Er ist ein Weltstar. Ein Heldentenor. Einer der wenigen Sänger auf der Welt, die den unglaublichen körperlichen und stimmlichen Anforderungen des dramatischen Stimmfachs gewachsen sind; und er kommt aus einem 1.500-Einwohner-Dorf in Niederösterreich. Er hat zuerst Operette gesungen und kommt im Oktober in der „Frau ohne Schatten“ wieder an die Staatsoper. Wir haben Andreas Schager zum Interview gebeten und ihm im Vorfeld gesagt, er müsse nicht jede unserer Fragen beantworten. Wenn es ihm zu blöd wird, soll er es uns sagen. Er hat die „Weiter“-Karte nur einmal gezogen.

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Mögen Sie es, „Maestro“ genannt zu werden?

Nein. Das finde ich überheblich. Als Scherz: ja!

Eine Freundin sagt: Schager singt wie Pavarotti, nur ohne die Kilos …

Ja? Toll. Möge es so bleiben – auch Letzteres. (Lacht schallend auf.)

Stimmt meine Unterstellung, dass Sie sich das Halten und Verlängern des Tons – auch bei den „Wälse“-Rufen – von Luciano Pavarotti abgeschaut haben?

(Lacht noch einmal herzlich auf.) Na ja. Nein! Aber ich habe mir tatsächlich vor kurzem eine Masterclass von Pavarotti angesehen, und da hat er genau dieses Effektmittel seinen Studenten weitergegeben. Ich fand das sehr faszinierend und habe mich dabei selber ein wenig erkannt. Es ist sehr oft der Dramatik und der Situation geschuldet – und derer gibt es sehr, sehr viele auf der Bühne, gerade bei den Heldenrollen.

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Was passiert beim Verlängern des Tons im Publikum?

Das Publikum atmet mit einem Sänger unbewusst mit. Wenn man als Sänger einen Ton besonders lange hält – etwa bei den „Wälse“-Rufen –, dann bekommt das etwas Überirdisches. Das Publikum will atmen, aber du lässt sie als Sänger nicht. Und dann wird der Ton noch länger und länger gehalten …

Einen der längsten „Wälse“-Rufe hat Lauritz Melchior mit unglaublichen 15 Sekunden geschafft …

... ja, und wenn das Publikum während dieser Zeit – also ganze 15 Sekunden – die Luft anhält, dann ist das eine Begegnung der dritten Art. Es macht mit dem Publikum etwas.

Es wird oft gejammert, dass die goldene Zeit der Heldentenöre vorbei sei. Haben Sie nicht den Wunsch, in solchen Momenten einfach loszubrüllen: „Hallooo, ich bin eh da!“

Ganz ehrlich: Ich höre das nie. Aber das liegt vermutlich daran, dass man mir so etwas nicht sagt. (Lacht.) Aber: Ja, wir sind schon die weißen Elefanten, die durch die Klassikszene schreiten. Es gibt nur eine Handvoll von uns – und gerade heute habe ich erfahren, dass mein überaus geschätzter Kollege Stephen Gould seine Karriere beendet hat. Ich glaube, dass es die goldene Zeit der Heldentenöre nie wirklich gegeben hat, weil es zu keiner Zeit mehr als drei, vier Heldentenöre gab.

Welche Heldentenor-Rolle ist vollkommen?

Eine schwierige Frage. Tristan hat so viele gesangliche Anforderungen – vor allem im dritten Akt. Also wenn ich so im Denken rede, dann ist es vielleicht der Tristan.

Ihre Definition des perfekten Tons?

Für mich macht die Emotion den Ton. Wenn ich von dem perfekten Ton ausgehe, dann muss ich im Vorfeld von der perfekten Emotion sprechen. Jedes Baby beherrscht das: Jedes Bedürfnis drückt es durch Töne aus. Und das müssen wir als Sänger dann wieder lernen: dass Töne der Ausdruck unserer Emotion sind. Insofern lautet meine Antwort auf Ihre Frage: Der perfekte Ton ist der perfekte Ausdruck der Emotion.

Die nächste Frage wäre jetzt gewesen: An was muss man denken, um schön zu singen? An nichts offenbar.

Ja, an gar nichts. Das Hirn ausschalten und die Emotionen walten lassen. Ich bereite mich gerade für „Otello“ vor (zu hören ab 13. Mai 2024; Anm.) – da ist das Denken abgeschafft. Da gibt es am Ende keine Ratio mehr, da ist nur mehr blinde Wut. Wenn man diese Rolle richtig machen will, dann darf man an gar nichts mehr denken.

Hermann Maier hat mir auf die Frage, was ihn von anderen Rennläufern unterscheidet, gesagt: „Ich schaffe es, beim Fahren nicht zu denken.“ Sie teilen sich offenbar das Erfolgsgeheimnis.

Offensichtlich sind unsere Genres verwandter, als viele glauben … (Lacht.)

Die größte Menschenmenge, vor der Sie jemals gesungen haben?

Das hat jetzt auch etwas mit Hermann Maier zu tun: Ich wurde vor Jahren gefragt, ob ich nicht die Bundeshymne beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel singen will. Ich habe mit Freuden zugesagt – und das war bis dato die größte Menschenmenge.

