BÜHNE: Ihr erzählt die Operette von Johann Strauss komplett neu. Was war der inhaltliche Ausgangspunkt der Neuinterpretation? Welche Fragen standen zuallererst im Raum?

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Alireza Daryanavard: Dass „Der Zbaron“ von Johann Strauss ein problematisches Stück ist, war mir schon lange bewusst. Doch nicht diese Problematik war mein Ausgangspunkt, sondern die Tatsache, dass diese Problematik immer wieder ignoriert wird. Gerade das hat mich überrascht – und genau das war es, was mich dazu gebracht hat, mich mit dem Stück auseinanderzusetzen und zu versuchen, es neu zu denken und umzuschreiben.

Die wichtigste Frage dabei war: Wie weit soll – oder muss – ich mich von Johann Strauss und seiner Erzählung distanzieren? Denn um über die problematischen Aspekte des Stücks zu sprechen, brauchte ich eigentlich nicht besonders viel von ihm. Schließlich entschied ich mich dazu, durch ihn – und durch das, was in seinem Werk fehlt – über größere Themen zu sprechen. Ich wollte über eine tief verwurzelte Ignoranz in unserer Gesellschaft sprechen – eine Ignoranz, die direkt oder indirekt verhindert, dass marginalisierte Menschen ihre eigenen Geschichten erzählen dürfen.

Welchen Herausforderungen seid ihr in der Konzeptionsphase begegnet?

Ich glaube, es war inhaltlich gar nicht so herausfordernd, dieses Werk zu dekonstruieren. Die größere Herausforderung waren vielmehr die Reaktionen darauf. Oft hatte ich das Gefühl, dass manche Menschen ganz bewusst diese Arbeit – oder allein schon den Titel – verteidigen. Herausfordernd war für mich vor allem zu erkennen, dass kaum ein Bewusstsein dafür existiert, dass dieses Werk Klischees bedient, die aus tiefen gesellschaftlichen Traumata entstanden sind. Und wir sagen dann oft: „Ach, das ist doch nur Kunst. Für uns zählt die Kunst – die Musik ist das Wichtigste!“

Aber genau solche Haltungen tragen dazu bei, dass bestimmte Zuschreibungen einfach bestehen bleiben – und niemand fragt mehr nach, woher sie kommen oder was sie eigentlich bedeuten.

Was findest du an der Operette als Genre besonders spannend?

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Ganz ehrlich: Ich habe dazu keine feste Meinung. Ich schaue mir normalerweise keine Operetten an – sie sprechen mich einfach nicht an.
Sie sind irgendwie fremd für meine Welt. Und genau das war für mich ein Antrieb: der Versuch, mir durch meine Fantasie eine eigene Version des Genres Operette zu erschaffen.

Aber um deine Frage nicht unbeantwortet zu lassen, würde ich sagen: Das Publikum. Ich weiß selbst nicht genau, warum, aber ich hatte das Gefühl, dass ich diesen Menschen im Alltag nur sehr selten begegne. Und gerade der Dialog mit den Operettenliebhaber*innen – den finde ich am spannendsten.

Romabaron
Alireza Daryanavard ist Theatermacher und Mitbegründer des Theaterkollektivs Hybrid, das interdisziplinäre Künstler*innen, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen, vereint.

Foto: Rezzarte

Was war euch bei der Zusammenstellung des Ensembles wichtig?

Wir erzählen die Geschichte aus einer marginalisierten Perspektive – aus der Sicht derjenigen, die in solchen Werken bislang oft übersehen oder stereotyp dargestellt wurden. Und das kann nur gelingen, wenn die Marginalisierten selbst erzählen – wenn sie selbst auf der Bühne stehen.

Ich hatte dabei das große Glück, mit vier Sängerinnen zu arbeiten, die neben ihrer musikalischen Expertise auch eine sehr kritische Haltung zum Genre mitbringen. Das hat unsere Zusammenarbeit enorm bereichert – und vieles einfacher gemacht. Durch die Stimmen und den künstlerischen Einfluss von Sakina Teyna, Golnar Shahyar, Basma Jabr und Özlem Bulut wurde das Projekt lebendig, kraftvoll und – ganz wichtig – zeitgemäß.

So ist eine echte Operette für Wien 2025 entstanden – verwurzelt in der heutigen Gesellschaft, erzählt aus einer Perspektive, die bisher viel zu selten gehört wurde.

Was erwartet das Publikum in musikalischer Hinsicht?

Ich glaube, es beginnt mit einer Überraschung. Zuerst fragt man sich: Ist das Johann Strauss? Dann merkt man: Ja, es ist Johann Strauss – aber nicht ganz. Ich glaube, das Publikum wird sich während des Stücks immer wieder fragen: Moment… das kenne ich doch… aber irgendwie ist es ganz anders?
Und genau das war von Anfang an mein Wunsch.

Ehrlich gesagt: So etwas kann eigentlich nur Mahan Mirarab. Etwas zu dekonstruieren – und daraus etwas komplett Neues zu schaffen – das erfordert nicht nur Expertise in klassischer Musik, sondern auch ein tiefes Verständnis für Weltmusik. Mit seiner Komposition bringt Mahan eine musikalische Weltreise auf die Bühne, die klischeefrei den breiten, vielfältigen Einfluss der Roma-Musik hörbar macht. Und das spürt man auch auf der Bühne – besonders im Orchester. Dieses Orchester klingt einfach anders, und genau darüber freue ich mich sehr. Ich bin überzeugt, dass das auch beim Publikum gut ankommt – sogar bei jenen, die eigentlich für Johann Strauss und klassische Operette gekommen sind.

Interdisziplinarität spielt in deiner Theaterarbeit eine große Rolle. Wie kam das?

Ich glaube, es sind zwei Dinge. Zum einen sind die Themen, so vielschichtig, dass sie fast automatisch eine interdisziplinäre Herangehensweise brauchen.

Und zum anderen liegt es auch daran, dass ich oft das Gefühl habe, Theater allein reicht nicht aus – zumindest nicht in der heutigen Zeit. Ich will dabei gar nicht pessimistisch klingen, aber ich kann den großen Abstand zwischen Theater und Gesellschaft einfach nicht ignorieren. Deshalb helfen mir andere Genres, mein Zielpublikum besser zu erreichen – und ganz nebenbei machen sie den Arbeitsprozess auch viel kreativer und spannender.

Romabaron
Regisseur Alireza Daryanavard beleuchtet in seiner Inszenierung gesellschaftliche Machtverhältnisse und die Kontinuität von Diskriminierung.

Foto: Reza Majdodin Triangle Studios