In Gesprächen zwischen Menschen, die sich gerade erst kennenlernen, kann ein kurzer Wortwechsel zur aktuellen Wetterlage ein guter Eisbrecher sein. Einst von den Bewohner*innen der britischen Inseln als Kennenlernformel etabliert, scheint diese mittlerweile weltweite Gültigkeit zu haben. Obwohl die fröhliche und offene Art der isländischen Künstlerin Elín Hansdóttir jeglichen Gedanken an die Notwendigkeit eines solchen Eisbrechers fast schon absurd erscheinen lässt, spielt das Wetter auch in unserem Gespräch eine wichtige Rolle. Von Smalltalk sind wir zu diesem Zeitpunkt aber bereits so weit entfernt wie eine nordisländische Bauernfamilie von ihren Nachbarn.

Anzeige
Anzeige

Beim Lesen von Shakespeares spätem Stück „Der Sturm“, für das sie am Burgtheater gerade das Bühnenbild entwarf, hatte Elín Hansdóttir sofort unterschiedliche Licht- und Wetterszenarien im Kopf. „In Island ist das Wetter häufig Thema. Es ist eine unsichtbare Kraft, die uns ständig begleitet und vor der es kein Entkommen gibt. Außerdem kann sich strahlender Sonnenschein binnen weniger Sekunden in ein furchteinflößendes Gewitter verwandeln“, erklärt die in Island aufgewachsene Künstlerin.

Wenn Räume bewegen

Für ihr Masterstudium übersiedelte Elín Hansdóttir nach Berlin. Obwohl sie seither in der deutschen Hauptstadt lebt, zieht es sie – auch beruflich – immer wieder nach Island. In unserem Gespräch, das über Zoom stattfindet, merkt sie an, dass ihr der Einfluss, den ihr Heimatland auf ihre Arbeit hat, oft gar nicht in vollem Ausmaß bewusst ist. Eine wichtige Verbindung kann sie dennoch klar benennen: „Weil es in Island kaum Bäume gibt, sieht man sehr weit. Dadurch entsteht das Gefühl, stets die ganze Insel im Blick zu haben. In meiner Arbeit interessiere ich mich für Momente, in denen ein bestimmter Ort oder das Wesen eines Raumes Gefühle in einem hervorrufen. Das könnte auch mit der isländischen Landschaft zusammenhängen, die auf ganz besondere Weise unberührt und roh ist.“

Mit ihren immersiven Installationen, die häufig an bestimmte Orte gebunden sind, erschafft Elín Hansdóttir Räume, die ihre Besucher*innen bewegen – wortwörtlich, aber eben auch emotional. Das verbindet ihre künstlerische Arbeit abseits der Theaterbühne mit ihren bühnenbildnerischen Aufgaben, die vor ungefähr 15 Jahren ihren Anfang nahmen. „Ich wurde damals eingeladen, das Bühnenbild für ein Stück des Nationaltheaters in Reykjavik zu entwerfen und habe sofort zugesagt“, erinnert sie sich. Als besonders motivierend empfand sie, dass in der Gestaltung von Bühnenbildern viele ihrer eigenen künstlerischen Schwerpunkte zusammenlaufen. „Es war für mich also ein logischer Schritt“, fasst sie lachend zusammen.

Anzeige
Anzeige

Immer wieder bei null anfangen

In der Arbeitsweise ergeben sich dennoch große Unterschiede: Während sie ihre eigenen Projekte ganz alleine stemmt, entstehen Theaterinszenierungen in kollaborativer Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gewerken. Die Verantwortung ist also auf mehrere Personen aufgeteilt. „Es war spannend, Thor (Anm.: Thorleifur Örn Arnarsson führt bei „Der Sturm“ Regie) dabei zuzusehen, wie er all die verschiedenen Aufgabenbereiche koordiniert. Er ist unglaublich gut darin, Menschen zusammenzubringen und Wege zu finden, den kreativen Prozess bei allen Beteiligten zu entfachen. Es war schön, Teil dieses Prozesses sein zu dürfen“, erzählt die Wahlberlinerin.

