„Frau Elwig geht schon wieder aus!“ Herr und Frau Flatscher – Denunzianten im Herzen – dokumentieren das Treiben der Nachbarin minutiös. Mit einer Elwig, „der blöden Sau“, und ihren häufigen Spaziergängen kann die Kurve jedenfalls nicht abgeflacht werden. Zugleich muss Frau Mehring samt ihren Kindern Niederösterreich, wo sie ein Haus besitzt, unverzüglich verlassen, weil sich in jenem Bundesland nur hauptwohnsitzgemeldete Personen aufhalten dürfen.

Anzeige
Anzeige

„Banksitzen“ wird beinahe zum Verbrechen – und der österreichische Bundeskanzler geilt sich gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten an abstrusen Abschottungsfantasien auf ... In seinem bitterböse klugen Stück „Ostern“ erinnert Daniel Kehlmann an Pandemiegrotesken – und daran, wie schnell sich eine Gesellschaft der Obrigkeit ergibt.

Ihr neues Bühnenwerk trägt den Untertitel „Ein Pandemiestück“. Warum wollten Sie der Thematik erneut so viel Aufmerksamkeit schenken?

Weil ich das Gefühl nicht losgeworden bin, dass wir kollektiv etwas durchlebt haben, das in seiner Absurdität, seiner Tragik und auch seiner unfreiwilligen Komik einzigartig war – und das wir viel zu schnell vergessen wollten. Theater ist Erinnerung in Echtzeit, und ich wollte festhalten, was so rasch verdrängt wurde.

In Italien haben sich Freunde einen Hund gekauft, weil sich dadurch der Radius, in dem sie sich bewegen durften, vergrößert hat. Welches Ritual hat Ihr pandemisches Leben begleitet?

Ich habe mich sehr oft und sehr gründlich mit den absurderen Details beschäftigt:

Anzeige
Anzeige

Wie oft darf man am Tag zum Supermarkt gehen, ohne dass die Nachbarn wütend werden? Warum ist man eine Gefahr, wenn man auf einer Bank ein Buch liest? Und was bedeutet es, aus seinem eigenen Wohnsitz von der Polizei fortgewiesen zu werden? Daraus wurde eine Art Alltagssport, sofort umgesetzt in kleine Szenen, aus denen die erste Hälfte von „Ostern“ besteht.

Sie haben während der Lockdowns früh darauf hingewiesen, dass man die Verfassung und die Grundrechte nicht so einfach negieren könne. Wie beurteilen Sie die allgemeine Passivität der Bürgerinnen und Bürger mit fünf Jahren Abstand?

Sie war menschlich, aber auch beunruhigend. In Krisen suchen wir Ordnung, selbst wenn sie fragwürdig ist. Die Bereitschaft, Komplexität durch Gehorsam zu ersetzen, war höher, als ich es gehofft hätte. Das hat mich durchaus erschüttert – und auch motiviert, darüber zu schreiben.

Ihr Text ist auch eine Chronik der damals herrschenden behördlichen Absurditäten. Eine gängige Rechtfertigung heute lautet: „Wir haben es nicht besser gewusst.“ Haben Sie Hoffnung, dass es im Falle eines nächsten Ernstfalls logischer zugehen könnte?

Ich hoffe es, aber ich bin skeptisch. Es gab ja damals nicht nur Informationsdefizite, sondern auch ein tiefes Bedürfnis nach symbolischer Handlung: irgendetwas tun, egal ob sinnvoll oder nicht. In einer künftigen Krise werden wir vermutlich neue Fehler machen – und trotzdem nicht die alten vermeiden.

Weniger reisen, die Natur mehr schätzen, Freunde öfter treffen: Am Anfang von Corona dachten wir, die Welt würde sich zum Besseren entwickeln. Warum konnten wir uns vom vermeintlich Positiven so gut wie nichts bewahren?

Weil wir nicht dafür gemacht sind. Der Mensch ist ein erstaunlich anpassungsfähiges Wesen, aber leider auch ein Meister im Verdrängen. Alles, was uns damals kurz wie eine Erkenntnis erschien – Stille, Entschleunigung, Nähe –, war zu fragil für die Rückkehr des Alltags.

Kanzler Kurz hat 2020 von einer möglichen Auferstehung nach Ostern gesprochen – als Metapher für das Ende des Lockdowns und titelgebend für Ihr Stück. War das geschmacklos oder in einem noch immer katholischen Land geschicktes Marketing?

Beides natürlich. Ein wenig geschmacklos, weil ja tatsächlich viele Menschen gestorben sind, die dann keineswegs auferstanden sind. Aber der Satz hatte auch eine Form echter Poesie. Ich werfe Kurz manches vor, diesen Satz aber nicht.

Der Mensch ist ein erstaunlich anpassungsfähiges Wesen, aber leider auch ein Meister im Verdrängen.

Daniel Kehlmann, Autor

Hätten Sie im März 2020 gedacht, dass eine Pandemie imstande sein könnte, auch so viel menschlichen Irrwitz – von Flat-Earthern bis hin zu Menschen, die überzeugt davon waren, in Wien aus Kanaldeckeln zwangsgeimpft zu werden – hervorzubringen?

Ja, ich fürchte, das hätte ich. Die Pandemie war wie ein Licht, das plötzlich auf alle Risse im kollektiven Denken fiel. Man sah, was vorher schon da war – nur greller, lauter und grotesker. Als Schriftsteller konnte man da gar nicht wegsehen.

Ist das Mittel der Komödie die einzige Chance, das alles noch einmal durchlebbar zu machen? Als eine Art Entlastungsgerinne?

Vielleicht nicht das einzige, aber das heilsamste. Lachen ist eine Form der Verarbeitung. Es erlaubt Nähe zu Themen, bei denen Pathos oder Ernst schnell abstoßen würden. Ich glaube, wir brauchen manchmal Humor, um überhaupt klar hinschauen zu können.

Haben Sie, aus heutiger Sicht, die Pandemie trotz all der Irrationalitäten mental halbwegs unbeschadet überstanden?

Ich habe überstanden – aber ich habe viel Vertrauen in unsere kollektive Vernunft verloren.

Woran arbeiten Sie zurzeit? Worauf darf sich Ihr Publikum als Nächstes freuen?

Ich schreibe an einem neuen Roman – mit einem Thema, das nichts mit Pandemien zu tun hat, aber auch viel mit unserer Gegenwart. Und ich freue mich selbst schon darauf, wieder in einer Welt zu leben, in der es um ganz andere Probleme geht als Ausgangssperren und Inzidenzen.

Hier zu den Spielterminen von Ostern in den Kammerspielen der Josefstadt!