Wie kam es denn zur Idee von „Under Pressure“? Gab es eine Form von Initialzündung?

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Laura Naumann: Zuerst stand der Begriff Leistung im Raum. Davon ausgehend haben wir dann unter anderem darüber diskutiert, inwiefern man in unserer kapitalistischen Gesellschaft diesem Leistungsdruck überhaupt entkommen kann. Oder eben nicht. Weil wir ja gerne mit Formaten arbeiten, haben wir uns schließlich überlegt, welches Format für dieses Thema gut passen würde und sind eigentlich sehr schnell bei Wettbewerbsshows gelandet. Ein wenig später kam die Überlegung dazu, dass wir es spannend fänden, wenn wir dem Publikum Macht geben und uns auf der Bühne tatsächlich einer Art von Leistungsdruck aussetzen.

Wie fühlt es sich an, wenn man sich der Macht des Publikums aussetzt und die Bewertungen des Publikums auf der Bühne auch direkt vermittelt bekommt?

Sophia Schroth: Es ist total spannend, weil wir nie genau wissen, wie sich das Publikum entscheidet. Es war für uns in der Probenarbeit also total schwer herauszufinden, was das mit uns macht. Mittlerweile haben wir uns aber schon daran gewöhnt, dass es diese Abstimmung gibt und lustigerweise stimmen die Leute, egal wo wir die Show zeigen, bei fast allen Fragen sehr ähnlich ab. Spannend war, dass die Ergebnisse in Bremen, wo wir ja zum ersten Mal ohne live, sondern nur mit online Publikum gespielt haben, ganz anders waren. Das zeigt, dass die Kopräsenz im Raum schon mehr Informationen mitgibt.

Malu Peeters: Wir lernen immer noch mit der Machtposition des Publikums umzugehen. Es ist ein Prozess, der dazu führt, dass sich immer wieder Dinge verändern. Aber es ist ohnehin so, dass sich bei jeder Aufführung neue Details ergeben, die uns dazu bringen, an manchen Stellen ein bisschen nachzuschärfen. Es ist ein großer Vorteil unserer Arbeitsweise, dass wir diese kleinen Änderungen jederzeit vornehmen können.

Wer scheitert am besten?

Diskutiert ihr diese Dinge nach den Shows?

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Sophia Schroth: Wir tauschen uns meistens nach dem Stück in der Garderobe aus. Wie hat es sich angefühlt, sind lustige Dinge passiert,  war heute etwas ganz anders, wer war im Publikum … Und wie Malu sagt, haben wir immer die Möglichkeit noch mal nachzujustieren falls eine Szene nicht funktioniert oder sich nicht gut anfühlt. Das machen wir aber nicht nach der Show. Nach der Show trinken wir ein Kaltgetränk.

Ihr steht also bei „Under Pressure“ als ihr selbst auf der Bühne?

Sophia Schroth: Wir sprechen uns auf jeden Fall mit unseren echten Namen auf der Bühne an …

Laura Naumann: Wobei sich im Bühnenkontext natürlich immer die Frage stellt, ob man es wirklich selbst ist. (lacht) Aber die Behauptung ist auf jeden Fall, dass wir auf der Bühne wir selbst sind. Das ist auch in all unseren anderen Performances so. Bei diesem Stück haben wir uns tatsächlich überlegt, ob wir uns so etwas wie Avatare ausdenken, haben dann aber relativ schnell gemerkt, dass das für uns keinen Sinn macht.

Könntet ihr nochmals kurz zusammenfassen, worum es in der Show geht?

Sophia Schroth: Das Stück ist wie eine Gameshow aufgebaut. Es gibt also verschiedene Aufgaben in unterschiedlichen Kategorien und nach jeder Challenge wird abgestimmt. Es gibt drei von uns, die jeden Abend gegeneinander antreten. Dann gibt es noch eine Moderation, die durch die einzelnen Kategorien führt, die sitzt am sogenannten Techtable am Bühnenrand mit den anderen beiden die die Licht-, Video- und Soundregie machen. Wichtig ist vielleicht auch, dass es nicht immer darum geht, wer es am besten gemacht hat. Eine Frage kann auch sein, wer am besten gescheitert ist. Die Zuschauerinnen und Zuschauer loggen sich auf einer Website ein und stimmen dort ab.  

Komplexe Themen

Wie darf man sich den Rechercheprozess bei euch vorstellen? Wie viele Gameshows habt ihr euch für „Under Pressure“ reingezogen? Oder kennt man ohnehin alle, wenn man einmal eine gesehen hat?

