In einem alten holzvertäfelten Turnsaal einer ehemaligen Schule in der Viktor-Christ-Gasse ist es sehr viel grüner als man das aus Schulzeiten gewohnt ist. Pflanzen, Moose und Stöcke sind überall im Raum zu sehen – auf großen Tischen, die von Matten eingerahmt werden. Auf den ersten Blick scheint es so, als hätte sich die Natur diesen von Menschen geschaffenen und auf unterschiedliche Weise von ihnen bespielten Raum zurückerobert. 

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Ein bisschen ist es auch so, erklärt Künstlerin Lisa Hinterreithner, die mit ihrer Performance „This is not a garden“ den ehemaligen Turnsaal in einen Ort verwandeln möchte, an dem Menschen Gäste sind und Pflanzen das Sagen haben. Nach der Initialzündung für ihr Projekt gefragt, antwortet die gebürtige Salzburgerin lachend: „Eine Pollenallergie“. Nach einem kurzen Rundgang durch das wenige Tage vor der Premiere schon fast fertig aufgebaute Set, haben wir uns im Innenhof der seit einigen Jahren als Kreativbrutstätte genutzten Schule an einen Tisch gesetzt. „Das mit der Allergie war natürlich ein Scherz“, hält sie nach einer kurzen Pause fest. Eine Initialzündung im klassischen Sinne gab es nämlich nicht, dafür zahlreiche Momente, die sie dazu gebracht haben, immer wieder über die Klimakrise und das Verhältnis zwischen Menschen und Pflanzen nachzudenken. 

This is not a garden: Von der Verpflanzung des Publikums
Berührung war eines jener Themen, die bei der Entwicklung von „This is not a garden“ eine wichtige Rolle spielten.

Foto: Eva Würdinger

Garantiert nicht tierfrei

Pflanzen sind für die Künstlerin keine „Dinge“, sondern nichtmenschliche Wesen. Das Zusammenspiel menschlicher und nichtmenschlicher Akteur*innen beschäftigt Lisa Hinterreithner schon seit geraumer Zeit. 2013 wurde ihr klar, dass der Einsatz von Props, so wie er im Theater üblich ist, nicht zu ihrer Arbeitsweise passt. „Ich arbeite zwar gerne mit Objekten und Materialien, habe einen anderen Zugang dazu – eher wie man ihn von Installationen kennt“, so Hinterreithner. Auch „This is not a garden“ spannt sich, wie die Künstlerin im Interview erklärt, zwischen bildender Kunst und Choreografie auf. Aus der Arbeit mit verschiedenen Objekten hat sich bei ihr nach und nach der Wunsch entwickelt, andere Lebewesen in ihre Performances miteinzubeziehen. „Mit Tieren habe ich bislang aber noch nicht gearbeitet“, merkt sie an und fügt lachend hinzu: „Wobei das hier indirekt der Fall ist, denn die Performance ist garantiert nicht tierfrei.“

Auf Basis des New Materialism befragt Lisa Hinterreithner in ihren Arbeiten das Verhältnis von Menschlichem und Nichtmenschlichen, das in der westlichen Welt von einer klaren Hierarchie und einer damit verbundenen Vorherrschaft des Menschlichen über das Nichtmenschliche geprägt ist. Immer wieder tat sich in der Arbeit an „This is not a garden“ die Frage auf, wann es zu einer Instrumentalisierung kommt – inwiefern Pflanzen auch in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung benützt werden, um etwas zu zeigen oder zu repräsentieren. „Ich denke, dass wir Menschen kaum ein Handlungsspektrum haben, in dem wir uns von dieser Instrumentalisierung lösen können. Entweder wir missbrauchen Pflanzen für Nahrung oder setzen sie zu ästhetischen Zwecken ein“, so Hinterreithner. 

This is not a garden: Von der Verpflanzung des Publikums
Das Zusammenspiel von Menschlichem und Nichtmenschlichem beschäftigt die Künstlerin schon seit einiger Zeit.

