Wenn Gerhild Steinbuch von einer „Erweiterung des Autor*innenbegriffs“ spricht, hat das bei ihr auch eine räumliche Dimension. Sowohl für ihr eigenes Schreiben als auch für ihre Tätigkeit als Leiterin des Instituts für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien gilt: Das Narrativ des Autors, der alleine in seinem Kämmerchen sitzt und schreibt, hat ausgedient. An seine Stelle tritt die Arbeit an unterschiedlichen Formaten und in verschiedenen Konstellationen, für die eine Offenheit notwendig ist, die gar nichts anderes zulässt, als die Tür des einsamen Kämmerchens weit aufzustoßen.

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„Ich finde es schön, an Projekten zu arbeiten, die inhaltlich und formal unterschiedliche Schwerpunkt haben – einerseits am Stadttheater tätig zu sein, andererseits aber auch in der freien Szene Projekte umzusetzen. Ich habe das Gefühl, dass es meinem Schreiben guttut, wenn ich mich auf verschiedene Formen einstellen muss“, sagt sie. Wichtige Impulse für ihre eigene Arbeit bekommt sie auch dann, wenn sich die Möglichkeit ergibt, den Entstehungsprozess einer Inszenierung während der Proben beobachten zu können. „Auf diese Weise entdecke ich Dinge, auf die ich am Schreibtisch gar nicht gekommen wäre. Ich sehe mich dabei nicht als Kontrollinstanz, sondern möchte etwas für mein Schreiben lernen“, erklärt die Autorin. Für Gerhild Steinbuch ist das, fügt sie hinzu, ein großes Privileg. „Die Probebühne ist ein geschützter Raum, deshalb bringt es eine gewisse Verantwortung mit sich, wenn man von außen reinkommt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dieser Raum immer wieder für mich geöffnet wird.“

Freiraum, der keiner ist

So war es auch bei „In letzter Zeit Wut“, einer Auftragsarbeit des Schauspiels Frankfurt. Die Stückentwicklung ist eine Überschreibung des Stückes „Die Frauen der Volksversammlung“ von Aristophanes und wurde Gerhild Steinbuch vom Theater vorgeschlagen. Ein absoluter Glücksfall, weil es, wie die Autorin betont, viele Überschneidungen mit ihren persönlichen Interessen gab. In der klassischen griechischen Komödie geht es um eine Gruppe von Frauen, die durch ein geschickt eingefädeltes Täuschungsmanöver das Parlament übernimmt und infolgedessen für eine Neuordnung der Machtverhältnisse sorgt.

Christina Tscharyiski hat „In letzter Zeit Wut" inszeniert.

Foto: Felix Grünschloß

Für Gerhild Steinbuch war die Arbeit an ihrem, im November uraufgeführten Stück auch eine Möglichkeit, sich mit der Verteilung von Macht und den dahinterliegenden Strukturen auseinanderzusetzen und aufzuzeigen, warum die Frauen in „In letzter Zeit Wut“ eigentlich keine Chance haben, aus diesem von Kapitalismus und patriarchalen Mustern geprägten System herauszukommen. „Es geht um einen Freiraum, der eigentlich gar nicht existiert“, erklärt sie. „Wir kennen solche vermeintlichen Freiräume zum Beispiel aus Situationen, in denen einer Frau zwar eine gute Position zugesprochen wird, diese dann aber doch wieder schlechter bezahlt ist als jene ihres männlichen Kollegen. Oder man ist auf Fotos die Vorzeigefrau, die Credits bekommen aber wieder nur die Männer. Wenn Feminismus als Marke eingesetzt wird, bringt er in der Regel nur eine vermeintliche Freiheit mit sich.“

Szenenbild aus „In letzter Zeit Wut" am Schauspiel Frankfurt.

