleidete Balken an der Decke, dazwischen tonnenweise nackte, verzinkte und galvanisierte Eisengeländer. Einst hatte Universal Versand hier, in Bergheim bei Salzburg, lange vor eBay, Amazon und Zalando, sein österreichisches Zentrallager. 2002 wurde der 43.000 Quadratmeter große Hallenkomplex im Zuge der Logistikum­stellung aufgegeben. Der Salzburger Investor und Projektentwickler Marco Sillaber, der in seiner Heimatstadt bereits das Gusswerk und die denkmalgeschützte Panzerhalle Maxglan zu neuem Leben erweckt hatte, konnte sich als Käufer durchsetzen und riss auch dieses äußerlich nicht sonderlich schöne Ding aus dem Dornröschenschlaf.

»Ich wollte den Bestand erhalten und mit dem arbeiten, was da ist«, sagt der 62-Jährige auf der kilometerlangen Führung durchs sogenannte »Handelszentrum 16«, die meisten sagen einfach nur »HZ16«, kurz und bündig, »auch wenn es nicht gerade das leichteste Unterfangen ist, einer lieblosen Logistikarchitektur aus den 1970er-Jahren einen gewissen Charme herauszukitzeln. Doch genau das ist uns hier gelungen. Wir haben den Geist des Hauses erhalten und die hässlichen Stützen, Betonträger und Dach­untersichten in einen neuen, ästhetischen Kontext gerückt.«

Garnelen im Keller

 

Das Konzept für die ungewöhnliche Revitalisierung, von der ersten Skizze bis zur Schlüsselübergabe, stammt vom Wiener Architekturbüro smartvoll. »Das Großartige an alten Fabrikbauten und Logistikhallen ist ja, dass die Struktur sehr klar und sehr rigide ist und daher viele unterschiedliche Nutzungen zulässt«, sagen Christian Kircher und Philipp Buxbaum von smartvoll. »Zu Beginn hatten wir sogar die Idee, zwischen den gigantischen Betonsäulen eine 100 Meter lange Schwimmbahn zu bauen, das wären der längste Pool Österreichs geworden.« Gescheitert ist es daran, dass Sportnutzungen in einem gewerblich gewidmeten Gebiet nicht zugelassen sind. Der Plan B ist nicht weniger attraktiv: Einen Teil des neuen »HZ16« nutzt der Bauherr selbst, andere Flächen wiederum sind an Start-ups, an produzierendes Gewerbe und an Unternehmen im Tech-Bereich vermietet. Hier gibt es ein Fotostudio, dort eine Küchenmanufaktur, erst unlängst wurde die große Halle als medizinisches Großlabor für Harn-, Blut- und Gewebeproben ange­mietet. Doch das Highlight ist ohne jeden Zweifel die Salzburger Biogarnelenzucht im Untergeschoß, auf dem Logo eine Garnele mit Mozartperücke am Kopf. Mahlzeit!

Surreales Ungetüm

Historische Factory-Strukturen sind nicht nur flexibel und nutzungsneutral, sondern beziehen ihren Reiz vor allem von ihren oft großen Raumhöhen, von ihrer spezifischen Geschichte und von ihrer unverwechselbaren Materialität und Patina, die an ihnen haften. In Basel wurde ein ehemaliges Weinlager der Supermarktkette Coop in ein Wohnhaus umgebaut. Wo einst edle Tropfen in Fässern und Flaschen gelagert wurden, breiten sich nun Küchen, Wohnzimmer und exotisch geschnittene Schlafbereiche aus.

Die ehemals notwendige Tragkonstruktion, die hier wertvolle Dienste leistete, bildet sich als Zeitzeuge in den Wohnungen ab: Noch nie zuvor schienen roh betonierte Pilzstützen schöner in den Mittelpunkt gerückt als hier. Die wahrscheinlich atemberaubendste Revitalisierung einer alten Industrieanlage ist erst im Entstehen: Jahrzehntelang lieferte die 1971 errichtete Zhangjiang Cement Factory am Stadtrand von Shanghai den Zement für den Bau der Zukunft. 2013 wurde der Betrieb eingestellt. Aktuell wird das surreale Ungetüm von MAD Architects mit einer futuristischen Arche überbaut. »The Ark«, so der offizielle Titel, beherbergt Bars, Restaurants und öffentliche Veranstaltungsbereiche. In zwei Jahren soll die ehemalige Zementfabrik als Factory reloaded wiedereröffnet werden.

Erschienen in
LIVING 06-07/2024

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Wojciech Czaja
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