In „City of Diaspora“ nimmt sich Stefanie Sourial gemeinsam mit den Performer:innen Hyo Lee, Faris Cuchi Gezahegn und Sunanda Mesquita der Frage an, wie es sich anfühlt in einer Zwischenwelt zu leben. Wie es ist, sich an Dinge zu erinnern, die man gar nicht erlebt hat, und Gerüche zu vermissen, die man eigentlich nur aus Beschreibungen kennt. Allgemeingültige Antworten auf diese Fragen möchten die Performer:innen jedoch nicht liefern – denn die gibt es auch nicht. Mithilfe von Beschreibungen wird es jedoch möglich, bislang unsichtbare Gefühlswelten sichtbar zu machen. Deshalb wurden für dieses Stück diasporische, in Wien lebende Kunstschaffende dazu eingeladen, Kurzgeschichten in fantastisch-utopischer Erzählform zu schreiben, die ihre eigenen Erfahrungen verhandeln. Sie bilden die Basis der einzelnen Episoden von „City of Diaspora“.

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Die Aufführung von „City of Diaspora“ im brut musste aufgrund der Pandemie auf den 3. Februar 2022 verschoben werden

Wie ist die Idee zu „City of Diaspora“ entstanden?

Die Idee keimte schon länger in mir, aber es passiert mir häufig, dass mich ein Thema zwar sehr beschäftigt, ich mir dann aber trotzdem die Frage stelle, ob es für ein ganzes Stück reicht. Bei diesem Stück war es so, dass es immer dann zu kleinen Initialzündungen kam, wenn ich mit Menschen gesprochen habe, die selbst in der Diaspora leben. So habe ich mich immer mehr und eher unbewusst auf das Thema eingelassen. Besonders wichtig für meine Arbeit war der Begriff „Zwischenwelt“, der in diesen Gesprächen immer wieder gefallen ist. Also das Gefühl, nirgendwo so richtig hinzugehören. Auf Basis dieser Begegnungen und meiner eigenen Erfahrungen mit dem Thema, wurde mir klar, dass ich diese Zwischenwelt sichtbar machen möchte. Weil sie aber vor allem eine Gefühlswelt ist, ist das mit den Mitteln der Repräsentation nicht ganz einfach.

Wie haben Sie sich dieser Herausforderung angenähert?

Erstmal ist es für die Menschen selbst eine große Herausforderung, weil sie sich beispielsweise an Dinge erinnern, die sie nie erlebt haben. Oder etwas vermissen, das sie nie gekannt haben. Diese Geschichten selbst zu erzählen, hat etwas Selbstermächtigendes. Es entsteht das Gefühl von Kontrolle über die eigene Lebenserzählung. Dem geht in der Regel eine Form von Kontrollverlust voraus, weil diese Geschichten schon so oft aus einer dominanten, zentraleuropäischen Perspektive erzählt und aufgeschrieben wurden. Natürlich gab es in diesem Zusammenhang auch für uns einige Herausforderungen. Wir haben uns zum Beispiel sehr schnell die Frage gestellt, wie sich das Phänomen einer Stadt in der Stadt auf einer Bühne darstellen lässt.

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„Filmische" Herangehensweise

Wie hat die Lösung dann ausgesehen?

Ich versuche, die Dinge immer so klar und buchstäblich wie möglich darzustellen. Auch wenn anhand des Bühnenbildes keine bestimmte Stadt erkennbar wird, sollte trotzdem schnell klar sein, worum es geht. Auch in meinen Performances arbeite ich nicht abstrakt, sondern möchte die Menschen im Publikum wirklich abholen.

Würden Sie sagen, dass sich diese Herangehensweise durch Ihr gesamtes Werk zieht?

Es ist schon eine Konstante geworden. Auch in „Colonial Cocktail“, der Arbeit davor, war mir diese Klarheit ein großes Anliegen. In diesem Stück habe ich versucht, die Kolonialgeschichte verschiedener alkoholischer Getränke aufzuarbeiten. Es ist natürlich einfacher, Stücke auf diese Art und Weise umzusetzen, wenn es sich dabei um historische Stoffe handelt. Kurz zusammengefasst, würde ich meine Herangehensweise also als „filmisch“ beschreiben. Ich denke also auch auf der Bühne in Schnitten. Das rührt vielleicht auch daher, dass ich ein großer Fan von Blockbuster-Filmen bin. Ich glaube, dass man durch diese Erzählform leichter an den Inhalt herankommt.

Gibt es noch andere rote Fäden?

