Wien ist wohl die einzige Stadt der Welt, wo die Nachbesetzung einer Theaterdirektion die gesamte Nation in einen derartigen Meinungskrieg und Aufregungsgrad versetzt. Nirgendwo sonst sind ein Theater und sein Publikum in so hochemotionaler Symbiose miteinander verbunden, nirgendwo sonst erregen Direktionswechsel, Divenkriege, Finanztragödien oder Premierenpleiten eines Nationaltheaters die Bevölkerung so sehr wie die des Burgtheaters. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer merkte scherzend an, dass das Theatergedonner, das der Bestellung vorausging, der Beweis dafür sei, dass Österreich „eine Kulturnation“ ist.

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Es ist ja auch nicht irgendein Theater: Zum Burgtheater haben selbst die Menschen, die dort kaum einen Fuß hineinsetzen, ein leidenschaftliches Verhältnis. Das Haus am Ring ist Nationalheiligtum, eine Mischung aus geliebter Oma, Wohnzimmer und Hort patriotischen Stolzes. Man möchte der Festung in lieber Thomas-Schmid-Tradition zurufen: „Du bist Familie!“ Für Wochen, wenn nicht Monate flogen bei Abendessen, Cocktails und in den Theaterfoyers verbale Spekulationsgeschwader wie „Also, der/die mit Sicherheit nicht!“ oder „Mit dem/der muss man rechnen, Außenseiterbonus, waßt eh“.

Habemus Direktor

Und je marginaler die Faktenkenntnis, desto größer der Überzeugungsgrad des Vortrags. Das kennen wir ja aus der Hoch-Zeit der Hobby-Virologie. Und endlich ist Ruhe im Karton: Habemus Direktor. „Wenn es um das Burgtheater geht, dann gibt es kein Zögern“, erklärte der neue Mann Stefan Bachmann, er wirkte offen und fröhlich, die Bürde, die die Aufgabe mit sich bringt, scheint ihm schon jetzt Spaß zu machen. Bachmann hat seine Hausaufgaben in Köln gemacht, seine Wiener Regiearbeiten wie Jelineks „Winterreise“ und die Hofmannsthal-Adaptierung „Jedermann (stirbt)“ brannten sich ins Gedächtnis. Man hörte von Vorwürfen „toxischen Arbeitsklimas“ in Köln, einem Thema, dem Bachmann transparent begegnete und darauf hinwies, dass er gelernt und Mediationen und Coaching-Seminare besucht habe.

Dass seine Frau Melanie Kretschmann, eine aufregende Schauspielerin, möglicherweise mit nach Wien reisen wird, erregte bereits im Vorfeld einige Gemüter. In den USA tobt ja gerade die „Nepo Baby“-Diskussion, die sich vor allem um die Startvorteile bei Kindern berühmter Eltern wie Dakota Johnson oder Lily-Rose Depp dreht. Ich kenne eine Reihe hochbegabter Töchter und Söhne, deren Abgang in die deutsche Provinz-Pampa ein herber Verlust für unser Theaterleben wären: Paula Nocker (Mutter Maria Happel), Skye MacDonald (Sohn von Sona MacDonald), Felix Kammerer (Mutter Angelika Kirchschlager).

Talentgene sind kein Himbeerwasser

Michael Schottenberg hat mit seiner langjährigen Frau Maria Bill Theatertriumphe gefeiert; Sandra Cervik hätte es auch ohne ihren Mann, den Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger, an die Spitze geschafft. Martin Kušej hat seine damalige Lebensgefährtin Sophie von Kessel nach Wien geholt, was damals niemanden auch nur irgendwie irritierte. Elisabeth Orth, deren Mutter Paula Wessely allen drei Töchtern die ermunternden Worte „Aus euch wird nie was“ schenkte, legte die Latte ihrer Schauspielkunst ganz nach oben. Talentgene sind nun einmal kein Himbeerwasser. Und wenn Begünstigte keine Begabung vorzuweisen haben, dann möchte man nicht in ihrer Haut stecken.

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Da kann man nur immer wieder Bette Davis zitieren, die eine Rolle zugunsten einer Produzenten-Mätresse nicht bekommen hatte. Natürlich konnte diese Dame nicht annähernd der Queen das Wasser reichen. Worauf Bette Davis in der ihr eigenen Süffisanz der schwachen Konkurrentin ein Telegramm schickte: „See – you cannot fuck the audience.“ Jugendfrei übersetzt: „Dem Publikum konntest du es eben nicht besorgen.“

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).