Es war einer dieser magischen Momente, die nur echte Live-Oper schafft: Da steht die größte Operndiva der Jetztzeit – Anna Netrebko – auf der Bühne, und nicht sie bekommt tosenden Zwischenapplaus, sondern der Mann rechts von ihr: Freddie De Tommaso, 28 Jahre jung. So geschehen in der Premiere von Barrie Koskys „Macbeth“. Wir befinden uns im vierten Akt. De Tommaso als Macduff schmettert die Arie „Ah, la paterna mano“, und das Haus beginnt zu toben. Anna Netrebko schaut kurz verblüfft und klatscht amikal mit.

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Wer ist der Mensch hinter der Stimme, die bereits im September 2020 als Pinkerton neben ­Asmik Grigorian begeisterte und erst seit Herbst neu im Ensemble der Wiener Staatsoper ist? Wie tickt der Mann, der so selbstverständlich auf die Bühne tritt, als hätte er nie etwas anderes gemacht? Der diese Gabe hat, die den Unterschied zwischen Mittelmaß und Star ausmacht: pure, authentische Präsenz und eine Stimme, die sich im Großhirn abspeichert unter: „endlich wieder dieses wunderbare italienische Timbre“.

In kurzer Hose vor der Oper

Das Internet ist bei der Suche nicht besonders aufschlussreich. Viñas-Tenor-­Contest-Sieger im Jahr 2018, Absolvent der ­Royal Academy of Music steht da, Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. 

Wer Freddie De Tommaso privat treffen will, kann darauf hoffen, dass er ihn in kurzer Hose und Trainingsshirt in der Sonne vor der Oper sitzend vorfindet. Eine amüsante Info, aber auch nicht sehr hilfreich für das Porträt. Also haben wir den jungen Tenor gebeten, uns seine Geschichte selbst zu erzählen. 

Der Papa kommt aus Apulien – das ist der Absatz des italienischen Stiefels – und wandert nach England aus. ­Verliebt sich dort in eine Ansässige, heiratet und eröffnet in Tunbridge Wells – einem kleinen Städtchen im Westen der Grafschaft Kent, auf halbem Weg zwischen London und dem Meer – das italienische Restaurant „Signore Franco“. 

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„Mein Vater hat Oper geliebt, er hat sie überall gehört, im Auto, im Restaurant und zu Hause, und er hat immer voller Leidenschaft mitgesungen, obwohl er es gar nicht konnte.“ Freddie De Tommaso grinst. Vor zehn Jahren stirbt der Vater, die Beziehung zu seiner Mutter und seinem Bruder wird dadurch noch enger.

Aber zurück zum Anfang: Bereits im Alter von vier Jahren wird seine Stimme entdeckt, „und wie es bei uns üblich war, kam ich in den Chor“. Er singt Sopran, die höchste menschliche Stimmlage, bis er mit fünfzehn in den Stimmbruch kommt „und dann Bass wurde“. Ein Jahr später – die Stimme nähert sich dem Bariton – beginnt er, Mozart zu singen. 

Ein echter Billie-Elliot-Moment

Mit achtzehn verlässt er die Schule, beginnt in Bristol ein Sprachstudium. „Für mich war das Singen vorbei. Ich wollte in den dortigen Chor, habe aber die Prüfung nicht bestanden.“ Im zweiten Studienjahr verlässt er die Uni und fängt an, im Familienrestaurant zu jobben. Er meldet sich bei seiner alten Gesangslehrerin. „Sie hat mich vorsingen lassen und gefragt, welchen Lehrer ich in den letzten beiden Jahren hatte.“ Wieder muss De Tommaso grinsen: „Ich sagte, ich habe geraucht, getrunken, Party gemacht und Rugby gespielt – aber kein Gesang.“

Kurze Zeit später darf er dem Head of Singing an der Royal Academy vorsingen. Freddie De Tommaso wählt Puccinis Arie „Questo amor, vergogna mia“. Er singt zwei, drei Takte. „Plötzlich stoppte der Mann und klappte mit einem Knall das Klavier zu, er schaute mich lange an und fragte: ‚Was machst du eigentlich gerade mit deinem Leben?‘ – ‚Ich arbeite im Restaurant meines Vaters!‘ Daraufhin meinte er nur: ‚Nein. Du fängst hier ab Montag deine Ausbildung an.‘ Das war’s.“

Es war hart. Man muss die Angst vor der Höhe der Stimme verlieren, aber es funktionierte."

Freddie De Tommaso

Ein echter Billie-Elliot-Moment. Eineinhalb Jahre später wechselt er von Bariton zu Tenor. „Es war hart. Man muss die Angst vor der Höhe in der Stimme verlieren, aber es funktionierte.“ 

Das ist übrigens erst sechs Jahre her. Freddie De Tommaso beendet sein Studium. „Es war rund um Weihnachten, und ich hatte nichts zu tun und traf eine Freundin, die mir erzählte, dass sie zum Viñas-Gesangswettbewerb im Gran Teatre del Liceu nach Barcelona fährt. Ich habe mich spontan entschlossen, auch hinzufahren, weil ich ja nichts zu tun hatte – und dann der Schock: Alle waren dort viel älter, erfahrener, außerdem hatte ich noch nie bei einem Wett­bewerb mitgemacht. Und plötzlich stand ich im Finale und gewann.“ Das war 2018. Zwei Jahre später erscheint sein erstes Album: „Passione“. Drei Jahre später ist er Publikumsliebling in Wien. A star is born. Fortsetzung folgt.

Zur Person: Freddie De Tommaso

Seine Karriere, ein Filmplot: Papa opernverrückter Italiener, der früh stirbt. Mama Engländerin. Der 28-Jährige studiert, arbeitet im heimischen Restaurant, kommt durch einen Billie-Elliot-­Moment zur Royal Academy. Weil ihm fad ist, meldet er sich bei einem Opern-­Wettbewerb an und gewinnt.

Zum Spielplan der Wiener Staatsoper