„Ich habe kein Kalkül.“ Womit das berufliche Fortkommen, oft genau festgeschrieben und eisern verfolgt, gemeint ist. Was man bei der Eitelkeit zugeneigten Kollegen oft nicht glauben mag, ist aus seinem Mund durchaus plausibel.

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Mathias Schlung wirkt nicht wie einer, der sich verbissen durchs Leben boxt. Er steht im Rampenlicht, ohne den Eindruck zu erwecken, den Scheinwerferkegel mit Nachdruck zu suchen. Das ist angenehm und hat den sympathischen Nebeneffekt, dass man ihn als ehrlich wahrnimmt. „Ich bin Schauspieler.“ Ein weiterer Satz, den man auch stark untertrieben nennen könnte. Wahr ist, dass der gebürtige Deutsche am Wiener Max Reinhardt Seminar unter anderem von Klaus Maria Brandauer und Erni Mangold zum Schauspieler ausgebildet wurde. Danach ging er ans Deutsche Theater seiner Heimatstadt Göttingen und spielte nicht nur mit drei ebenfalls dorthin engagierten Kommilitonen,„sondern auch mit jenen Leuten, durch die ich in meinen Schülerjahren überhaupt mit Theater in Berührung gekommen bin“. Im Nachhinein betrachtet, der beste Start, den er sich hätte vorstellen können.

„Denn ich konnte Rollen gestalten, die ich zum Beispiel am Burgtheater mit seinem riesigen Apparat sehr wahrscheinlich nicht hätte spielen können. Aber ich habe sowieso nie strategisch überlegt, wo ich hinwill, sondern ich war, ehrlich gesagt, immer froh, wenn etwas zu mir gekommen ist. Ich fand es reizvoll, Angebote anzunehmen und dann zu schauen, wie sich die Situation anfühlt.“

Mathias Schlung und das Ensemble von „DerGlöckner von Notre Dame“
Musikalische Leistungsschau mit historischem Mehrwert. Das Ensemble rund um David Jakobs Schlung (Clopin Trouillefou, 4. v. re.).

Foto: VBW/Deen van Meer

So war es auch mit der Comedy- Schiene, auf die ihn sein Agent brachte.„Ich habe mich darin überhaupt nicht gesehen. Aber ich dachte, na gut, die bezahlen mir viel Geld, warum sollte ich es nicht ausprobieren?“ Aus dem Versuch wurden zwei Shows im deutschen Privatfernsehen und – damit verbunden – Ruhm und Rummel.

Nachnominiert von Roman Polanski

Ganz ähnlich trug es sich schließlich mit dem Musical – seiner aktuellen dritten Karriere – zu. 2006 marschierte er auf Agentenrat zum Vorsingen für „Tanz der Vampire“ am Berliner Theater des Westens. Ohne Gesangs- und Tanzausbildung, aber mit Chorerfahrung und einer ausgeprägten Affinität zu amerikanischem Entertainment im Sinne von Frank Sinatra und Fred Astaire, dessen Stepp-Choreografien er bereits im Kindesalter akribisch nachzuahmen versuchte. „Auditions sind die Hölle“, erklärt Mathias Schlung, „neben Liebeskummer und dem Tod nahestehender Menschen das Schlimmste. Man steht allein auf einer Bühne und schaut in einen dunklen Raum. Für mich pure Angst und Verzweiflung.“

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Auditions sind die Hölle. Neben Liebeskummer und dem Tod nahestehender Menschen das Schlimmste.

Mathias Schlung, Schauspieler & Sänger

Er wurde für die Rolle des Professor Abronsius wegen seiner Jugendlichkeit zunächst abgelehnt. Am nächsten Tag dann aber der Anruf: Roman Polanski, der sich die Aufzeichnung des Vorsingens angeschaut hatte, wolle ihn höchstpersönlich noch einmal sehen. „Das war mein Musical-Beginn. Beim Sprechtheater war ich damit draußen, was ich manchmal bedauere. Das liegt aber auch daran, dass ich viele Kontakte in diese Richtung mit der Zeit natürlich verloren habe.“ Denn auf „Tanz der Vampire“ folgten viele weitere Musicals wie „Der kleine Horrorladen“ an der Oper Bonn, die Hauptrolle in „How to Succeed in Business Without Really Trying“ an der Staatsoper Hannover und der Volksoper Wien, „Guys and Dolls“ am Opernhaus Graz oder „Der Schuh des Manitu“ am Theater des Westens in Berlin. „Ich habe ein großartiges Leben, bin erfolgreich, bekomme schöne Jobs und werde gut bezahlt. Es gibt also wirklich keinen Grund, mich zu beklagen.“ Es sei eben ein Fakt, dass man bei uns, anders als im angloamerikanischen Raum, E und U noch immer strikt unterscheide.

