Zum Inhalt springen
© Unsplash

Sexual Healing: Die weibliche Lust im Fokus

Sex
Intimität
Trends
Gesundheit
vital

Weibliche Sexualität und Sinnlichkeit stehen seit einigen Jahren zunehmend im Mittelpunkt von Wissenschaft, ­Gesellschaft und Wellnessindustrie. Das selbstbestimmte Erleben der Lust wird dabei als essenziell angesehen – ­unabhängig vom Alter.

Lange Zeit galt Sexualität als Tabuthema schlechthin. Vor allem die weibliche Lust wurde über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg aus einer männlichen Perspektive betrachtet und meist auf den rein funktionalen Aspekt der Fortpflanzung reduziert. Lust war, so das Verständnis von Forschung und Gesellschaft, Männern vorbehalten.

Es ist noch nicht so lange her, dass die weibliche Sexualität nicht ihrem Selbstzweck diente, sondern rein der männlichen Lust und der Fortpflanzung

erklärt Mag.a Heidemarie König, Sexualberaterin, klinische Psychologin und pädagogische Leiterin am Österreichischen Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien. Diese Fokussierung führte weiters dazu, dass die Libido der Frau in den Wechseljahren zur Gänze an Funktion und Bedeutung verlor. Erst in den letzten Jahren und Jahrzehnten lockerte sich diese »verklemmte« Sicht der Dinge.

Vom Tabu- zum Trendthema

Gründe für den graduellen Wandel vom Tabu- zum Alltagsthema in westlich geprägten Ländern gibt es viele: Da wären die Erfindung des Latexkondoms in den 1920ern, aber auch Frauenbewegungen rund um Ikonen wie Simone de Beauvoir. Auch die sexu­elle Revolution der 68er-Bewegung sowie die Einführung der legalen Verhütungspille, Unternehmen wie »Beate Uhse« und eine offenere sexuelle Aufklärung in Schulen spielen eine entscheidende Rolle. Und nicht zuletzt war die Popkultur – von Musik, Film und Fernsehen über das Internet bis hin zu Social Media – ein wichtiger Katalysator.

In »Sex and the City« etwa, erstmals 1998 ausgestrahlt, sprachen die Protagonistinnen freimütig über Lust und Libido – zu Recht darf die Serie heute als kleine TV-Revolution betrachtet werden, die das Thema einer breiteren Masse zugänglich machte. Maßgebliche Treiber der neosexuellen Revolution der Gegenwart sind das Internet und die ­sozialen Medien. Dank ihnen sind vor allem Frauen so vernetzt wie nie zuvor und teilen Wissen und Erfahrungen zu Lust und Unlust offen auf diversen Kanälen.

© Unsplash

Wissens- und Orgasmuslücken

Wechseljahre

Auf vielen Ebenen herrscht allerdings Nachholbedarf. Bis heute nimmt mit steigendem Alter die Repräsentation der weiblichen Lust in der Öffentlichkeit rapide ab; Sex in sowie nach den Wechseljahren wurde bis vor einigen Jahren kaum bis gar nicht thematisiert. »Das Alterstabu betraf und betrifft Frauen mehr als Männer«, weiß Mag.a Heidemarie König.

Sexualität im Alter hat daher erst langsam durch potenzielle Identifikationsfiguren eine gewisse Spiegelung in medialen Inszenierungen bekommen, etwa im Film ›Wolke 9‹ und in der Debatte um diesen.

Das Thema rückt nun langsam in den Blick der Öffentlichkeit – auch die Darstellerinnen der Kultserie »Sex and the City« sind heute ­älter und setzen sich in der Nachfolgeserie »And Just Like That . . .« mit ihrer Sexualität jenseits der Wechseljahre auseinander.

Gendermedizin

Seit sich die Forschung der »vergessenen Hälfte« widmet, hat sich das Verständnis für die Eigenheiten und Bedürfnisse des menstruierenden Körpers erheblich verbessert. »In der Medizin etabliert sich mit der Gendermedizin erst langsam eine Sensibilität diesbezüglich. So gibt es viele Medikamentenstudien, die nur an biologischen Männern durchgeführt wurden«, so die klinische Psychologin. Die Gendermedizin trägt seit Ende der 1990er-Jahre dazu bei, dass wir die ­Mechanismen der weiblichen Libido heute besser verstehen. So weiß man etwa, dass Frauen stärker auf multisensorische Reize ansprechen. Das bedeutet, visuelle, akustische und olfaktorische Stimuli sind ebenso wichtig wie Berührungen. Auch der Mythos der separaten klitoralen oder vaginalen Orgasmen konnte mittlerweile widerlegt werden – zervikale, klitorale und vaginale Erregung spielen zusammen und betreffen ähnliche Regionen des Gehirns.

