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Neuer Look für Zuhause: Experten-Tipps für individuelle Wohnstile und warum jetzt »die beste Epoche ist«

LIVING Salon
Interview

Wie wohnen wir heute? Wo stehen wir wohnkulturell und gesellschaftlich? Interior-Designer Denis Košutić, Farbkonsulentin Pia Anna Buxbaum und Wohn­accessoire-Profi Lore Sander diskutieren im LIVING Salon, wie sich unser Verständnis von Wohnkultur verändert hat. Doch nicht nur das: Sie verraten, welchen Raum sie unbedingt einmal gestalten möchten und bei welchen Projekten sie ganz klar Nein sagen würden.

Neuer Grundriss, neue Möbel, neue Wohnaccessoires: Die Möglichkeiten, sich in den eigenen vier Wänden einen Tapetenwechsel zu verpassen,  sind vielfältig. Doch der Wohnstil ist nicht nur individueller Ausdruck, sondern unterliegt auch Moden, Kulturen und politischen Rhythmen. Ein Gespräch mit Denis Košutić, Interior-Designer in Wien, Pia Anna Buxbaum, Expertin für Farbwirkungen, und Lore Sander, Gründerin von Habari, verraten im Living Salon, wie man mit Farben, Mustern und Accessoires Räume neu belebt.

LIVING: Zwischen gepflegter Beständigkeit und kreativem Chaos? Was für ein Typ sind Sie?

Denis Košutić: Ich bin ein Mensch der Beständigkeit. Veränderung lasse ich eher selten zu. Und Chaos mag ich sowieso nicht, ich spreche lieber von einer kreativen Struktur.

Lore Sander: Das Leben ist ein Kontinuum, ständig im Fluss. Das Chaos ist so gesehen ein wesentlicher Teil der Beständigkeit. Ich denke, ich bin beides.

Pia Anna Buxbaum: Ich wiederum brauche ein gewisses Chaos. Ich verändere oft meinen Arbeitsplatz, sitze mal da, mal dort, und freue mich, wenn ich meine
Perspektive auf die Welt verändern kann.

Wann haben Sie in Ihrem Leben das letzte Mal alles auf den Kopf gestellt?

Sander: Vor drei Monaten. Mein Mann und ich sind umgezogen. Die Wohnung ist etwas kleiner als zuvor, wir mussten uns von einigen Dingen trennen, alles neu! Wunderbar!

Buxbaum: Ich habe vor zwei Jahren mein Atelier aufgegeben und arbeite vom Home-Office aus. Das bringt mir mehr Freiheit für längere Ortswechsel. košutić Ich liebe es zwar, wenn meine Kundinnen und Kunden sich verändern, aber ich selbst tue mir schwer damit. Mein letzter großer Wechsel ist schon viele Jahre her. Und, Frau Sander, im Gegensatz zu Ihnen trenne ich mich ganz, ganz schwer von Dingen!

Sander: Sie sind ja auch noch etwas jünger als ich. Wenn einen ein Gegenstand schon seit 40 Jahren begleitet, dann kann man auch sagen: Danke, schön war’s, auf Wiedersehen!

Košutić: Weiß nicht, das überzeugt mich noch nicht ganz. Wohnen war ursprünglich ein Grund­bedürfnis von Sicherheit, Witterungsschutz und Sesshaftigkeit, die vor etwa 12.000 Jahren begonnen hat.

Seit wann hat Wohnen auch etwas mit Schönheit und Lebenskultur zu tun?

Sander: Das hat eigentlich schon lange davor begonnen! Auch in frühzeitlichen Kulturen wussten die Menschen, wie sie ihre Häuser, ihre Höhlen schmücken und wie sich atmosphärisch einrichten. Da reicht schon ein kurzer Blick in die Höhlen von Lascaux.

Buxbaum: Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass der Mensch die Fähigkeit hat, sich selbst zu reflektieren und ein Bewusstsein für Schönheit zu haben. Sich mit Schönheit zu umgeben, ist ja letztendlich auch ein Akt der Wertschätzung sich selbst gegenüber.

Sander: Und das hat wirklich schon vor Zigtausenden Jahren begonnen. Speere, Werkzeuge, Lederbeutel wurden immer schon mit viel Aufwand dekoriert und auf diese Weise individualisiert.

Wann haben die Menschen begonnen, sich bewusst mit Farbe, Tapeten, Textilien, Ornamenten, Kunst, Kunsthandwerk und Wohnaccessoires zu umgeben?

Košutić: Ich bin zwar kein Kunsthistoriker, aber wenn ich mir die Villen und Hofhäuser der griechischen und römischen Antike anschaue, dann ist diese Einrichtungskultur viel älter, als die meisten glauben.