Nils Strunk und Lili Winderlich unter dem großen Fallschirm in „Der Sturm".

Foto: Matthias Horn

Mit dem isländischen Regisseur eint sie ein unbändiges Interesse am kreativen Prozess, der – das ist der Künstlerin wichtig – für alle Disziplinen offen ist. Obwohl die Fotografie Elín Hansdóttirs erste große Liebe war und sie schon im Alter von ungefähr 12 Jahren in der Dunkelkammer stand, wollte sie sich nie auf eine bestimmte Kunstrichtung festlegen. „Das erlaubt mir, bei jedem Projekt bei null zu beginnen“, erklärt sie. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Dass sich der kreative Prozess nicht wirklich planen lässt, macht ihn spannend und angsteinflößend zugleich.“ Die Art und Weise wie Thorleifur Örn Arnarsson an seine Inszenierungen herangeht, nimmt sie als unglaublich mutig wahr, „weil er das gesamte Team auf eine künstlerische Reise mitnimmt, deren Ausgang bis zum Schluss ungewiss bleibt“. Dafür entsteht, fügt sie mit großem Freudestrahlen hinzu, hin und wieder jene Magie, die man sich vom Theater wünscht.

Gemeinsame Reise

Wenn Elín Hansdóttir als Bühnenbildnerin in ein Theaterprojekt eingebunden ist, versucht sie Gegenstände zu finden oder zu entwerfen, die möglichst flexibel an den Theaterraum angepasst werden können. Auf diese Weise ergeben sich im Probenprozess ständig neue Möglichkeiten und ein gewisses Transformationspotenzial bleibt erhalten. In der aktuellen Burgtheater-Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“ gehört ein überdimensionaler Fallschirm zu den Lieblingselementen der Künstlerin. Mit einer Länge von rund 20 Metern ist er in etwa genauso lang wie die Drehbühne. „Der Fallschirm wurde aus sehr dünnem Material gefertigt, das lässt ihn zart erscheinen, obwohl er gleichzeitig unglaublich robust ist. Es war schön zu sehen, wie sich diese zarte Fläche auf der Bühne in vielfältige räumliche Strukturen verwandelt und aus dem Nichts neue Formen entstehen“, sagt Elín Hansdóttir über eines der Kernelemente ihres Bühnenbildes.

Die Idee eines solchen Nullpunkts erkennt sie auch in Shakespeares Stück. „Für mich eröffnet diese Insel einen Raum, an dem noch nichts festgeschrieben und deshalb alles möglich ist. Es ist ein Ort der Neuanfänge“, fasst sie zusammen. Ihrem Vater, einem Geigenbauer, verdankt sie, dass ihr auch die handwerkliche Seite ihres Berufs große Freude bereitet. „Er hat mir schon sehr früh beigebracht, mit Werkzeugen umzugehen und keine Angst davor zu haben“, erinnert sie sich lachend. Auch was ihre Arbeitsweise am Theater angeht, ist einiges an Mut erforderlich. Doch gelingt die gemeinsame Reise und schafft man es, auch das Publikum auf diesem Weg mitzunehmen, entzündet plötzlich ein magischer Moment den nächsten. Klingt nach dem gewitzten Vorgehen isländischer Fabelgestalten? Ist es nicht, sondern einfach jener Zauber, den nur das Theater zu entfachen vermag.  

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Zur Person: Elín Hansdóttir

Elín Hansdóttir arbeitet in zahlreichen Disziplinen, darunter Installation, Skulptur und Fotografie. Sie schafft oft immersive In-Situ-Installationen, die ein Licht auf die eigene Wahrnehmung werfen, wenn man sich durch ungewohnte und scheinbar deplatzierte Orte bewegt.

Zu den Spielterminen von „Der Sturm" im Burgtheater