Juvenile Willenskraft. Wissen andere oft mit fünfzig noch nicht, wohin die Lebensreise gehen soll, hatte Peter Heilker schon als Achtjähriger klare Vorstellungen. Der in Mülheim an der Ruhr Geborene verbrachte die Sommer regelmäßig bei seinem Großvater, einem Landtierarzt und Opernfan mit großer Schallplattensammlung, dessen musikalische Früherziehung beim Enkel nachhaltig verfing. „Er erzählte mir auf Spaziergängen den Inhalt diverser Opern, die mir wie spannende Geschichten vorkamen, und spielte sie mir danach vor. So wurde ich anhaltend mit dem Opernvirus infiziert.“

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Nach sechs Wochen wieder zu Hause, wollte der resolute Volksschüler nun auch sehen, was er gehört hatte. „Meine Eltern fanden das ein bisschen bizarr, haben sich aber überreden lassen und gingen mit mir in ‚Die Entführung aus dem Serail‘. Sie dachten wohl, das war’s, aber fortan wollte das verrückte Kind jede Woche in die Oper.“

Das Einzugsgebiet war groß – mit Düsseldorf, Duisburg, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Köln, Bonn und Wuppertal boten sich viele Möglichkeiten. Peter Heilker bestellte sich von allen Opernhäusern Spielpläne, die er akribisch durchforstete. „In der Unterrichtspause schlich ich mich zur nächsten Telefonzelle, rief in einem der Büros an und bestellte Schülerkarten. Abends musste ich hingefahren werden.“ Als er schließlich achtzehn war, schenkten ihm seine Eltern umgehend einen alten VW Polo, um die Fahrtendienste glücklich beenden zu können.

Dass ihn sein Berufsweg direkt in die Kunstwelt führte, verwundert kaum. Er studierte Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Psycholinguistik, begann als Assistent in der Dramaturgieabteilung der Bayerischen Oper, wo er zehn Jahre lang blieb und es bis zum Leiter brachte.

„Das wurde mir dann ein wenig fad, was von meinen Chefs, Intendant Sir Peter Jonas und Operndirektor Ronald H. Adler, bemerkt wurde. Und weil ich mich manchmal ungefragt zu Sängern geäußert habe, schickten sie mich als Scout in die italienische Provinz, um Talente aufzuspüren.“

So wurde sein ohnehin vorhandenes musikalisches Gehör – er spielte Klavier und Waldhorn – zusätzlich geschärft und der Grundstein für seine weitere Karriere gelegt. Denn Peter Heilker ging hernach als Operndirektor nach St.Gallen, wo er 13 Jahre lang umfängliche Aufgaben wahrnahm, und kam 2022 gemeinsam mit Intendant Stefan Herheim nach Wien, um dessen Stellvertreter zu werden und zudem die Agenden des Programm- und Castingdirektors zu übernehmen.

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Idealerweise kennt man die Stars von morgen schon heute.

Peter Heilker, stellvertretender Intendant, Programm- und Castingdirektor

Am richtigen Platz

„Wien ist das Mekka und reizt wohl jeden“, beantwortet er die Frage nach seinem Wechselmotiv. „Natürlich ist es herausfordernd, denn Wien hat einen Ruf als Haifischbecken. Ich fühle mich als Piefke aber pudelwohl und frage mich, warum ich nicht schon früher hierher gekommen bin. Wien groovt. Die Grundeinstellung der Stadt zur Kultur – ihr Stellenwert im sozialen Leben und das Augenmerk auf niederschwelligen Zugang – ist einzigartig. Ich verstehe auch nicht, warum man die Wiener als grantig bezeichnet, in München sind die Leute mitunter schlechter gelaunt.“

Peter Heilkers Metier ist umfangreich. Er vertritt in dessen Abwesenheit den Intendanten, mit dem er sich ohnehin in allen Belangen eng abstimmt, verwaltet das Kunstbudget des Hauses, verantwortet als Programmdirektor die Spielplangestaltung und denkt als Castingdirektor die Besetzung gleich mit.

„Dabei versuche ich, mir als Erstes Stimmtypen und Klangcharakteristika vorzustellen. Wenn ich ein Stück nicht gut kenne, nehme ich dazu auch die Partitur zur Hand und schaue mir die Tessitura genau an. Als Nächstes überlege ich, welche Sängerin, welcher Sänger die Erfordernisse auch szenisch erfüllen könnte. Zugleich denkt man auch schon an das gesamte Ensemble, denn die einzelnen Charaktere sollten auch miteinander harmonieren oder spannend divergieren.“

Er müsse zudem stets antizipierend agieren, also drei, vier Jahre im Voraus. „Eine Barbarina in ‚Le nozze di Figaro‘ könnte in vier Jahren eventuell Susanna und in sechs Jahren Gräfin Almaviva sein. Idealerweise kennt man die Stars von morgen schon heute. Ein schönes Beispiel ist Aigul Akhmetshina, die ich vor drei Jahren in London, frisch aus dem Jette Parker Young Artists Programme, als Charlotte in ‚Werther‘ gesehen habe. Ich fand sie sehr vielversprechend und dachte schon damals, sie wäre eigentlich die ideale Adalgisa in ‚Norma‘. Und so ist es dann ja auch gekommen.“

Was macht eine gute Sängerin, einen guten Sänger in seinen Ohren aus? „Die Unverwechselbarkeit der Stimme und das stimmliche Ausdrucksvermögen. Egalisierende Stimmen werden schnell langweilig. Die großen Sängerdarsteller*innen unserer Zeit sind durchgehend Menschen mit schauspielerischen Fähigkeiten. Das ist selbstverständlich geworden. ‚Park and bark‘ war früher“, fügt er schmunzelnd an.

„Bologna“ auf der Donauinsel

Welche Musik hört der Profi privat? „Ehrlich gesagt auch Oper. Und Jazz aus den 1960er-Jahren, womit ich wohl ganz dem Klischee des alten weißen Mannes entspreche. Bobby Hutcherson ist mein König, für mich der größte Vibraphonist aller Zeiten. Ich bin ein absoluter Vinylfreak und kaufe online oder auf Kirchenflohmärkten alles, was ich kriegen kann. Meine Sammlung benötigt mittlerweile zwei Zimmer. Außerdem bin ich ein ganz großer Wanda-Fan. Bei ihrem Donauinselfest-Konzert letztes Jahr war ich im Himmel.“

Das mögen gerade im Klassikbetrieb manche seltsam finden.

„Ich aber liebe es!“

Zu den Spielterminen des MusikTheater an der Wien!