„Die große Show“, die zu Ehren der bald 60-jährigen Susanne veranstaltet wird, ist nur scheinbar ihre Show. Mit Bewegungen zwischen Laszivität und Verfremdung wird sie von ihrer jüngeren Kollegin Michaela immer wieder aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit geschubst. Auch dann noch, als sich Susanne längst mit ihrer Position als Randerscheinung abgefunden hat. Aber: The show must go on. Und das bedeutet für Susanne in erster Linie, dass das Prosecco-Glas immer gut gefüllt sein muss. Glücklicherweise kümmert sich der müde über die Bühne schlurfende Zauberer Raphael darum, dass alles im Fluss bleibt. Der Show-Charakter des Abends, den Martin Gruber gemeinsam mit seinem aktionstheater ensemble entwickelt hat, ergab sich aus der Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen unserer Zeit. Das entspricht, wie Schauspielerin Susanne Brandt erklärt, der für die Theaterkompanie typischen Arbeitsweise.

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Bei uns ist jede künstlerische Bearbeitung gleichzeitig auch eine Überhöhung."

Susanne Brandt

„Wir reagieren immer sehr schnell darauf, was im Moment passiert“, sagt sie. Die öffentliche Generalprobe und die Premiere haben die Ensemblemitglieder gerade erfolgreich hinter sich gebracht. Beim Gespräch in den Garderobenräumen des Werk X, wo „Die große Show“ noch bis 15. Januar zu sehen ist, ist nun endlich richtiger Prosecco im Glas. „Die Idee ist deshalb entstanden, weil es unglaublich viele Shows über all diese existenziellen Thematiken gibt. Diesen Rahmen haben wir genommen, um zu zeigen, auf welch absurde Weise diese Showformate aktuelle Themenbereiche verhandeln.“

Darüber hinaus war es dem Ensemble wichtig, die Abgründe der Figuren zu zeigen. Also jene Seiten einer Persönlichkeit, die man in großen Fernsehshows üblicherweise nicht sieht. „Bei uns ist jede künstlerische Bearbeitung gleichzeitig auch eine Überhöhung“, bringt die in Solingen geborene Schauspielerin die Arbeitsweise des Ensembles auf den Punkt. Gesichtsverlust und Einsamkeit, die in solchen Formaten normalerweise keinen Platz haben, bilden das emotionale Grundrauschen dieser Produktion, bei der Susanne Brandt als „Susanne“ auf der Bühne steht.

Susanne Brandt und Michaela Bilgeri in „Die große Show" im Werk X.

Foto: Gerhard Breitwieser

Nähe zum Publikum

Das bedeutet aber keinesfalls, dass nicht gelacht werden darf. Ganz im Gegenteil. „Lachen entsteht bei uns nicht nur aus Pointen, sondern als emotionale Reaktion auf etwas, womit man entweder umgehen oder nicht umgehen kann. Eines unserer größten Anliegen ist deshalb, dass sich das Publikum auf unsere Stücke einlässt“, erklärt die Schauspielerin, die seit 1994 festes Ensemblemitglied beim aktionstheater ensemble ist. So löst auch „Die große Show“ im Publikum eine Mischung aus Lachen, Stille und Betroffenheit aus. Dieser Mix aus Gefühlen entsteht, so Susanne Brandt, weil sich plötzlich Dinge vor einem ausbreiten, bei denen man im Alltag immer wieder eine Entschuldigung oder einen Ausweg findet. „Wir schaffen es, dass die Zuseher*innen diesen Ausweg nicht finden, nicht ausweichen können. Und das berührt und macht nachdenklich". Deshalb ist jedes Stück des aktionstheater ensembles immer eine Suche nach jenen Dingen, die die Menschen am meisten berühren.

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Betonen möchte sie außerdem, dass sie, obwohl sie nun schon öfter Figuren mit dem Namen „Susanne“ gespielt hat, nie als sie selbst auf der Bühne steht. Trotzdem entsteht durch diese Namensgleichheit eine besondere Form der Authentizität. „Es ist so, als würde es im Moment passieren und als wären wir diejenigen, die diese Erfahrungen gemacht haben. Das schafft eine Nähe zum Publikum. Wir geben ihnen nicht die Möglichkeit eines Abstands.“

Michaela Susanne (rechts) die Show, obwohl die Feier zu ihren Ehren stattfindet.

Foto: Gerhard Breitwieser

Die Bedeutung des Körpers

Die Stückentwicklungen, denen sich das aktionstheater ensemble seit etwa zehn Jahren verschrieben hat, entstehen im Probenprozess. „Wir sammeln Themen, Interviews und Gespräche. Außerdem wird jede Probe aufgezeichnet“, fasst Susanne Brandt zusammen. Das Material liefern alle, die an einer Produktion beteiligt sind. Dann entwickelt Regisseur und Gründer Martin Gruber gemeinsam mit dem Dramaturgen Martin Ojster das Stück. „Ob jene Person, die ein bestimmtes Thema eingebracht hat, dann auch genau das spielt oder doch jemand anderer aus dem Ensemble, ist eine Frage, die uns häufig gestellt wird. Ich antworte dann gerne, dass ich es nicht weiß“, erzählt die Schauspielerin lachend.

Gerade als Susanne Brandt über die Bedeutung des Körpers in den Arbeiten des aktionstheater ensembles zu sprechen beginnt, fliegt die Garderobentüre auf und Michaela Bilgeri stürmt herein, um ihrer Kollegin etwas ins Ohr zu flüstern. Alles weitere muss jedoch warten, denn „jetzt ist erstmal Interview“, stellt Susanne Brandt gleichermaßen fröhlich wie vehement fest. „Über den Körper wird ein bestimmter Charakter sichtbar“, setzt sie ihre Ausführungen fort. „Das ist deshalb so ein wichtiger Zugang für uns, weil das Publikum über die Körperlichkeit viel mehr versteht als über die Sprache. Auf rein körperlicher Ebene könnte ich heute noch jene Figuren darstellen, die ich vor 30 Jahren, als ich beim aktionstheater ensemble begonnen habe, gespielt habe.“

In ihrem Ensemble fühlt sich Susanne Brandt, die an der Folkwang Hochschule studiert hat und danach unter anderem am Theater in der Josefstadt engagiert war, immer noch wohl und zu Hause. „Ich bin froh, vor dreißig Jahren ein Ensemble gefunden zu haben, das eines der interessantesten und aktuellsten seiner Zeit ist und in dem ich immer das Gefühl hatte, mich weiterentwickeln zu können“, sagt sie, bevor wir uns wieder in die kalte Wiener Nacht begeben.

Zur Person: Susanne Brandt

Susanne Brandt absolvierte die Folkwang Hochschule in Essen und kam 1986 das erst mal nach Wien an das Theater in der Josefstadt. Dann folgten mehrere Engagements in Deutschland-Stadttheater Aachen, Landestheater Tübingen, Staatsschauschauspiel Dresden. Seit 1994 ist sie festes Ensemblemitglied beim aktionstheater ensemble