BÜHNE: Warum war es Dir wichtig, dieses Stück auf die Bühne zu bringen?

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Anja Sczilinski: Mir ist aufgefallen, dass muslimische Positionen im deutschsprachigen Theater nur selten eine Stimme bekommen. „Dschabber“ ist ein Stück, das diese Perspektive aufgreift. Das Stück selbst ist aus einem Forschungs-Projekt entstanden, in dem Studierende die Reaktionen auf Kopftuchträger*innen beobachtet und untersucht haben. Sie haben sich angesehen, ob Fragen und Vorurteile in den Gesichtern der Menschen abzulesen sind. Einige dieser Studienergebnisse sind in das Stück miteingeflossen.

Wie seid ihr an den Text herangegangen?

Wir mussten zunächst mit dem Autor und dem Verlag klären, ob es in Ordnung ist, wenn wir den Stücktext etwas abändern. Ich war aus diesem Grund von Anfang an mit Marcus Youssef in Kontakt und habe ihm auch gleich von der Idee erzählt, die Figur der Fatima nicht nur aus einem Blickwinkel, sondern aus vielen verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Schließlich sind mit der Entscheidung für oder gegen das Tragen eines Kopftuchs – des Hidschabs – unglaublich viele unterschiedliche Motivationen und Blickwinkel verbunden. Es kann freiwillig sein oder auf Zwang basieren, feministisch begründet sein oder eine Möglichkeit sein, die eigene Identität auszudrücken. Deshalb war es mir wichtig, die Figuren mehrfach zu besetzen und sie aus verschiedenen Perspektiven erzählen zu lassen. Marcus Youssef hat diesen Ansatz von Anfang an unterstützt.

Wir sind sehr reflektiert mit der Frage umgegangen, wer welche Geschichten erzählen darf.

Anja Sczilinski

Expertise und Selbsterfahrung

Inwiefern spielt das am Theater sehr präsente Thema der Repräsentation eine Rolle?

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Eine sehr wichtige. Wir sind sehr reflektiert mit der Frage umgegangen, wer welche Geschichten erzählen darf. Uns ist bewusst, dass mit Marcus Youssef ein Mann über das Tragen eines Kopftuchs geschrieben hat. Wir finden aber, dass er einen sehr guten Zugang zu diesem Thema hat und selbst war in seinem Leben häufig mit Identitätsfragen konfrontiert. Auch ich bin keine Muslima, beschäftige mich aber schon lange mit diesen Themen und habe mir für diese Inszenierung Beratung von Menschen geholt, die sich im Alltag noch sehr viel stärker damit auseinandersetzen.

Wie war es, diese Produktion gemeinsam mit dem Studioensemble zu machen? Wie viele junge Menschen haben sich beworben?

Rund 130 junge Menschen sind unserem Aufruf gefolgt. Es gab ein langes Auswahlverfahren, weil wir in ersten Workshops alle Bewerber*innen kennenlernen wollten. In diesem speziellen Fall hat für uns eine große Rolle gespielt, mit welcher Motivation sich die jungen Menschen für dieses Projekt beworben haben und welche Erfahrungen sie mit diesem Thema bereits gemacht haben. Selbst ein Kopftuch zu tragen, war zwar keine Voraussetzung, aber eine persönliche Form der Auseinandersetzung damit sollten sie mitbringen. Diese Expertise und Selbsterfahrung fließt zu einem großen Teil in den Inszenierungsprozess mit ein.  

Humor und Ehrlichkeit

War der Beginn der Probenarbeit bei einem solch komplexen und auch polarisierenden Thema von vielen Diskussionen geprägt?

Natürlich ging es immer wieder darum, wer wen auf der Bühne repräsentieren und spielen darf. Daraus sind viele Diskussionen und Debatten entstanden. Es ist ein Lernprozess, durch den wir gemeinsam durchgehen und bei dem wir immer wieder auf neue Erkenntnisse, aber auch Fragen stoßen. Weil wir vor allem zu Beginn sehr viel in Workshops gearbeitet haben, dabei von einer jungen feministischen Muslima begleitet wurden, ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit diesen Themen entstanden und bei jedem und jeder einzelnen sehr viel angestoßen worden. Ich halte es für unglaublich wichtig, Fragen zu stellen und sich immer wieder auch selbst zu befragen. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass wir uns auf viele Fragen seitens des Publikums vorbereiten müssen und uns auf einen regen und auch kritischen Austausch freuen.

Welche Rolle spielt Humor in dieser Inszenierung?

Humor ist sehr wichtig. Genauso wie eine große Portion Ehrlichkeit und die Vermittlung der Tatsache, dass Unwissenheit nicht schlimm ist – dass wir alle immer alles fragen dürfen. Dabei entstehen natürlich hin und wieder auch sehr lustige Fragen, auf die wir mit verschiedenen Ausdrucksmitteln Antworten zu finden versuchen. Außerdem sehen wir uns gerade an, inwiefern wir den Text selbst befragen können und vielleicht eine Kommentarebene in die Inszenierung einziehen möchten. Möglicherweise wird es Momente geben, in denen die Schauspieler*innen aus ihren Rollen heraustreten und selbst zu Wort kommen, weil sie sich die Frage stellen, ob und wie man das spielen kann. Auf diese Weise kommen versteckte und auch ungewollte Vorurteile zum Vorschein, die manchmal traurig und lustig zugleich sind. Glücklicherweise sind diese Figuren auch mit einem unbändigen Selbstbewusstsein und einer bestimmten Frechheit ausgestattet, sodass viele Situationen auch sehr viel Witz haben.

Zur Person: Anja Sczilinski

Bevor sie mit Martin Kušej von München nach Wien wechselte, leitete Anja ­Sczilinski das JUNGE RESI, die Kinder- und Jugendtheaterschiene des Münchner Residenztheaters, die sie auch mitaufgebaut hat. 

Zu den Spielterminen

Zu den Spielterminen von „Dschabber“ im Vestibül