War „Flüstern in stehenden Zügen“ von vornherein als Stream geplant?

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Bekim Latifi: Nein, war es nicht. Die Entscheidung, eine Art Film daraus zu machen, haben wir im Herbst gefällt. Wie wir es konkret machen wollen, war jedoch am Anfang noch nicht ganz klar. So gehörte zu den allerersten Ideen unter anderem, es nicht in einem Theater, sondern in einer Wohnung zu machen. Also ein realistisches Setting zu wählen. Wir haben diese Idee dann aber wieder verworfen, weil sie uns insgesamt zu sehr die aktuelle Situation erinnert hat.

Ich habe gesehen, dass ihr das Stück als „Theater-Live-Film“ bezeichnet. Was bedeutet das genau?

Das hat damit zu tun, dass filmische Elemente mit Theaterelementen verschmolzen werden. Damit das so gelingt, wie wir uns das vorgestellt haben, haben wir uns mit Visar Morina einen renommierten Filmregisseur und mit Patrick Orth einen der meistbeschäftigten Kameramänner Europas („Toni Erdmann“) geholt. Bei der Kamera war uns sehr wichtig, dass jemand verantwortlich dafür ist, der vom Fach ist und sich auch künstlerisch in das Projekt einbringen kann.

Inwiefern hat das neue Format dem Stück vielleicht sogar gutgetan?

Weil im Stück ja eine Atmosphäre entstehen soll, die sehr von diesem hermetischen Raum und der Isoliertheit der Figur geprägt ist, passt die neue Form sehr gut zum Stück und zur Spielweise. Sie unterstreicht sehr schön, was die Figur des C. ausmacht. Das ist auch der Grund, warum wir das Stück ab jetzt immer als Stream zeigen wollen. Darüber hinaus bietet sich dadurch die Gelegenheit, umzudenken und digitale Formate weiter voranzutreiben.

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Der Kameramann als Stütze

Sie wären also dafür, digitale Projekte auch über diese Ausnahmesituation hinaus weiterzuverfolgen?

Ich habe damit nun eine richtig tolle Erfahrung gemacht und fände es deshalb schade, wenn wir das nicht weiterentwickeln und stärker vorantreiben. Bedingt durch den Zwang des Umdenkens, ist ein wirklich schönes, eigenständiges Projekt entstanden. Ich bin deshalb gerade auch dran, mit der Dramaturgie bei uns am Haus zu reden, wie man das weiter ausbauen könnte. Dazu gehört unter anderem auch, sich zu überlegen, welche Filmregisseurin oder welcher Filmregisseur Lust darauf hätte, auch Theater zu machen und das mit filmischen Mitteln umzusetzen. In weiterer Folge könnte man auch mit Kinos kooperieren. Diese Gedanken sind bei mir in erster Linie durch das Projekt entstanden. Vielleicht wäre es nicht so gewesen, wenn wir es mit jemandem umgesetzt hätten, der nicht vom Film kommt. Es war schon ein großes Glück, mit diesen Menschen arbeiten zu dürfen.  

Inwiefern haben sich die Probenarbeiten durch diese neue Herangehensweise verändert?

Insgesamt war es schon eine ganz andere Situation, die bei mir einige Umdenkprozesse in Gang gebracht hat. Es ist beispielsweise immer wieder die Frage aufgetaucht, wohin man das eigentlich spielt – nicht in Richtung Publikum, nicht nur für sich und auch nicht immer direkt in die Kamera, sondern nur dann, wenn es inhaltlich begründet ist. Außerdem war es teilweise schon eine Gratwanderung, die Bühne als Theaterraum zu bespielen und gleichzeitig nicht zu groß zu spielen. Mein Spiel musste also eher der Situation dienen als dem Raum. Patrick Orth war in diesen Situationen eine große Stütze, weil es sich immer ein bisschen so angefühlt hat, als ob ich mit ihm in einem Dialog wäre.

