„Caché“: Versteckspiel
In „Caché“ agiert ein geheimnisvoller Beobachter ganz im Verborgenen. Wer sich alles andere als verstecken muss? Das Ensemble, das im Volkstheater in Hanekes Thriller zu sehen sein wird. Wir haben die drei Bühnenstars getroffen.

Foto: Stefan Fürtbauer/ STYLING: GRUPPENBILD VON LINKS NACH RECHTS: STRICKPULLUNDER VON MODUS VIVENDI VIA DOMUS VIVENDI, LEDERJACKE VON LIAM NOËL PFEFFERKORN, LEDERMANTEL VON AKRIS; RECHTS: BLAU - TOTAL LOOK VON AKRIS, SCHWARZ - BLAZER VON THE PITSCH (WIE AM COVER)
Theater bedeutet unter anderem Verführung. Und manchmal auch, sich aufs Glatteis führen zu lassen, auf den eigenen Erwartungen auszurutschen und für einige Augenblicke den Halt zu verlieren, um im Anschluss vielleicht die eigene Haltung zu hinterfragen und Neues zu entdecken.
Das wissen auch jene drei Schauspieler*innen, die wir Mitte Juni auf der Probebühne des Volkstheaters in der Tigergasse treffen. Nach und nach trudeln Johanna Wokalek, Sebastian Rudolph und Bernardo Arias Porras für unser Fotoshooting und das anschließende Interview ein.
Auch Regisseurin Felicitas Brucker weiß um das spielerische Potenzial, das entfacht wird, wenn man in künstlerischen Prozessen das Risiko sucht und sich auf unbekanntes Terrain begibt. Dazu passt, dass sie bei ihrem Volkstheater-Debüt ein Stück inszeniert, in dem es um ein Ehepaar geht, das auf einer ziemlich dünnen, bereits mit zahlreichen Bruchlinien übersäten Eisfläche unterwegs ist – und sich dessen nach und nach bewusst wird.
„Theater hat für mich immer auch etwas damit zu tun, dass man sich füreinander entscheidet.“ Johanna Wokalek, Schauspielerin
Ab 14. September wird im Theater am Arthur-Schnitzler-Platz nämlich die Uraufführung des Haneke-Klassikers „Caché“ zu sehen sein, in dem das Leben einer bürgerlichen Kleinfamilie unter dem Druck eines anonymen, externen Beobachters zusehends einfriert. Die Videobänder, die dem in Paris lebenden Paar zugespielt werden, zeigen kaum mehr als ihr städtisches Anwesen, zwingen Georges und Anne jedoch zur Konfrontation mit sich selbst – wie auch zur Auseinandersetzung mit der Fragilität ihres Daseins.
Bruchlinien
Genau diese Bruchstellen sind es, die Felicitas Brucker an diesem Stoff so sehr interessieren, wie sie im Interview erzählt. „Die Katastrophe tritt auf schleichende, sehr subtile Weise ein“, erklärt die Regisseurin, die, wie sie hinzufügt, ein großes Misstrauen gegenüber Lebenskonzepten hegt, die einem als sicher und als die absolut richtigen verkauft werden.
„Die Art zu leben, in der sich die Hauptfiguren als bürgerliche Intellektuelle auf der richtigen Seite wähnen, wird durch die Bedrohung per Videokassetten grundsätzlich infrage gestellt. Wie bestimmt ein schuldhafter Vorfall aus der Kindheit ganze Biografien? Die eigentliche Tragödie ist, dass Georges sich als Erwachsener seiner Vergangenheit nicht stellen kann. In der Empathielosigkeit, mit der er im Film auftritt, spiegeln sich Verdrängungsmechanismen unserer Gesellschaft, auch im Hinblick auf soziale Fragen.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Die Filme von Michael Haneke begleiten Brucker schon lange. „Als ich von 2009 bis 2014 Hausregisseurin am Schauspielhaus Wien war, habe ich hier gewohnt und mir viele Filme von Michael Haneke angeschaut. Für mich war das damals ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung mit der österreichischen Kulturlandschaft.“ An seinen Filmen schätzt sie darüber hinaus, dass politische Themen meist indirekt über die Figuren erzählt werden – „und sie nie eindeutige moralische Botschaften präsentieren“, bringt es die in Paris lebende Regisseurin auf den Punkt.
