„Die schmutzigen Hände“: Der angekündigte Mord
Ideologie versus Pragmatismus. In Jean-Paul Sartres Drama „Die schmutzigen Hände“ plant der Revolutionär Hugo den Tod seines Parteikollegen Hoederer. Ein Politthriller mit Nils Arztmann und Günter Franzmeier in Präzisionsrollen.

Foto: Hilde van Mas
Am Anfang ist Hoederer tot. Hugo kehrt nach drei Jahren aus dem Gefängnis zu seiner früheren Politverbündeten Olga zurück, desillusioniert über die aktuellen Kriegsgeschehnisse und den Umgang der Partei mit ihm, dem Brutus in Gestalt des einstigen Hoederer-Privatsekretärs. Angetreten, um seinen Chef auszuschalten und dessen Manöver, ein Bündnis mit den Faschisten und den Nationalliberalen zu schließen, das der eigenen, von einer klassenlosen demokratischen Gesellschaft überzeugten Partei die spätere Regierungsbeteiligung sichern sollte, zu verhindern.
Tatsache ist, Hugo hat geschossen, getroffen, getötet. Weniger klar ist hingegen die Motivlage. Geschah es tatsächlich aus hehrer Überzeugung? Oder doch eher aus perfider Eifersucht, weil er seine Frau Jessica unerwartet in einer innigen Umarmung mit Hoederer vorfand?
Davon erzählt nun in Rückblenden Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“, dessen Zeitlosigkeit formal wie thematisch beeindruckt und das die Frage aufwirft, ob politische Praxis und moralische Integrität je miteinander in Einklang gebracht werden können – beziehungsweise inwiefern sich ideologisches Kalkül von privaten Emotionen trennen lässt. Eine einfache Antwort ist nicht zu erwarten. Gerade deshalb funktioniert der Text nach wie vor hervorragend.
Nils Arztmann wird an der Josefstadt Hugo spielen, Günter Franzmeier gibt in der Rolle des Hoederer seinen vermeintlichen Kontrahenten. Zum Zeitpunkt des Interviews sind beide gerade auf der Suche nach dem Wesenskern ihres jeweiligen Charakters.
Einander ähnlich
„Ich finde an Hugo spannend, dass bei ihm im Umgang mit Hoederer plötzlich eine menschliche Ambivalenz spürbar wird. Sobald ihm dieser direkt gegenübersitzt, entwickelt er eine Empathie für ihn. Oft wird Hugo wie eine Kampfmaschine inszeniert, die für Partei und Ideologie ausschließlich töten möchte, dabei ist er von Anfang an eine rissige Figur“, erklärt Nils Arztmann.
„Ich bin mir auch beim Mord nicht sicher, ob dieser tatsächlich aus Eifersucht auf Jessica geschieht. Ich glaube, es ist eher der Schmerz über den Verrat von Hoederer, dessen Hilfe er gerade in diesem Moment annehmen will, der ihn dazu bringt, abzudrücken. Weil er sich benutzt und manipuliert fühlt.“ Denn einer der schönsten Sätze sei für ihn jener, als Hoederer ihm vorwirft, die Menschen nicht genug zu lieben, und er antwortet: „Warum soll ich die Menschen lieben, lieben sie mich?“
Da werde spürbar, dass Hugo vor allem geliebt werden möchte.

Foto: Hilde van Mas
Damit hängt wohl auch sein Wunsch zusammen, Hoederer umzubringen und anschließend selbst den Märtyrertod zu sterben, weil er denkt, dass die Partei ihn dann schätzen würde und sein Leben somit eine Bedeutung hätte. Womit wir wieder beim Existenzialismus wären.“ Hugos Politisierung als Sohn aus reichem Hause habe anfänglich durchweg positive Züge.
„Er sieht die Armut, realisiert, wer die Unterdrücker sind, verlässt seine Familie und tritt jener Partei bei, die diese Missstände zu beheben verspricht. Dann trifft er auf Leute, die Meinungsbildung betreiben und deren Überzeugungen er auch annehmen kann. An seinem Beispiel lässt sich ablesen, wie gefährlich Indoktrination ist.“
Günter Franzmeier findet Hugos Ringen umso interessanter, als dieser auf einen Menschen treffe, der ähnlich radikal sei.
„Für Hoederer ist ein politischer Mord grundsätzlich auch okay, er hält ihn nur im Augenblick für das falsche Instrument. Vielmehr überlegt er, was das richtige Mittel sein könnte, um an die Macht zu kommen und langfristig auch dort zu bleiben. Das heißt, er ist ein Stratege, der sich alles offenlässt und moralisch keine Skrupel hat, was die Wahl seiner Verbündeten betrifft. Der große Bogen ist auch für ihn der Klassenkampf, aber wenn es die Situation erfordert, kann er vom Ideal der proletarischen Idee durchaus auch einmal abzweigen. Ich glaube, dass Hoederer Hugo wirklich zugeneigt ist. Das bringt dessen Dogmatismus natürlich ordentlich ins Wanken.“