Gerade in Hinblick auf sexuelle Erregung zeigt sich allerdings, dass geschlechtsspezifische Unterschiede weit weniger bedeutsam sind als individuelle. »Man kann sagen, es ist nicht wichtig, Lust separat zu untersuchen, weil die Bandbreite innerhalb der Geschlechter sowieso größer ist als zwischen ihnen«, bemerkt die Sexualberaterin. Lust selbst ist demnach ein äußerst individueller und ständiger Veränderung unterworfener Vorgang, der von der Interaktion körperlicher, emotionaler und mentaler Faktoren abhängt.

Orgasm Gap

Dennoch: Phänomene wie der »Orgasm Gap«, der die Tatsache beschreibt, dass Männer in heterosexuellen Beziehungen weit öfter zum Höhepunkt kommen, zeigt, dass noch Nachholbedarf herrscht. So erreichen menstruierende Frauen Umfragen zufolge um rund dreißig Prozent weniger häufig das große O. Das hat vielerlei Gründe. Darunter den weitverbreiteten Irrglauben, Penetration müsse zu einem Orgasmus führen – dabei erreichen nur drei bis zehn Prozent aller Frauen allein durch diesen ihren Höhepunkt. Zudem ist häufig das eigene Selbstbewusstsein und Wissen um persönliche Vorlieben, vor allem in jungen Jahren, nicht genügend ausgebildet. Im reiferen Alter wiederum steht man vor neuen Herausforderungen in Sachen Lust:

Die Menopause führt häufig zu einem Verlust der Libido, der im Zusammenhang mit dem sinkenden Sexualhormonspiegel sowie psychischen Faktoren wie Partnerschaftsproblemen oder Stress steht. Dabei zeigen Umfragen, dass die Lust zwar zurückgeht, der Wunsch nach einem erfüllten Sexualleben jedoch nach wie vor gegeben ist.

© Unsplash

Von der Unlust zur Lust

Heute nimmt die Entfaltung des eigenen Lustpotenzials für viele eine wichtige Rolle ein – zahlreiche Unternehmen haben dies erkannt und bieten vielfältige Lösungen an.

Pornografie und Co.

Plattformen wie OMGyes haben sich ­gemeinsam mit Universitätsforschenden auf die Suche nach den vielfältigen Rezepten für den weiblichen Orgasmus gemacht. Kurze Videos beraten hinsichtlich der Kommunikation im Bett und den einzelnen Techniken klitoraler sowie vaginaler Stimulation. Darüber hinaus gibt es dank Regisseurinnen wie Erika Lust mittlerweile feministische Porno­grafie, während Streaming­-Portale wie Femtasy erotische Hörspiele liefern.

Vibratoren und Gleitgels

Sextoys dienen heute längst nicht mehr nur zur bloßen Penetration: Die Vibratoren sind kleiner, ergonomischer und oft gekrümmter; spezielle Saugstimulatoren legen den Fokus sogar gänzlich auf die Klitoris und ihre 8.000 hochempfindsamen Nervenenden. Auch befeuchtende oder stimulierende Gleitgels, die die Empfindsamkeit des Intimbereichs erhöhen, sind heute längst kein Zeichen mehr dafür, dass eine Frau »sexuell nicht funktioniert«. Vielmehr kommen sie als luststeigernde Ergänzung und tatsächliches Hilfsmittel zum Einsatz. Sie sind gerade für Frauen in den Wechseljahren, deren ­Vaginalschleimhaut durch einen geringeren Östrogenspiegel dünner und trockener wird, wichtiger Begleiter im Bett.

Supplements

Spezielle Nahrungsergänzungsmittel oder vermeintlich erregende ­Lebensmittel wie Austern, Maca oder Dami­ana, das bereits indigene Völker nutzten, können unterstützend wirken, die Effektivität sei jedoch nicht unbedingt gegeben, betont die Expertin: »Luststeigerung ist ein sehr breites Feld. Da Unternehmen wissen, dass sich viele Menschen Sorgen um ihre Libido machen, werden Produkte wie Tropfen oder NEMs angeboten, die aber fast immer maximal einen Placeboeffekt haben können.« Es gilt daher, beim Griff ins Regal auf Qualität zu achten. Aber auch ein eher wenig wirkungsstarkes Produkt kann, dank Placebo, bereits helfen. Denn: Lust beginnt im Kopf.

Erschienen in
Ausgabe 04/2024

Zum Magazin

Christina M. Horn
Koch
Mehr zum Thema
1 / 4