Ich arbeite gerne mit historischen Themen und gesellschaftspolitischen Kontexten, aber auch mit Ansätzen aus der Wissenschaft. Ein roter Faden ist auch immer die Musik. Sie spielt in meinen Stücken eine wesentliche Rolle. Auch hier sind es oft Elemente aus dem Bereich der Filmmusik, die ich in meinen Stücken verwende. Aber es kommt auch vor, dass ich andere Leute darum bitte, die Musik zu machen. Inhaltlich begeistere ich mich außerdem sehr für Science-Fiction. Ich liebe es, wie durch fiktionales Erzählen realen Inhalten eine neue Ebene übergestülpt wird.

Vom Persönlichen ins Politische

Hat sich Ihre eigene Perspektive auf die Diaspora durch diese bestimmt sehr intensive Auseinandersetzung im Rahmen des Stückes verändert?

Auf jeden Fall. Dieser Prozess ist auch noch längst nicht abgeschlossen, denn ich habe jeden Tag solche Momente. Gleichzeitig macht es mich auch jeden Tag unsicherer, weil immer deutlicher wird, wie viel größer das Thema eigentlich ist als am Anfang vorherzusehen war. Auch was die eigene Identität angeht, entstehen durch die persönlichen Geschichten, auf denen dieses Stück basiert, ständig neue Blickwinkel. Und auch performativ hat mein Team Dinge ins Stück gebracht, an die ich vorher nie gedacht hätte. Dafür bin ich meinem Performance- und Videoteam, bestehend aus Faris Cuchi Gezahegn, Hyo Lee und Sunanda Mesquita, auch unglaublich dankbar. Aber auch Sushila Mesquita, Janine Jembere und Mara Verlič, die mich bei Recherche und Dramaturgie unterstützt haben. 

Müssen Theater und Performance für Sie politisch sein?

Ja. Früher hätte ich es vielleicht nicht so deutlich ausgesprochen, aber heute würde ich schon ganz klar sagen, dass es in meiner Arbeit auch um eine politische Verantwortung geht. Obwohl in „City of Diaspora“ sehr persönliche Geschichten erzählt werden, hoffe ich vermitteln zu können, dass das Persönliche immer auch politisch ist. Die Inhalte entstehen aus persönlichem Erleben, sollen aber ins Politische übergehen. Deshalb versuche ich auf der Bühne auch nie von mir als Person zu sprechen, sondern möchte eine Art Plattform schaffen, auf der viele Menschen Anknüpfungspunkte finden. Trotzdem ist das persönliche Erleben immer ein Startpunkt.

Zukünftige Projekte

Können Sie schon etwas über kommende Projekte verraten?

Natürlich hängt sehr viel davon ab, ob und wann es erste Öffnungsschritte geben wird. Ich habe aber bereits ein neues Stück mit dem Arbeitstitel „New Endings“ im Kopf. Es wird darin um die Aufarbeitung verschiedener Traumata gehen. Auf der Bühne treten wir als Gottheiten aus verschiedenen Kunstrichtungen auf, erzählen unsere Geschichten, erfinden aber immer ein neues Ende dazu. Die Idee ist aus meinen eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung entstanden. Genauer gesagt aus Situationen, in denen man die andere Person gerne total aus der Reserve gelockt hätte, es aber nicht getan hat. Oft geht man aus diesen Situation heraus und macht sich dann Gedanken darüber, wie man gerne reagiert hätte. Das Stück soll diesen „new endings“ Raum geben.

Zur Person: Stefanie Sourial

Wurde 1981 geboren, arbeitet als Performancekünstlerin und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2001/2002 leitete sie Theaterworkshops mit obdachlosen Jugendlichen in Kairo, Ägypten. Als Absolventin der Internationalen Schule für Theater Jacques Lecoq in Paris kreiert Sourial ihre eigenen Soloprojekte: u.a. FREAK (2014/15), die Performance-Trilogie Colonial Cocktail (2019) und die neue Produktion City Of Diaspora (2021) in Koproduktion mit brut Wien. Seit 2012 arbeitet Sourial mit der mehrfach preisgekrönten Kompanie „Theater Ad Infinitum“ in Großbritannien. Seit 2009 kollaboriert sie regelmäßig gemeinsam mit in Wien lebenden Performance Künstler*innen. So war sie u.a. Teil des ersten Wiener queer-feministischen Burleskkollektivs Club Burlesque Brutal (2009–2015) und tritt seit 2017 regelmäßig beim PCCC* – Political Correct Comedy Club  auf.

Weitere Infos zum Stück finden Sie auf der Seite des brut