BÜHNE: Was können wir von Popeye und Olivia über Beziehungen lernen?

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Anna Marboe: Wie man sie nicht führen soll? (lacht.) Nein. Popeye und Olivia stehen in dem Stück repräsentativ für jede heteronormative Beziehung, in der man sich beklemmenden Stereotypen unterwirft, obwohl man es eigentlich besser zu wissen glaubt. Anhand der beiden wird klar, dass wir trotz aller Bemühungen immer wieder in alte, destruktive Muster überholter Genderrollen fallen, weil das Problem ein strukturelles ist. Die beiden scheitern im Endeffekt am patriarchalen System, dessen Rollen sie zu lang und zu gut auswendig gelernt haben, um sie jetzt nicht zu spielen. Und an der mangelnden Kommunikation miteinander. Anstatt sich hinzusetzen und eigene Wünsche und Ängste zu formulieren, zuzuhören und gemeinsam zu verhandeln, wird nach irgendeiner Schuld und Problemlösung im Außen gesucht, um den Frieden daheim nicht zu gefährden. Das können wir sicher alle von ihnen lernen, wenn auch anhand eines Negativbeispiels: Es gheat afoch mehr gredt

BÜHNE: Und über Liebe?

Anna Marboe: Dass Liebe nichts ist, was bei EINEM Menschen passiert, sondern ZWISCHEN Menschen. Und deshalb auch von allen Repräsentant:innen jedes Geschlechts hinterfragt werden sollte. Und gefeiert natürlich! Liebe ist ja per se kein Problem! Im Gegenteil. Sie wird es nur dann, wenn man sie nicht leben kann wie man will, sondern glaubt, sie performen zu müssen wie man sollte. Und dass die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Freiheit und der Sehnsucht nach Geborgenheit eine ist, an der man nicht verzweifeln muss.

Diese Diskrepanz wohnt einem heteronormativen, monogamen Modell einer Beziehung ja irgendwie inne, denn alle anderen Modelle sind auch nicht unkompliziert und die Angst davor, ganz alleine zu sterben, am Ende doch ein starkes Argument dafür, sich mit irgendetwas abzufinden. Also: eine einfache Lösung ist zunächst nicht in Sicht. Aber das Stück heißt ja auch: „LIEBE eine argumentative Übung". Nicht „LIEBE - die perfekte Lösung". Also muss man sich dieser argumentativen Übung einfach stellen und darf dabei auch über sich selbst lachen. 

Am Mut anderer Menschen wachsen

BÜHNE: Olivia scheint im Stück zwischen dem andauernden Kampf gegen das Patriarchat und internalisierten Beziehungsmustern hin und her gerissen zu sein. Welche Rolle spielt diese innere Zerrissenheit im Stück?

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Anna Marboe: Im Stück wie im Leben: eine große! Olivia ist ja sowohl gerne Girlfriend als auch Schriftstellerin. Und das eine schließt das andere nicht notwendigerweise aus. Das Problem ist nur, dass sich Popeye – also eigentlich alle Popeyes dieser Welt – dieser Diskrepanz sehr selten ausgesetzt fühlt. Da geht sich meistens alles aus, ohne sich zurücknehmen zu müssen und das erzeugt eine Schieflage, die das Stück thematisiert. Warum glauben so viele Frauen, sich und ihre Bedürfnisse in einer Beziehung mit einem Mann zurücknehmen zu müssen? Und wen bringt das weiter ? Niemanden eben, weil auch Männer am Mut der Frauen wachsen. Niemand wird größer, nur weil wer anderer klein neben einem wird. Nein. Es wird nur einer kleiner und der andere bleibt gleich groß. Gesamtgesellschaftlich gesehen bedeutet das, dass wir im Durchschnitt alle kleiner werden, wenn wir nicht lernen, uns am Wachsen aneinander zu freuen. 

Das Stück „LIEBE – Eine argumentative Übung" ist ab 3. November im Kosmos Theater zu sehen.

Foto: Bettina Isabella Zehetner

BÜHNE: Was hat dich – inhaltlich und formal – an Sivan Ben Yishais Text gereizt?

