Es war einer jener Momente, die man in dieser nonchalanten Pracht nur im Burgtheater erleben kann: eine Festvorstellung im Juni zu Ehren des 80. Geburtstags von Klaus Maria Brandauer. Aufgeheizte Stimmung, strahlende Gesichter, eine fast familiäre Atmosphäre unter den Zuschauern, als ob ein geschätzter, aber auch ein bisschen respektvoll gefürchteter Onkel Geburtstag hätte. 

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Brandauer rezitierte Thomas Bernhards „Minetti“-Monolog. Seine Stimme ist ein bisschen brüchiger geworden, aber die markante Modulation, der weiche Singsang, den KMB über fünf Jahrzehnte an diesem Haus zu seiner Stilsignatur modelliert hatte, war da. Während der Künstler, versunken in den bernhardschen Rhythmus und den Angstschwaden eines alten Provinzschauspielers vor dem Scheitern, den Köder nach dem Publikum auswarf, ließ man in seinem Inneren die Brandauer-Momente, die man seit Teenagertagen – ach Gott, ist das wirklich schon so lang her? – in diesem Haus erlebt hatte, Revue passieren: Brandauer als Tartuffe neben Senta ­Berger, im Matrosenanzug neben Erika Pluhar unter Hans Neuenfels in „Victor oder die Kinder an die Macht“, als neurotischer Dänenprinz Hamlet mit Elisabeth Orth im Part der Mutter, als toxischer Beziehungskrieger in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, als Cyrano und, und, und.

O ja, und natürlich die aller­erste Brandauer-Erinnerung: als Ferdinand mit der so schmerzlich vermissten Gertraud Jesserer in Schillers „Kabale und Liebe“. Danke an meine Mutter, die in mir mit unerschütterlicher Konsequenz das Theatervirus implantierte, von dem ich mich nie wieder erholen sollte. Möglicherweise wird man KMB nur mehr lesend erleben können, von neuen Rollen ist zur Zeit keine Rede. 

Man hat mit diesen Schauspieler*innen, die bei der Vergabe von Charisma ganz vorn gestanden sind, irgendwie über die Jahre auch in einer geistigen WG gelebt, sie waren Teil eines Kulturkonsumlebens.

Angelika Hager

Leise ist auch vor ein paar Saisonen eine andere Gigantin entschwunden: Kirsten Dene, die ohne Theaterdonner und Festvorstellungen der Bühne, nahezu unbemerkt, entglitten ist. Ähnlich zart im Abgang ist eine andere Ausnahmeerscheinung: Elisabeth Orth. Unwiderruflich verloren ist ein Gigant wie Peter Simonischek, und noch immer kann man nicht glauben, dass dieser baumlange  Mann mit dem so feinen Sinn für unterschwellige Komik nie wieder auf diesen Brettern stehen wird. 

Man hat mit diesen Schauspieler*innen, die bei der Vergabe von Charisma ganz vorn gestanden sind, irgendwie über die Jahre auch in einer geistigen WG gelebt, sie waren Teil eines Kulturkonsumlebens, so wie Bob Dylan, die Talking Heads, die Schimpftiraden von Thomas Bernhard, die Gedichte von Peter Turrini, die frühen Chansons von André Heller. Die Trauer über ihr langsames oder auch plötzliches Verschwinden hat durchaus auch egoistische Momente: Führen diese Abgänge einem doch auch die eigene Vergänglichkeit vor Augen. 

Aber ja, ein paar von denen, die einen zu Pilgerfahrten, ungeachtet von Regie und Stück, animieren, stehen in vollem Saft: Birgit Minichmayr, Maria Happel, Mavie Hörbiger, Caroline Peters, Nicholas Ofczarek, Michael Maertens und Joachim Meyerhoff. 

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Selbst in so einer naiv-flauen „Jedermann“-Insze­nierung wie der heurigen kann Michael Maertens den Laden hochrocken. Als Maertens mit Harald Schmidt heuer im „Schwimmenden Salon“ „Sonny Boys“ performte und die Vorstellung zwischen der Hektik von zwei „Jedermann“-Proben in gewohnter Güte absolvierte, sagte Harald Schmidt, vom Talent des Kollegen regelrecht geplättet: „Ich habe selbst fast vergessen zu spielen, weil ich ihm so gerne beim Spielen zugesehen habe.“ Dass Maertens mit dem heurigen Elisabeth-Orth-Preis der Freunde des Burgtheaters ausgezeichnet wird, ist nicht nur, sondern mehr als verdient.

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).