Auch in „Caché“ gibt es diese politische Ebene. Sie entspinnt sich rund um die blutige Niederschlagung einer Demonstration von Algeriern in Paris im Jahr 1961. Schätzungen zufolge kamen damals mindestens zweihundert Algerier durch Polizeigewalt ums Leben. Sie wurden erschossen, erschlagen und nach Aussagen von Zeitzeug*innen auch in die Seine geworfen, wo sie ertranken.
„Ich fahre fast jeden Tag mit dem Fahrrad an der Seine entlang und habe, seit ich mich so intensiv mit diesem Stoff beschäftige, jedes Mal die Beschreibungen der Opfer im Kopf“, so Brucker. Diese Bilder haben auch das Konzept des Bühnenbilds von Viva Schudt beeinflusst. „Das Gefühl, an glatten Fliesen abzugleiten, hat eine wichtige Rolle gespielt“, erläutert die Regisseurin.
„Im Theater steht man immer auch als der Mensch, der man ist, zur Disposition.“ Sebastian Rudolph, Schauspieler
Über die Theatermittel, die in der Inszenierung zum Einsatz kommen werden, möchte sie noch nicht zu viel verraten. Das den Film prägende Spiel mit Wahrnehmung und Perspektiven auf die Bühne zu übertragen, sei in jedem Fall eine spannende Aufgabe.
Wer die Videobänder an Georges und Anne schickt, wird im Übrigen am Ende des Films nicht aufgelöst, die Zuschauer*innen müssen das Puzzle selbst zusammensetzen. „Ein Film muss wie eine Sprungschanze sein: Ab dem Moment, wo der Film zu Ende ist, muss der Zuschauer springen“, hielt Haneke einmal in einem Interview fest.
Felicitas Brucker kann diesem Ansatz viel abgewinnen: „Zuschauer*innen sind offenporig und klug. Außerdem glaube ich an die transformative Kraft von Theater – nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum.“
Aneinander vorbeireden
Von dieser Kraft sind auch jene drei Akteur*innen überzeugt, die in Bruckers Inszenierung zu sehen sein werden. Johanna Wokalek und Sebastian Rudolph verkörpern das intellektuelle Ehepaar, Bernardo Arias Porras Majid, einen in Paris lebenden Algerier, den Georges aus Kindertagen kennt. Der gut situierte Moderator einer Literatursendung vermutet in ihm den Absender der Videokassetten, gleichzeitig wird er durch Majid mit einer Schuld konfrontiert, von der er sich gerne reinwaschen würde.
Johanna Wokalek, die mehr als fünfzehn Jahre in Wien gelebt hat, erinnert sich daran, „Caché“ zum ersten Mal im Votivkino gesehen zu haben. „Ich weiß noch, dass ich mich als Zuschauerin intensiver beteiligt gefühlt habe als bei vielen anderen Filmen. Ich hatte das Gefühl, mich zu dem, was da verhandelt wird, verhalten zu müssen“, schildert die Schauspielerin ihre erste Begegnung mit Hanekes 2005 erschienenem Thriller.

Foto: Stefan Fürtbauer
Rasch kommen wir auf den Umstand zu sprechen, dass Anne und Georges permanent aneinander vorbeireden.
„Ich finde es interessant, dass Haneke in seinen Filmen häufig Menschen ins Zentrum rückt, die gebildet, belesen und sprachmächtig sind, sich gleichzeitig aber auch als unfähig erweisen, Konflikte zu lösen. Außerdem zeigt er auf sehr feine Art und Weise, wie viele unterschiedliche Formen von gescheiterter Kommunikation und Sprachlosigkeit es gibt. Auch Pausen sind im Text beispielsweise genau notiert“, legt Johanna Wokalek ihre Sichtweise offen.