Zudem helfe ihm seine Sprechthea­ter ­Erfahrung auch jetzt enorm. „Ich habe erfahren, dass die interessantesten Figuren in Musicals nicht unbedingt gut tanzen und singen können müssen. Ich bekomme die speziellen Charakterrollen, bei denen man den Mangel an Tanz und Gesang durch schauspielerische Gestal­tung ausgleichen kann.“

Bettler, Dieb, Sympathieträger

Eine solche Persönlichkeit ist auch Clopin Trouillefou, den Mathias Schlung in „Der Glöckner von Notre Dame“ im Ronacher“ spielt. „Er hat eine interessante Entwick­lung durchgemacht. Früher fungierte er im Stück als Erzähler, mittlerweile hat er weniger eine dramaturgische Funk­tion, sondern ist Sinnbild für Stärke und Verantwortung. Er ist der Anführer der Bettler und Gauner, ein Roma, der sei­ ne Community beschützen möchte. Im Inneren ein einsamer, trauriger Mensch, aber eben fürsorglich. Darin liegt auch der Reiz dieser Figur, die eine große Tiefe hat. Er stiehlt, weil er gar keine andere Möglichkeit hat, seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Leute zu bestreiten. Roma wurden ständig vertrieben und gehasst, sie durften nicht arbeiten. Was bleibt einem also anders übrig, als zu stehlen, wenn man Hunger hat?“

Mathias Schlung
Anführer des fahrenden Volkes. Mathias Schlung ist in der Rolle des Clopin Trouillefou verantwortungsbewusstes Oberhaupt der Roma. In der emotionalen Tiefe liegt für ihn auch der Reiz dieser Figur.

Foto: VBW/Deen van Meer

Es gebe viele Gründe, sich für eine Pro­duktion zu entscheiden. „In dem Fall spielte auch Wien eine große Rolle“, von Mathias Schlung bei der Präsentation des Casts als „Sehnsuchtsort“ bezeichnet.„Ich mag Berlin, wo ich seit zwanzig Jahren wohne, eigentlich nicht. Es ist wahnsin­nig groß, manisch individuell, immer dahinter, Trends zu setzen, schnelllebig. Und Wien, das ich anfangs übrigens auch nicht mochte, das mich während der vierjährigen Ausbildung dann aber so nachhaltig geprägt hat, ist deutlich lang­samer. Vielleicht hören das die Wiener gar nicht so gerne, aber hier kann ich mich entspannen.“

Hätte es für ihn je eine Alternative zu diesem Beruf gegeben? „Ja, ich träume noch immer davon, in einem Hotel zu arbeiten. Ich habe einen Großteil meines verdienten Geldes für Hotels ausgege­ben, weil ich die Atmosphäre mag. Das ist etwas Spannendes und Reizvolles für mich. Nicht nur die Begegnung mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, sondern auch die Idee, Gastgeber zu sein und ein perfektes, dennoch persönliches Ambiente zu schaffen.“ Eine vierte Karriere – dieses Mal alsHoteldirektor – könnte sich also durch­ aus noch anbahnen. Vielleicht liest sein Agent ja mit.

Zur Person: Mathias Schlung

Nach der Ausbildung am Wiener Max Reinhardt Seminar war er unter anderem am Deutschen Theater Göttingen, am GRIPS Theater in Berlin und bei den Salzburger Festspielen engagiert. Einem breiteren TV- Publikum wurde er durch die Comedy-Formate „Happy Friday“ und „Die Dreisten Drei“ bekannt. Für das Musiktheater wurde er von Roman Polanski für „Tanz der Vampire“ entdeckt. Aktuell ist Mathias Schlung in „Der Glöckner von Notre Dame“ im Ronacher zu sehen.

Zu den Spielterminen von „Der Glöckner von Notre Dame“ im Ronacher!