Sander: Und die Schönheit war nie Selbstzweck. Egal, ob in der Antike oder schon im frühgeschichtlichen Afrika, der Wiege
er Menschheit: Der Schmuck des eigenen Hauses war immer auch ein sozialer Akt des Miteinanders.

Košutić: Und ein Ausdruck des sozialen und wirtschaftlichen Status! Bei alledem, wovon wir hier sprechen, darf man nicht vergessen, dass das nur einen kleinen Teil
der Menschheit widerspiegelt. Wir wissen im Rückblick, wie die Mächtigen und Wohl­habenden gewohnt haben, denn ihre Kultur ist überliefert. Wie Römer und Griechen in prekären Verhältnissen gelebt haben, wissen wir nicht wirklich.

Gibt es eine Epoche, zu der Sie sich besonders hingezogen fühlen?

Buxbaum: Mich interessieren die Übergangszeiten, die Momente der Veränderung. Ich bin ja eine Spezialistin für Farbe, insofern gilt dem auch meine größte Aufmerksamkeit, und für mich persönlich ist der Zeitpunkt um 1900 spannend, weil sich die Farben da selbstständig gemacht haben, als sie nicht mehr die Realität und Natürlichkeit abgebildet, sondern im Expressionismus begonnen haben, Gefühle und Stimmungen auszudrücken. Sander Die beste Epoche ist jetzt!

Warum jetzt?

Sander: Weil wir heute in einer Zeit der Befreiung und der freien, individuellen Wahl leben. Alles löst sich auf, alles ist möglich. Und das finde ich beflügelnd. košutić Dem kann ich mich nur anschließen. Ich finde die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit faszinierend. Aber auch ein bisschen gefährlich. Den schnellsten Rhythmus, was heute in und trendig ist und morgen schon out, gibt uns die Mode vor, und manchmal habe ich das Gefühl, dass die Architektur diesem schnellen Tempo folgt und nacheifert – nicht zuletzt dank den sozialen Medien, die heute das Tempo vorgeben.

Bleiben wir in der Gegenwart: Wie wohnen wir heute? Wo stehen wir heute wohnkulturell und gesellschaftlich?

Buxbaum: Ein großes Phänomen der heutigen Zeit sind das Bewusstsein für Wohnen, die Wertigkeit der Wohnkultur und auch das Näherrücken von Wohnen und Arbeiten – auch als Folgeerscheinung all der Krisen in den letzten Jahren. Das Arbeiten spielt nun ins Wohnen hinein, im Büro wiederum sehnen sich die Menschen nach einer wohnlichen Gemütlichkeit. Manche Büros schauen aus wie Wohnzimmer und Hotellobbys, und das ist kein Zufall.

Sander: Ich merke, dass viele Menschen heute mehr finanzielle Engpässe haben als früher, dass sie sich erst viel später – nach dem Studium oder erst während der ersten Arbeitsjahre – eine Wohnungseinrichtung leisten können. Und so sind sie in der Individualisierung und persönlichen Aneignung der Wohnräume zunächst einmal auf kleinere, günstigere Mittel angewiesen –auf Accessoires.

Zum Beispiel?

Sander: Kleine Dinge, die relativ günstig in der Anschaffung sind, aber einen großen emotionalen Wert entwickeln können. Zum Beispiel ein Korb, eine Kuscheldecke oder eine hübsche Matcha-Teeschale. Sozusagen »the beauty of everyday things«.

Lore Sander studierte Grafikdesign und Organisations- und Betriebspsychologie und arbeitete lange als Grafikerin und Art-Director in München. 1997 gründete sie mit ihrem Mann Werner Pilz das Geschäft Habari, das auf Textilien, Korbwaren, Keramik und Handwerkskunst aus Afrika und Japan spezialisiert ist – mit zwei Filialen in 1060 und 1070 Wien. habari.at

Lore Sander studierte Grafikdesign und Organisations- und Betriebspsychologie und arbeitete lange als Grafikerin und Art-Director in München. 1997 gründete sie mit ihrem Mann Werner Pilz das Geschäft Habari, das auf Textilien, Korbwaren, Keramik und Handwerkskunst aus Afrika und Japan spezialisiert ist – mit zwei Filialen in 1060 und 1070 Wien. habari.at

Denis Košutić studierte Architektur an der Universität Zagreb und an der TU Wien. 2002 gründete er sein eigenes Label für Innenraumgestaltung und Interior-Design.  Er ist ein Freund von kräftigen Farben und gewagten Mustermixes und entwickelt 
Interior-Konzepte im Bereich Wohnen, Hotel, Office, Gastronomie und Retail, u. a. House of Strauss, Casino Kulinarium und Boston 
Consulting Group. deniskosutic.com

