Es gibt ein paar Dirigentenvarianten: Die Entrückten. Die Poser. Die Grimmigen. Die Schwitzenden. Die Glücklichen.

Anzeige
Anzeige

Ben Glassberg scheint am Dirigentenpult immer glücklich. „Ja, ich fühle echte Freude, wenn ich mit anderen Menschen Musik mache“, sagt er. Der 29-Jährige ist in London geboren und gehört zu den spannendsten Vertretern einer neuen Generation von sympathischen, nahbaren Dirigenten: „Das Modell der unkontrollierten Macht funktioniert nicht mehr, was uns die Freiheit gibt, auf eine kooperativere Weise zu führen. Es gibt nicht mehr nur die großen Diktatoren.“

Seit 2020 ist Glassberg Musikdirektor an der Oper in Rouen, er ist Gastdirigent in Lyon und wird demnächst an der Volksoper den „Fliegenden Holländer“ und die Neuinszenierung „Die lustigen Weiber von Windsor“ dirigieren.

Viel gereist ist der junge Dirigent bereits. Gibt es eigentlich länderspezifische Eigenheiten der jeweiligen Orchester?

„Auf jeden Fall! Britische Orchester arbeiten fast ohne Proben, sodass alles effizient ist, aber selten Zeit bleibt, um gemeinsam Neues zu entdecken. Französische Orchester spielen mit Herzlichkeit, proben aber oft nicht gerne. Japanische Orchester sind sehr professionell, ebenso wie skandinavische Orchester.“ Mit den „Lustigen Weibern“ kommt eine Shakespeare-Komödie auf die Bühne, die 1602 erstmals veröffentlicht wurde – ein ziemlich alter Stoff eigentlich.

Shakespeares moderne Einblicke

Ben Glassberg: „Shakespeare hat einen echten Einblick in die menschliche Psychologie und in Beziehungen, und beides hat sich seit dem 17. Jahrhundert nicht geändert. Auch seine Auseinandersetzung mit der Sozialpolitik ist heute absolut relevant: Es ist fast erstaunlich, wie wenig wir uns als Gesellschaft verändert haben, trotz des enormen technischen Fortschritts.“

Anzeige
Anzeige

Bei dem Projekt wird Glassberg mit Tony-Award-Preisträgerin Rae Smith arbeiten – macht es eigentlich einen Unterschied für einen Dirigenten, wer die Regie oder das Bühnenbild macht?

„Ja! Großes Musiktheater ist eine Synthese aus Musik, Text und Inszenierung. Es ist unglaublich spannend für mich, mit solch großartigen Künstlerinnen und Künstlern zu arbeiten, die eine enorme Vorstellungskraft haben.“

Gott sei Dank gibt es Erlösung! Wir brauchen sie. Diese Welt scheint Erlösung und Vergebung als Qualitäten aufgegeben zu haben, und ich würde mir wünschen, dass wir ihre Kraft wiederentdecken.

Ben Glassberg

Neben der Operette wird Ben Glassberg auch eines der ganz großen Werke der Operngeschichte im rosa Haus am Gürtel dirigieren: Wagners „Fliegenden Holländer“. Was ist daran eigentlich die größte Herausforderung für ihn? „Das Tempo ist für mich der schwierigste Aspekt beim Dirigieren von Wagner. Wir müssen natürlich jeden Gipfel auf eine Art und Weise angehen, die sich organisch und leidenschaftlich anfühlt, während wir gleichzeitig versuchen, die Gesamtstruktur und die Erzählung des Werks beizubehalten.“ Letztlich geht es um Erlösung. Wie wichtig ist dieses Motiv? Für Sie? Für die Welt?

Glassberg: „Gott sei Dank gibt es Erlösung! Wir brauchen sie. Diese Welt scheint Erlösung und Vergebung als Qualitäten aufgegeben zu haben, und ich würde mir wünschen, dass wir ihre Kraft wiederentdecken.“

Und am Ende des Gesprächs endlich jene Frage, die ganz oben als Titel steht: Wie also klingt ein Orchester ohne Dirigent? Glassberg lächelt: „Mit der richtigen Gruppe von Musikern und dem richtigen Konzertmeister kann es wunderbar und frei klingen.“

Ben Glassberg

Foto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Zur Person: Ben Glassberg

13 ­Jahren sein erstes ­Orchester. Er ist Musikdirektor an der Oper in Rouen und Gastdirigent in Lyon. Der erst 29-Jährige arbei­tete bereits mit Regie­stars wie ­Andrea Breth und Mariame ­Clément. Diese Saison dirigiert er an der Volksoper u. a. den ­„Fliegenden ­Holländer“, „Die lustigen Weiber von Windsor“ und das „Deutsche Requiem“.