Foto: Felix Grünschloß

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Sprache als Machtinstrument

Ab Februar wird am Tiroler Landestheater Gerhild Steinbuchs Stück „Gute Geständnisse besserer Menschen“ gezeigt. Das Stück begibt sich tief hinab in die Abgründe des Alltäglichen. Spannend fand sie an dieser Arbeit unter anderem, dass sich dadurch die Möglichkeit ergab, ganz genau zu durchleuchten, was die Perspektive eines Täters oder einer Täterin ausmacht und wie sich diese vermeintlich drehen kann. Täter begreifen sich als Opfer und Ausflüge in den Wald werden in der Stückentwicklung zu Menschenjagden, während alles um die folgende Frage kreist. „Wenn kein Sprechen frei von Gewalt ist, wie kann man dann überhaupt über Gewalt sprechen?“

Wie bei ihren anderen Projekten ist es auch hier die Sprache mitsamt all ihrer Mechanismen, die Gerhild Steinbuch ganz besonders interessiert. Schon in der Anfangszeit ihrer Karriere zeichnete sich ab, dass sie ihre Figuren vor allem über die Sprache formen möchte. „Ich finde es zum Beispiel total spannend, wie sich Menschen nahe sein können, gleichzeitig aber überhaupt nicht im Stande sind, das zu vermitteln und immer wieder daran scheitern“, erklärt Steinbuch. Was sich jedoch immer wieder geändert hat, ist das Netzwerk aus Bezugspunkten.

„Weil ich noch sehr jung war, als ich mit dem Schreiben begonnen habe, hat mich am Anfang vor allem meine unmittelbare Umgebung interessiert. Erst ein wenig später habe ich Sprache auch als Machtinstrument verstanden“, fasst sie die Entwicklung ihrer Auseinandersetzung zusammen. Oft ist die Sprache nicht nur Ausgangsmaterial, sondern auch Startpunkt ihrer Arbeit. Auf besonders konzentrierte Weise fand das beispielsweise bei dem von Gerhild Steinbuch mitgegründeten Autor*innenkollektiv „Nazis und Goldmund“ statt.

Auf einer anderen Ebene, jedoch nicht ganz losgelöst davon, treibt Gerhild Steinbuch auch die Frage an, wie man mit sprachlichen Mitteln mit der Versehrtheit des menschlichen Körpers umgehen kann. Immer wieder geht es in ihren Stücken um jene Mechanismen, die die sogenannte Leistungsgesellschaft zu einer ebensolchen machen.

Übersprudelnde Energie

Weil sie zwar seit einigen Jahren auch Berlin lebt, gemeinsam mit Monika Rinck aber das Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Künste in Wien leitet, pendelt Gerhild Steinbuch zwischen den beiden Städten. Ihr Umzug nach Berlin hatte mehrere Gründe. „Das Bedürfnis kam unter anderem deshalb auf, weil sich der Eindruck, dass man sich in Österreich relativ schnell kennt, immer mehr verfestigt hat. Das kann man entweder gut und bequem finden oder es kann ein Grund sein, sich immer mehr zurückzuziehen. Bei mir wäre vermutlich eher Letzteres passiert“, bringt es die Autorin auf den Punkt. „In Berlin, wo es sehr viele Menschen gibt, die künstlerisch arbeiten, steht eher der Inhalt einer Arbeit und nicht man selbst als Person im Vordergrund.“

Gleichzeitig findet, so Steinbuch, ein reger künstlerischer Austausch statt. Wie sich ihre Leitungsfunktion an der Angewandten und ihre eigene künstlerische Arbeit unter einen Hut bringen lassen? „Ich arbeite gerne und ich habe ein hohes Energielevel“, antwortet sie lachend. „Außerdem betreue ich am Institut die Texte der Studierenden, was ich als extremes Privileg empfinde, weil es mir erlaubt, in den künstlerischen Prozess einzusteigen und bei seiner stetigen Weiterentwicklung dabei zu sein. Ähnlich wie in der Probenarbeit. Deshalb sehe ich das eher als Erweiterung und Ergänzung meiner eigenen künstlerischen Arbeit". Damit ist klar: Frischer Wind wird in Gerhild Steinbuchs Arbeitszimmer nicht durch gelegentliches Stoßlüften erzeugt, sondern durch permanent offene Fenster und Türen.

Zur Person: Gerhild Steinbuch

Studierte Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin. Sie schreibt Texte für Sprech- und Musiktheater, Essays, Hörspiele und Prosa und arbeitet zudem als freie Dramaturgin. Außerdem leitet sie gemeinsam mit Monika Rinck das Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Künste Wien. Gerade ist ihr Stück „In letzter Zeit Wut" am Schauspiel Frankfurt zu sehen.