Foto: Hilde van Mas
Frei nach Sartre
An einer Stelle sagt Hoederer sogar, wer die Menschen nicht liebe, könne nicht für sie kämpfen. Ein zentraler Gedanke, findet auch Günter Franzmeier. „Das ist es, was ich an heutigen Politikern vermisse. Natürlich haben auch diese ihre in Parteiprogrammen festgeschriebenen Grundsätze, aber meistens hat man den Eindruck, dass es ihnen vor allem darum geht, ihre gewonnenen Kontakte nach der Politkarriere zu nutzen, um in der Wirtschaft reüssieren zu können.“
Was bleibt demnach als Conclusio? It’s a dirty job, but somebody got to do it? „Ja. Hoederer sagt an einer Stelle klar, wenn man kein Risiko eingehen wolle, solle man keine Politik machen. Und dieser Satz stimmt, weil man es wirklich nie allen recht machen kann. Aber solange wir Demokratien haben, brauchen wir auch Politiker, die diese demokratischen Grundsätze verfechten. Sonst haben wir bald Diktaturen, und autokratische Herrscher müssen sich ohnehin nicht moralisch rechtfertigen.“
Am Ende seien doch Hugos Hände am schmutzigsten, findet Nils Arztmann, weil er es sei, der einen Mord begehe. Laut Jean-Paul Sartre ist jeder frei im eigenen Handeln. Eine philosophische Ansicht, die auf breite Zustimmung stößt. Ist auch Hugo in diesem Sinne „frei“? „Absolut. Er ist frei in seinen Entscheidungen und könnte Hoederer jederzeit erschießen. Aber er ist eben nicht nur ein lineares Etwas, sondern unterliegt Schwankungen, weshalb er mit seiner Entscheidungsfindung quasi jedes Mal wieder bei null startet. Man weiß nie, wie er agieren wird“, antwortet Nils Arztmann.
Die Aktualität des Stücks nimmt am Ende – und hier schließt sich der Kreis – auch für das Publikum beinahe schmerzhafte Züge an. Denn als Hugo aus dem Gefängnis entlassen wird, muss er erkennen, dass die Partei nun all das umsetzt, was Hoederer einst vorhatte. Egal wer also an den Machthebeln sitzt, die Prozesse und Vorgänge bleiben stets die gleichen. Hugo aber weigert sich, seine Ideale zu verraten – und ist deshalb für die Partei tatsächlich nicht mehr verwendbar. Sein Leben ist verwirkt.

Foto: Hilde van Mas
Rosen streuen
David Bösch setzt „Die schmutzigen Hände“ in Szene. Günter Franzmeier hat vor beinahe 20 Jahren in Essen mehrfach mit ihm zusammengearbeitet und auch an der Josefstadt bereits in zwei Stücken unter seiner Regie gespielt. „David liebt Schauspieler, manchmal sitzt er wie ein Kind da und schaut uns einfach zu. Wir improvisieren bei ihm sehr viel, und wenn ihn etwas von dem, was wir ihm anbieten, packt, nimmt er den Faden auf und spinnt ihn mit seiner Phantasie weiter. Er hat ein unglaubliches Gespür für Bewegungen, die Geschichten erzählen, und für den Einsatz von Musik.“
Und was können Franzmeier und Arztmann voneinander lernen?
„Wenn Günter Texte spricht, kann man ihn nur staunend bewundern. Es ist unfassbar, mit welcher Selbstverständlichkeit und Direktheit das passiert. Mit ihm zu proben, hat eine spezielle Intensität“, so Nils Arztmann. „Ich bin jedes Mal fasziniert von der Emotionalität, mit der Nils in eine Szene einsteigen kann. Ihm schießen ohne Vorlauf die Tränen in die Augen. Er und Johanna Mahaffy sind Ausnahmetalente, wie ich sie in den letzten dreißig Jahren nicht gesehen habe“, erwidert Günter Franzmeier.
2026 hat auch das Kinopublikum die Chance, sich von dieser Hochbegabung zu überzeugen. Denn Nils Arztmann drehte unter Harald Sicheritz’ Regie vor kurzem seine erste Filmhauptrolle ab. In „Bruno – Der junge Kreisky“ spielt er erneut einen überzeugten Linken. Das ist aber auch schon die einzige Parallele zur Figur des Hugo.