Fällt im Zusammenhang von Theater für junges Publikum der Begriff „Magie“, haben viele Menschen wohl sofort Bilder aus Märchenwelten im Kopf – Geschichten aus verzauberten Parallelwelten, die mit der klassischen Einstiegsformel „Es war einmal“ beginnen. Auch diese Erzählformen können magische Theatermomente hervorrufen und haben auf jeden Fall ihre Berechtigung, erklärt Julia Ransmayr, die gemeinsam mit Sara Ostertag für die künstlerische Leitung des biennalen Schäxpir Festivals in Linz verantwortlich zeichnet. Gemeinsam mit Schäxpir-Chefin Anja Lang haben die beiden Theatermacherinnen für die diesjährige Ausgabe des Festivals jedoch ein Programm zusammengestellt, das den Begriff sehr viel weiter aufspannt. Kurz zusammengefasst: Wichtig ist nicht nur, was einmal war, sondern vor allem, was sein wird.

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Wenn eine erwachsene Person in ein Stück ab fünf Jahren geht und sich davon ästhetisch angesprochen fühlt, dann haben beide etwas Faszinierendes erlebt. Sie haben dasselbe gesehen, aber nicht dasselbe erfahren.

Sara Ostertag

„Magie ist dem Theater inhärent“, so Ransmayr. „Darüber hinaus beschäftigen wir uns in diesem Jahr aber auch mit Magie in Zusammenhang mit Orakel, Weissagung und Fortune Telling – stellen uns die Frage, was die Zukunft alles sein kann und welche Räume es gibt. Kunst ermöglicht es uns, auf magische Weise eine Zukunft zu entwerfen, die anders ist als der Alltag, den wir gerade erleben.“ So kommt beispielsweise die brasilianische Künstlerin Luiza Moraes mit drei Produktionen nach Linz, die zwischen Tarot-Karten-Lesen, Bewegungsimprovisation, Weissagungspraktiken und Orakel-Befragung verortet sind. Entstanden sei das Thema auch aus der Beobachtung heraus, dass viele Jugendliche nach den letzten Jahren den Wunsch in sich tragen, positiv in die Zukunft zu blicken, führt Julia Ransmayr weiter aus.

Über den Theaterraum hinauswachsen

In der kurzen Beschreibung von Luiza Moraes und den Produktionen, die sie nach Linz mitbringt, stecken zwei wichtige Dinge, die das Theaterfestival für junges Publikum auszeichnen: eine große formale Offenheit und der Wunsch, dem Publikum einen Mix aus internationalen und lokalen Produktionen zeigen zu können. „Das Besondere an einem Festival wie diesem ist, dass man versucht Dinge zu finden, die Menschen unterschiedlicher Altersgruppen gleichermaßen erreichen, weil sie verschiedene Ebenen beinhalten“, sagt Sara Ostertag. Sie fügt hinzu: „Wenn eine erwachsene Person in ein Stück ab fünf Jahren geht und sich davon ästhetisch angesprochen fühlt, dann haben beide etwas Faszinierendes erlebt. Sie haben dasselbe gesehen, aber nicht dasselbe erfahren. Dadurch begegnen sie einander auf Augenhöhe.“

Schäxpir
„Magie“ lautet das Motto, das sich Julia Ransmayr, Anja Lang und Sara Ostertag für Schäxpir 2023 überlegt haben.

Foto: Laura Jurcevic

Dieses offene Verständnis davon, was Theater alles sein kann, mache es einfacher generationenübergreifend zu arbeiten, fügt Julia Ransmayr hinzu. Die Offenheit seitens des Publikums, die ein solch breit gefasstes Theaterverständnis voraussetzt, sei bei Schäxpir von Anfang an vorhanden gewesen, erklärt die gebürtige Linzerin. „Als Festival können wir natürlich mehr ausprobieren als eine Institution im normalen Spielbetrieb. Allerdings ist es auch schön, zu beobachten, dass das Festival innerhalb der Institutionen, mit denen Schäxpir kooperiert, viel bewegt hat. Es ist spürbar, dass sich Formen weiten.“

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„Gemeinsam mit den Organisationen und Institutionen versuchen wir Theater anders zu denken und über den klassischen Theaterraum hinauszuwachsen“, merkt Anja Lang an. So wird in diesem Jahr unter anderem ein Amt bespielt, fügt sie hinzu. Die lokale Vernetzung sei neben der Internationalität des Festivals und der genreübergreifenden Herangehensweise überhaupt ein wichtiges Thema, sind sich Anja Lang, Julia Ransmayr und Sara Ostertag einig.

Doppelte Verführung

Insgesamt 30 Produktionen werden bei der diesjährigen Ausgabe des Theaterfestivals zu sehen sein – darunter neun Uraufführungen und elf Österreichische Erstaufführungen. 20 Spielstätten werden von Künstler*innen aus insgesamt elf Nationen bespielt. Außerdem gibt es ein Vermittlungsteam, das, so Ostertag, aus sehr unterschiedlichen künstlerischen Ecken kommt und mit den Teilnehmer*innen vor allem darüber nachdenkt, wie man Kunstbegegnungen wahrnehmen und beschreiben kann. „Zudem gibt es auch Formate, die es Profis ermöglichen sich auszutauschen“, sagt Sara Ostertag, deren Inszenierung „Am liebsten mag ich Monster“ ebenfalls im Rahmen des Festivals zu sehen sein wird. Mit „Close Encounters“ von Anna Rispoli wird auch eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen gezeigt.

Bei der Zusammenstellung des Programms spielen neben den bereits erwähnten Kriterien auch Beziehungen zu Künstler*innen und Institutionen eine wichtige Rolle. „Man muss auch Leute dazu verführen, für junges Publikum zu arbeiten. Viele entwickeln Stücke für Jugendliche, aber es ist für viele Menschen ein großer Schritt, über unter zehnjährige Kinder nachzudenken, weil es im ersten Moment vielleicht schwieriger ist, sich vorzustellen, in welch krasse Ideenwelten, man mit diesen Menschen eintreten kann. Künstler*innen damit in Berührung zu bringen, ist etwas, das uns sehr interessiert“, erklärt Sara Ostertag.

Eine Stunde und 15 Minuten

Wie es insgesamt mit dem Stellenwert von Theater für junges Publikum in Österreich aussieht, wollen wir noch vom Schäxpir-Leitungsteam wissen. „Es wird besser“, sind sich Sara Ostertag und Julia Ransmayr einig. Allerdings ist es nach wie vor noch häufig so, dass die Projekte niedriger dotiert sind, die Stücke in Sachen Vorstellungsanzahl aber häufig mehr leisten müssen als andere. „Das alles führt dazu, dass Theater für junges Publikum häufig als eine Art von Sprungbrett gesehen wird. Nur wenige kommen dann wieder zu dieser Arbeit zurück. Wenn es aber Menschen gibt, die das tun, kommen dabei oft sehr spannende Arbeiten heraus, weil sich unterschiedliche Blickwinkel verbinden.“

Eine Stunde und 15 Minuten dauert die Zugfahrt von Wien nach Linz, es lohnt sich also, auch aus der Hauptstadt anzureisen. „Außerdem haben wir ein solch dichtes Programm über den ganzen Tag, dass man sich am Tag teilweise vier Produktionen ansehen kann“, fasst Sara Ostertag abschließend zusammen. Wenn man dann noch mit einem positiven Blick in die Zukunft wieder in den  Zug steigt, dann ist das wohl diese Theatermagie, von der alle sprechen.

Zum Programm des Schäxpir Theaterfestivals 2023