Möglichkeiten, aufeinander zuzugehen, gebe es im Laufe des Films in jedem Fall zur Genüge, ergänzt Sebastian Rudolph, der vom Schauspielhaus Zürich ans Volkstheater wechselt. „Sie nehmen sie jedoch nicht wahr – nicht in ihrer Ehe und in der Kommunikation mit ihrem Kind und schon gar nicht, wenn es um jenen Menschen geht, an dem man schuldig geworden ist.“
In Anlehnung daran, was Felicitas Brucker zuvor über das Bühnenbild verraten hat, könnte man auch sagen: Hanekes Figuren fischen nicht einfach nur in verdammt trübem Gewässer, sie schwimmen selbst darin. Eigentlich versuchen sie irgendwann nur noch, ihre mit Literatur und Philosophie angefüllten Köpfe über Wasser zu halten.
O du schönes Restgeheimnis
Bei der Frage, wann denn der Moment komme, wo man sich als Spieler*in bewusst vom Film lösen muss, winkt Johanna Wokalek ab. „Der ist jetzt schon da“, hält sie fest und setzt nach: „Der Raum ist ein anderer, wir sind anders.“
„Im Theater steht man immer auch als der Mensch, der man ist, zur Disposition. Dadurch öffnen sich automatisch neue Räume. Im Moment bin ich sehr froh, dass wir gerade noch die ganze Bandbreite an Möglichkeiten zur Verfügung haben“, hält Sebastian Rudolph fest. Bernardo Arias Porras, zuvor an den Münchner Kammerspielen engagiert, kann sich gut vorstellen, dass die Arbeit am Ende etwas Albtraumhaftes, Surreales haben könnte. „Ich glaube, dass es sich kaum vermeiden lässt, dass Majid zum Empathieträger wird. Was mich aber viel mehr interessiert, ist die Frage, was Rache eigentlich ist. Wie weit kann ich sie vielleicht nachvollziehen und wann wird sie unverhältnismäßig?
Sicher ist, dass alle drei Figuren eine Ambiguität und ein Restgeheimnis mit sich herumtragen – sie sich nicht nur auf brüchigem Untergrund bewegen, sondern auch selbst brüchig sind.
Für Wien und füreinander
Warum sie nach vielen Jahren als freie Schauspielerin wieder nach Wien und in ein Festengagement zurückkehrt, daraus möchte Johanna Wokalek kein Geheimnis machen. „Ich hatte große Lust, der Stadt nochmals ganz neu zu begegnen. Und auch darauf, diesen gemeinsamen Anfang mitzuerleben. Ich habe das Gefühl, dass wir hier eine Energie zünden können, die für die Stadt sehr spannend sein könnte. Reizvoll finde ich auch, dass das Ensemble etwas kleiner ist. Ich habe große Lust, mich in diesem kleineren Zusammenhang zur Disposition zu stellen. Die Wege sind kürzer, die Erreichbarkeit untereinander ist eine ganz andere. Theater hat für mich immer auch etwas damit zu tun, dass man sich füreinander entscheidet.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Sebastian Rudolph, der im Sommer von Zürich nach Wien übersiedelt, freut sich schon darauf, im Wiener Straßenverkehr angebrüllt zu werden. Er lacht. „Das ist erfrischend. Ich freue mich auf die Lebendigkeit. Außerdem geht dieser Grant ja immer mit einem großen Herzen einher.“
Auch Bernardo Arias Porras fiel die Entscheidung nicht schwer. „Ich hatte eine schöne Zeit in München und auch eine tolle Zusammenarbeit mit Tobias Schuster, der ja nun als Chefdramaturg ans Volkstheater wechselt. Auch Jan Philipp Gloger hat mich als Mensch sofort überzeugt. Ich hatte schnell großes Vertrauen in ihn.“
Wir verabschieden uns. Die drei genießen im Innenhof noch kurz die Sonne, bevor sie sich in der Probe wieder aufs Glatteis begeben. Im besten Sinne.
Zur Person: Felicitas Brucker
war von 2009 bis 2014 Hausregisseurin am Schauspielhaus Wien. Mit „Caché“, ihrem Volkstheater-Debüt, kehrt sie nach Wien zurück. Ihre Inszenierung „Nora. Ein Thriller“ wurde 2023 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Felicitas Brucker lebt in Paris.