Foto: Eva Würdinger

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Beine an Blüten

Konkrete Lösungsvorschläge oder Exit-Strategien möchte sie in ihrer Performance nicht präsentieren, aber genau diese Fragen aufwerfen. „Außerdem versuche ich Pflanzen zu verwenden, die aus biologischer Sicht keine Pflanzen sind, weil sie keinen Stoffwechsel mehr haben“, ergänzt sie. Teil der Performance ist ein Podcast über die Berührung mit Pflanzen sowie über das historisch gewachsene, problematische Verhältnis zu ihnen, der in enger Zusammenarbeit mit dem Ökologen Markus Gradwohl entstanden ist. Der Versuch einer neuen Perspektivierung findet in ihrer Performance auch dadurch statt, dass die Performer*innen – mit Lisa Hinterreithner performen außerdem Rotraud Kern, Sara Lanner, Linda Samaraweerová – Fährten zu neuen transkorporalen Anordnungen legen. Beine an Blüten, an Hintern, an Blättern, an Köpfen an Stängeln, Händen und Ästen. 

Nicht nur menschliche und nichtmenschliche Wesen – Menschen und Pflanzen – rücken in Lisa Hinterreithners Performance nah aneinander heran, sondern auch Performer*innen und Zuseher*innen. Sie sind nicht länger voneinander getrennt, die klassische Zweiteilung des Raumes, wie man sie vom Theater kennt, also aufgehoben. Deshalb spricht die Künstlerin auch lieber von Gästen als von Zuschauer*innen. Der Performance-Space ist für sie ein Ort des Miteinanders, in dem Performer*innen, Publikum, Objekt und Sound miteinander in Kontakt treten. 

This is not a garden: Von der Verpflanzung des Publikums
Pflanzen sind für Lisa Hinterreithner keine „Dinge“.

Foto: Eva Würdinger

Langsamkeit

Ich glaube, dass man, wenn man eigene Gewohnheiten verändern möchte, zunächst aufhören muss, etwas zu tun.

Lisa Hinterreithner

Die wichtige Rolle der Langsamkeit in ihrer Performance begründet Lisa Hinterreithner auf folgende Weise: „Ich glaube, dass man, wenn man eigene Gewohnheiten verändern möchte, zunächst aufhören muss, etwas zu tun. Meiner Einschätzung nach muss man sich zuerst extrem verlangsamen, um überhaupt zu verstehen, was man getan hat und dann etwas anderes tun zu können.“ Außerdem sei, wie sie hinzufügt, der langsame und passive Körper viel empfänglicher als der schnelle und aktive Körper. „Er ist rezeptiver“, bringt es die unter anderem in New York ausgebildete Künstlerin auf den Punkt. Sie fügt hinzu: „Deshalb liegen und lümmeln unsere Gäste, von denen 35 gleichzeitig im Raum sind, bei uns auch. In einer horizontalen Position stellt sich diese Passivität leichter ein.“ 

In Sachen Langsamkeit dienten aber auch die Pflanzen selbst als Vorbilder. „Und wer weiß, vielleicht liegt in dieser Langsamkeit ja die Möglichkeit einer Koexistenz von Menschlichem und Nichtmenschlichem“ wirft Lisa Hinterreithner abschließend auf. Wer es herausfinden möchte, sollte von 10. bis 12. Juni das Creative Cluster in der Viktor-Christ-Gasse besuchen. 

This is not a garden“ ist eine Koproduktion des Tanzquartier Wien.

Künstlerische Leitung, Kreation, Performance Lisa Hinterreithner Kreation, Performance Rotraud Kern, Sara Lanner, Linda Samaraweerová Set Lisa Hinterreithner, Sara Lanner Sound, Komposition Lisa Kortschak, Elise Mory Kostüm Daniela Grabosch Research, Podcasttext Markus Gradwohl, Lisa Hinterreithner Tonobjekte Jacob Bartmann, Lisa Hinterreithner Setbau Pia Proskawetz Setassistenz Michaela Altweger

Zu den Spielterminen von „This is not a garden“!