Sophia Schroth: Die Recherche spielt sich in zwei verschiedenen Bereichen ab – auf einer inhaltlichen Ebene und auf einer formellen. Formell haben wir uns zum Beispiel angeschaut wie Wettbewerbsshows aufgebaut sind und was Momente sein könnten, in denen das Publikum gleichzeitig unangenehm berührt ist aber eben auch große Lust an diesem Format empfindet. Inhaltlich ging es sehr viel darum, was Leistungsdruck für uns eigentlich ist und was für Erfahrungen wir damit gemacht haben. Wir haben dann sehr schnell gemerkt, dass es ein extrem komplexes Thema ist, das unglaublich fest in der turbokapitalistischen Gesellschaft und eben auch in unserem eigenen Leben verankert und allgegenwärtig ist.

Laura Naumann: Wir haben aber auch darüber gesprochen, dass wir den Leistungsdruck aus einer relativ privilegierten Position der Gesellschaft verspüren. Natürlich machen Menschen, die nicht weiß, nicht, cis, nicht able-bodied sind und/oder aus prekären Verhältnissen, nochmal ganz andere Erfahrungen, als wir sie gemacht haben. In diesem Zusammenhang ist dann die Frage aufgetaucht, wie wir das Thema überhaupt in seiner Komplexität verhandeln können, weil wir ja nur aus unserer Perspektive sprechen können.

„Under Pressure": Nach jeder Runde wird abgestimmt.

Foto: Dorothea Tuch

Immer wieder hört man, dass durch die aktuelle Situation dieser permanente Leistungsdruck ein bisschen zurückgegangen ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Menschen, die sagen, dass der Druck produktiv zu sein für sie größer wurde. Wie seht ihr das?  

Sophia Schroth: Für mich hat sich der erste Lockdown ganz anders angefühlt als die Situation, in der wir jetzt sind. Damals habe ich diese Zwangspause total genossen, nach und nach hat sich aber immer mehr Existenzdruck dazu gemischt.

Malu Peeters: Am Anfang fand ich es richtig cool, weil es eine kreative Herausforderung war, Projekte neu zu denken und an solchen Hybridformen zu arbeiten. Die Frage ist nur, wie man den Zauber aufrechterhält und sein Mojo nicht verliert, wenn man nicht weiß, wann man wieder vor Publikum spielen kann. Natürlich stellt man sich in diesem Zusammenhang unweigerlich die Frage, für wen man das alles tut. Man stapelt Stücke und kann sie nicht in die Welt hinaustragen.

Laura Naumann: Für mich ist die größere Frage, wie sich die Situation in der Kunst- und Kulturszene entwickelt, wenn alles wieder „normal“ ist. Wie es dann mit Förderungen weitergeht zum Beispiel.

Alle können zusehen

Ergeben sich auch Vorteile, wenn man Stücke nur online zeigen kann?

Sophia Schroth: Spannend finde ich, dass bei digitalen Formaten sehr viel mehr Menschen partizipieren können, die es aus unterschiedlichen Gründen vielleicht nicht in den Theaterraum geschafft hätten. In „Under Pressure“ gibt es einen Moment, in dem wir das Publikum dazu anhalten uns eine SMS auf die Bühne zu schicken. Wir bekommen im Schnitt 70 bis 90 Nachrichten am Abend. Einige dieser Nachrichten werden dann vorgelesen. Das ist jedes Mal so berührend, weil es auf eine Art einen kollektiven Moment schafft und spürbar macht, dass auch wenn man sich nicht sieht, man trotzdem in einer Art Gemeinschaft ist. Was sicherlich auch daran liegt, dass das Stück Live gestreamt wird und keine Aufzeichnung ist.

Könnt ihr schon etwas über kommende Projekte verraten?

Malu Peeters: Es gibt ein großes Projekt in Zürich, bei dem es um Schönheitsideale geht. Dafür müssten wir aber zumindest alle gemeinsam auf einer Bühne proben dürfen.

Sophia Schroth: Wir haben vier Shows, die potentiell touren könnten. Die wären sozusagen „ready to go“. Allerdings wissen wir momentan nicht, wann wir diese Stücke zeigen können.

Laura Naumann: Wir arbeiten schon seit acht Jahren zusammen und würden die Zeit und eine Residency, die wir vor kurzem zugesprochen bekommen haben, gerne nutzen, um herauszufinden, wo wir als Gruppe momentan stehen und wo es hingehen soll. Davon ausgehend würden wir auch gerne neue Projekte andenken.

„Under Pressure" wird am 24., 25. und 26. März via Livestream gezeigt. Tickets können über die Website des brut Wien erworben werden.

Zum Kollektiv: Henrike Iglesias

Das Performancekollektiv begreift popkulturelle und massenmediale Phänomene als Spiegel gesellschaftlicher Zu- und Missstände und hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese aus explizit feministischen Perspektiven zu beleuchten. Zur festen Crew gehören Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan, Sophia Schroth, Eva G. Alonso und Malu Peeters. Im brut war das Kollektiv zuletzt mit FRESSEN im Februar 2020 zu sehen.

Weiterlesen: Black Box: Phantomtheater gegen den Phantomschmerz

Tickets und weitere Infos zum Programm des brut finden Sie hier