Anna Marboe: Das Wechselspiel aus Präzision und Leichtigkeit im Benennen von Problemen. Sivan Ben Yishai trifft die Dinge so oft so genau auf den Punkt, dass es manchmal fast unangenehm ist, aber das macht es so gut. Denn im Endeffekt ist es ja so: Dem Nagel tut's kurz weh, wenn er auf den Kopf getroffen wird, aber dann ist er da, wo er hingehört. Viel mehr weh tut's ihm, wenn man immer knapp daneben haut, ihn verbiegt und dann unbefriedigend schief ins Holz drischt.

Das Thema ist so wichtig und betrifft so viele Menschen, Männer wie Frauen. Und ich habe es selten erlebt, dass ich mich von einem Text so ertappt fühle, ohne dass er dabei humorlos ist. Ich habe mich an der Klarheit des Textes erfreut, die nie auf Kosten des Witzes oder der Poesie geht. 

Überhöhung und Leichtigkeit

BÜHNE: Bist du mit Popeye aufgewachsen? Was sind deine ersten Erinnerungen an die Comicfigur und inwiefern haben sie bei der Inszenierung eine Rolle gespielt?

Anna Marboe: Ich habe Popeye als Comicfigur nur am Rande miterlebt, weil ich eher bei Asterix und Lucky Luke zu Hause war. Ich erinnere mich nur an das Lachen und an die luftschlangenmäßige Körperlichkeit der Figuren. Außerdem natürlich an den Spinat und daran, dass Popeye nicht der hellste Stern am Himmel der intellektuellen Comichelden ist. Im Zuge des Stückes habe ich mir ein paar Folgen angeschaut. Die Comicfiguren Popeye und Olivia sind in dem Stück ja nur zwei Repräsentant:innen eines bekannten Beziehungsmusters. Aber die Referenz zum Comic erlaubt eine Überhöhung und die Distanz, die durch die Comicebene entsteht, ermöglicht eine Leichtigkeit im Umgang mit dem Thema. 

Intensiv, lehrreich, wunderschön

In deiner Inszenierung werden alle Rollen von Frauen gespielt. Warum war dir das wichtig?

Weil es ja Olivias Geschichte ist. Und damit die Geschichte von sehr vielen Frauen, die ihr Leben mit Männern verbringen, die in derselben Gesellschaft sozialisiert wurden wie Popeye. Oder eben mit Popeye.

Ich meine damit, dass Olivias Geschichte nicht die Geschichte einer Einzelperson ist, sondern es um all die strukturellen Probleme geht, in denen wir uns nach all den Jahren der Gewöhnung irgendwie doch zu Hause fühlen. Olivia spricht also für viele Frauen aus den Körpern von vier Schauspielerinnen und das finde ich schlüssiger als Popeye auf die Bühne zu bringen. Außerdem hat der ja eh schon eine eigene Serie.

Und die Arbeit mit einem rein weiblichen Team ist eine fantastische Erfahrung. Da das Stück uns alle auf die eine oder andere Art betrifft, entsteht ein reger Austausch und ein inspirierender Diskurs übers Frau-Sein, übers In-Beziehung-Sein, über Feminismus im Theater und immer über die Liebe und all ihre seltsamen Erscheinungsformen. So wurde die Zeit mit Claudia Kainberger, Aline Kunisch, Tamara Semzov und Anna Lena Bucher (die Spielerinnen) und Anna Laner, Lisa Horvath und Juliane Aixner vom ersten Tag an zu einer extrem intensiven, lehrreichen und wunderschönen Zeit. 

Auch die Musik hält dich momentan ziemlich auf Trab. Worauf dürfen wir uns in der nächsten Zeit freuen?

Ich spiele am 11. und 12. Dezember im Stadtsaal in Wien mit meiner Band „die Verzerrten“, bestehend aus Thomas Pronai, Ernst Molden, Karl Molden und Clemens Sainitzer. Da freue ich mich schon sehr drauf, weil wir so selten die ganze Herde zusammenkriegen. Und wenn's dann einmal passiert, ist es immer ein Fest! 

Elf junge Regisseur*innen, die man sich merken sollte
In der Musik und im Theater zu Hause: Anna Marboe.

Foto: Thomas Schrenk

Zur Person: Anna Marboe

1996 in Wien geboren, studierte Anna Marboe, die als Musikerin unter dem Künstlernamen Anna Mabo aufritt, Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar. Sie hat bereits am Schauspielhaus Wien, am Landestheater Niederösterreich, am Landestheater Linz und am Wiener Volkstheater inszeniert. Im Frühjahr ist ihr zweites Album mit dem Titel „Notre Dame“ erschienen.

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