Christian Thielemann wird „Die Frau ohne Schatten“ dirigieren, und er hat mir einmal gesagt: „Wenn Sie die Inszenierung langweilt, dann schauen Sie einfach mir beim Dirigieren zu.“

(Lacht.) Ich liebe seinen Humor. Er ist definitiv kein Show-Dirigent, sondern einer der besten, die wir haben. Er ist unglaublich präzise. Seine zwingende Musikalität und eine unglaubliche Kompromisslosigkeit, die er seiner Interpretation angedeihen lässt, zeichnen ihn aus. Er hat immer eine ganz klare Vorstellung davon, was er will, und macht das oft mit minimalsten Gesten. Die Musiker sitzen alle auf der Sesselkante und sind gebannt. Thielemann macht sein Ding, und das funktioniert fantastisch.

Eine Kollegin von Ihnen hat mir gesagt: „Thielemann macht Sänger besser.“ Stimmt das?

Thielemann ist als Dirigent der erste Zuhörer. Er kann weder mittels Ton noch mittels Musik eingreifen. Er kann nur mit Gesten steuern. Im Idealfall, wenn alles fantastisch läuft, dann müsste er auch gar nicht dirigieren – das macht er auch immer öfter. Seine Gesten werden immer minimaler, und ich deute dies als ein Okay. (Lacht.) Thielemann ist ein Aufschläger, wie ich es nenne: Man muss sich darauf einstellen, dass der Einsatz nicht mit der Hand nach unten beginnt, sondern mit der Hand nach oben. Man muss sich umstellen, und man darf manche böse Blicke nicht persönlich nehmen. Aber man kann mit dem Vertrauen reingehen, dass er das Beste rausholt, ohne jemanden persönlich anzugreifen, und dass alles, was er tut und was er zeigt, immer zu hundert Prozent im Dienste der Musik ist.

Schön singen bedeutet Hirn ausschalten und die Emotionen walten lassen.

In der Liga, in der Sie singen, ist die Luft sehr dünn – können Sie Ihren Erfolg genießen, oder ist der Druck zu groß?

Na ja. Ich habe den Vorteil, dass ich meinen Erfolg nicht an einem schönen Auto messe. Der Erfolg ist etwas Punktuelles. Es gibt Momente an guten Abenden, wo ich das Gefühl habe, eins mit dem Publikum zu sein. Das sind meine magischen Momente, meine Erfolge, so wie der Applaus.

Warum sollte man „Die Frau ohne Schatten“ unbedingt sehen?

Wegen der Musik. Man muss sich reinsetzen und sich darauf einlassen. Es spielt das Staatsopernorchester, Thielemann dirigiert, wir singen – was will man mehr? (Lacht.) Ich meine: Diese Staatsoper ist ein unglaublicher Ort. Dort im Haus am Ring ist Österreich noch eine Großmacht. Wenn ich dort auf die Bühne gehe, dann merkt man die Aura der Größe, der Perfektion. Dieses Streben nach Exzellenz ist einzigartig.

Der Weg aus Rohrbach an der Gölsen, wo Sie aufgewachsen sind, an die Staatsoper war ja nicht unbedingt aufgelegt. Wie kam es zu Ihrem Traum?

Rohrbach ist ein wunderschöner Ort im Alpenvorland, und man wird eher Bauer als Opernsänger. Es gibt wenige aus dem Ort, die nach Wien oder St. Pölten pendeln. Mein Vater ist gestorben, als ich 14 Jahre alt war. Es war die Zeit, in der man Halt braucht – und den hatte ich nicht, den sucht man sich. Ich habe damals die klassische Musik für mich entdeckt. Beethovens Neunte und als Sänger Fritz Wunderlich. Ich habe alles aufgekauft. Das war die Grundlage der Liebe, das Samenkorn …

Gab es eine Zeit, in der Sie vom Zweifel gebeutelt waren, dass Sie es nicht schaffen könnten?

Nein. Denn ich hatte nie vor, dass ich da hinkomme, wo ich jetzt bin. Als Mensch bin ich jemand, der Sachen auf sich zukommen lässt und nicht aktiv mit Ellbogen ausgestattet durch die Gegend läuft. Ich war viele Jahre auf Operettentourneen, und ich hätte mir nie gedacht, dass ich ein paar Jahre später in den Opern-Olymp hochgespült werde. Das war nicht so vorgesehen, es ist mir passiert.

Ihre Fans – vor allem die weiblichen – würden zustimmen, wenn ich sage: Ihre Stimme ist ein sexuelles Organ. Sie mir auch?

Oje. Ich überlege gerade, die „Weiter“-Karte zu ziehen. (Schager schüttelt sich vor Lachen, denkt kurz nach, will etwas sagen, lacht und bleibt dabei.)


Gut. Eine Frage noch, und sie ist jetzt nicht viel gescheiter als die vorherige: Was ist Ihr Lieblings-Tenorwitz?

Da gibt es keinen. Weil alle wahr sind …(Lacht.)

Vielen lieben Dank für Ihre Zeit.