Es wäre an sich die Zeit, wo auf Bildungsbürgercocktails und veganesken Grillagen für Kulturaffine in japanischen Designerklamotten die Menschen Small-Talk-Turnübungen veranstalten, die oft um ihre kulturlastigen Sommerferienpläne kreisen. Dort fallen dann solche Sätze wie „In Bregenz sehen wir uns in jedem Fall“ oder „Also, natürlich gehen wir auch heuer wieder nach Salzburg, aber jetzt hat uns Bayreuth auch noch dazwischengefunkt, mit den Karten haben wir eigentlich gar nicht mehr gerechnet“ oder „In Aix regiert zwar der Konservativismus, aber wir geben Aix noch eine Chance“.

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Nur: Inzwischen ist diese Gesellschaft, die von der bösen Covid-Fee in den Dornröschenschlaf geschaukelt worden ist, noch immer nicht ganz erwacht, sie reibt sich gerade einmal die Augen. Statt jener „Wir gehen nach Salzburg“-Sätze (elegante Menschen gehen, sie fahren nicht), die natürlich auch dazu dienen, dem Gegenüber gleich einer Lifestyle-Trophäe den eigenen Bildungsgrad vor Augen zu führen, hört man jetzt so was wie „Dreimal geimpft, einmal genesen, also in Drachenblut gebadet“ oder Phrasen von Hobby-Geopolitikern: „Ich war von Anfang an gegen die Waffenlieferungen!“ Die Theater und Opernhäuser sind noch immer häufig halb leer (und das oft im besten Fall), die Intendanten treffen sich auf Quo-vadis-Kultur-Symposien, wo sie sich haareraufend darüber beraten, wie man das Publikum wieder scharfkriegen könne.

„Geht es dir gut?“ heißt ein Stück zur Befindlichkeit der Gegenwart von Volksbühnen-Chef René Pollesch (in Berlin ist Pollesch immer fitter als mit seinen Wien-Stücken, die in den letzten Jahren von einer gewissen Lustlosigkeit geprägt waren) mit seiner kongenialen Ich-Verlängerung, dem Schauspieler Fabian Hinrichs, der verloren auf der Bühne steht und solche Dinge sagt: „Was soll das denn werden, wenn alles wieder voller wird? Wohin sollen wir denn dann zurückweichen? … 1,5 Meter. 1,5 Grad. 30.000 Stunden Netflix. Wir werden wie Gespenster sein.“Ein bisschen fühlen wir uns tatsächlich so gespenstisch: ausgepowert, lethargisch, begeisterungsstumpf, Netflix-verpeilt. Aber es ist mit dem Theater wie mit dem Fitnesscenter: Sobald man seine Vermeidungsstrategien ausgetrickst hat und ein-, zweimal dort war, stellt man sich die Frage: „Oida/e, warum hast du das nicht schon viel früher gemacht?“

Theater sind geistige Fitnesscenter. Möglicherweise hätte das Theater einfach mehr Sex-Appeal, wenn es schneller reagieren würde. So wie in früheren Zeiten, als die Herren Molière oder Nestroy die Stücke nachts aufs Papier schabten, um sie ohne unnötige Verzögerung in die Garderoben ihrer Schauspieler zu werfen.Ich habe mir kürzlich eine Dokumentation über das Burgtheater angesehen – auch um in mir den Theaterfunken wieder zu entzünden. Dort wurde ein Herr interviewt, der trotz seines hohen Alters noch immer dort das Mantel-Management betreibt. Auf die Frage, warum er sich diesen sicher anstrengenden Job an der Garderobe noch antue, antwortete er in diesem sanften Burg-Singsang: „Wissen Sie, hier erhole ich mich am besten von der Realität.“ Später dachte ich, ja, genau das ist es, Erholung von der Realität, aber auch ironische Distanz zur Realität, wie sie eben Pollesch oder Simon Stone betreiben. Und hoffentlich bald viele mehr.

Warum sind wir noch immer im kulturellen Freeze-Modus?

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Aufwachen, Dornröschen!