Ihr spielt nicht nur ohne Publikum, sondern seid auch auf der Bühne nur zu zweit. Hat das die Situation noch einsamer gemacht oder gab es dieses Gefühl der Einsamkeit für Sie gar nicht?

Mir hat definitiv sehr geholfen, dass ich schon einmal in einer ähnlichen Situation war. Am Thalia Theater habe ich 2019 einen Monologabend gespielt, bei dem ich das ganze Stück über in einer Art Kasten war und dadurch die Zuseherinnen und Zuseher gar nicht gesehen habe. Sie konnten mich aber natürlich schon sehen. Im Zuge dieses Stückes habe ich für mich herausgefunden, dass es auch angenehm sein kann, nur für sich zu sein, gleichzeitig aber zu wissen, dass einem Leute zusehen. Wie gut das funktioniert oder nicht, ist meiner Ansicht nach aber auch vom Stoff abhängig. In diesem Fall war es für mich sogar produktiv nichts mitzubekommen. Ginge es bei einem Stück vor allem um Pointen oder wäre dafür eine Energie im Raum notwendig, fände ich es schon unbefriedigend und einsam.

„Wir brauchen neue Formen“

Wie sieht es bei einem Stream mit Nervosität aus?

Ich war bei der Premiere des Streams genauso aufgeregt wie bei einer Premiere vor Publikum. Das lag vor allem daran, dass ich wusste, dass viele Leute zuschauen und die Zuseherinnen und Zuseher ja auch ganz genau wissen, dass es live ist. Dadurch entsteht dann trotzdem eine Spannung vor dem Bildschirm.

Ich war bei der Premiere des Streams genauso aufgeregt wie bei einer Premiere vor Publikum."

Bekim Latifi, Schauspieler

Was können Sie aus dieser Arbeit für das Theaterspielen unter hoffentlich bald wieder normalen Umständen mitnehmen?

Bezogen auf die Gesamtsituation würde ich mir wünschen, dass das Thema Digitalisierung weiter vorangetrieben wird und Abende gemacht werden, die ausschließlich als Stream konzipiert werden. Mit guten Regisseurinnen und Regisseuren, die diese Mittel beherrschen. Für mein Spiel hat es mir geholfen, noch konzentrierter zu spielen und dabei nicht so auf Wirkung bedacht zu sein. Es ist nicht immer notwendig, jede Emotion zehnmal zu vergrößern. „Flüstern in stehenden Zügen“ ist eher eine psychologische Studie, was man momentan im Theater eher selten findet. Das nehme ich für mich als Input mit.

Das Thema Streaming polarisiert sehr. Wie nehmen Sie das wahr?

Mein Eindruck ist, dass das Thema auch innerhalb der Ensembles sehr polarisiert. Es gibt immer zwei klare Meinungen dazu und nichts dazwischen. Ich bin eher dafür, neue Formen zu finden und das Digitale voranzutreiben und weiterzuentwickeln. In „Die Möwe“ von Anton Tschechow heißt es schließlich auch: „Wir brauchen neue Formen.“ Man wird das in den nächsten Jahren auch nicht mehr so leicht wegschieben können, weil es immer mehr in den Fokus unserer Gesellschaft rückt. Wichtig ist meiner Meinung nach, für solche Projekte Spielerinnen und Spieler zu finden, die wirklich Lust darauf haben.

Bekim Latifi wechselte vom Hamburger Thalia Theater nach München, wo er auch studiert hat.

Foto: Paul Hutchinson

Zur Person: Bekim Latifi

Bekim Latifi wurde 1994 in Durrës/Albanien geboren und wuchs in Kamenz bei Dresden auf. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Otto Falckenberg Schule in München. Dort war er bereits im ersten Jahr in „Glow! Box BRD“ im Werkraum der Münchner Kammerspiele zu sehen. Von 2017 bis 2020 war er Ensemblemitglied am Thalia Theater Hamburg, im September des vergangenen Jahres wechselte er zu den Kammerspielen nach München.

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Auf der Website der Münchner Kammerspiele finden Sie alle Infos zu aktuellen Produktionen