Denis Košutić studierte Architektur an der Universität Zagreb und an der TU Wien. 2002 gründete er sein eigenes Label für Innenraumgestaltung und Interior-Design. Er ist ein Freund von kräftigen Farben und gewagten Mustermixes und entwickelt Interior-Konzepte im Bereich Wohnen, Hotel, Office, Gastronomie und Retail, u. a. House of Strauss, Casino Kulinarium und Boston Consulting Group. deniskosutic.com

Pia Anna Buxbaum studierte Architektur und machte bei der International Association of Color Consultants (IACC) eine Ausbildung zur Color-Designerin. Seit 2002 erstellt sie Farb- und Materialkonzepte für die Bereiche Wohnen, Arbeiten, Gesundheitsimmobilien und öffentlicher Stadtraum. 2017 initiierte sie das Qualifizierungsnetzwerk Gebäudesoftskills an der Donau Universität Krems. Projekte u. a. für Caritas, 
Kolping, VinziRast und Uniqa. archicolor.at

Pia Anna Buxbaum studierte Architektur und machte bei der International Association of Color Consultants (IACC) eine Ausbildung zur Color-Designerin. Seit 2002 erstellt sie Farb- und Materialkonzepte für die Bereiche Wohnen, Arbeiten, Gesundheitsimmobilien und öffentlicher Stadtraum. 2017 initiierte sie das Qualifizierungsnetzwerk Gebäudesoftskills an der Donau Universität Krems. Projekte u. a. für Caritas, Kolping, VinziRast und Uniqa. archicolor.at

Welche Unterschiede gibt es zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West, zwischen Österreich und dem Rest der Welt?

Košutić: Man hat in Österreich heute deutlich weniger Angst als früher, wenn es um Farbe, Ornament und individuellen Ausdruck geht.

Sander: Wirklich? Das überrascht mich zu hören!

Košutić: Doch, doch. Ich kann mir das Phänomen auch nicht erklären, aber auf jeden Fall sind die Österreicher in der Planung ihres Wohnens heute viel aufgeschlossener. Zumindest ist das unter meinen Kund:innen der Fall.

Buxbaum: Ich wiederum beobachte, dass das Bewusstsein für Materialien zugenommen hat. Früher waren Menschen oft mit Holz­optik zufrieden, das reicht heute nicht mehr. Wir sprechen nun über Echtholz und über Oberflächen-Finishes wie geölt, lackiert oder gebleicht. Wohnen ist ja nicht nur Ausdruck persönlichen Geschmacks, sondern auch ein gesellschaftlicher Gradmesser. In wirtschaftlichen und gesellschaft­lichen Hochblüten trauen sich die Menschen mehr: Sie kleiden sich extravaganter, ernähren sich experimenteller und probieren auch im Wohnen gerne neue Dinge aus. In Krisen und Rezessionen hingegen neigen die Menschen zu Klassik, Tradition und Comfort-Food.

Wie wirkt sich das im Wohnen aus?

Sander: Ich kenne Studien aus dem Kunst­bereich, die herausgefunden haben, dass Menschen in Krisenzeiten häufiger romantische gegenständliche Landschaften kaufen. Ich denke, so ähnlich wird das auch im Wohnen sein. Buxbaum Ja, gerade in Krisenzeiten ist die Wohnung ein Rückzugs- und Wohlfühlraum. Hoch im Kurs stehen dann gemütliche Möbel in warmen, angenehmen Farben. Ich merke das beispielsweise auch, wenn ich ein Leit- und Orientierungssystem für ein Gebäude entwickle. In Zeiten der Krise wünschen sich die Auftrag­geber:innen definitiv wärmere Farben und konkretere, gegenständliche Motive. In Krisenzeiten sehnen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes nach einer guten Orientierung.

Wie ist das im hochpreisigen Wohnsegment?

Kosutić: Das kann ich nicht vereinheitlichen. Ich denke, Ängste, Wünsche und Hoffnungen sind so mannigfaltig wie die Menschen selbst. Ich könnte anhand der Anfragen und Aufträge der letzten Jahre jetzt nicht behaupten, dass die Menschen heute grundsätzlich andere Wohnvorstellungen haben als vor all diesen
Krisen, in denen wir heute stecken.

Wenn wir uns nun dem Tapetenwechsel widmen: Welche Möglichkeiten gibt es, sich zu erneuern und dem Wohnen eine Frischekur zu verpassen?

Sander: Manchmal reicht es schon, eine Matcha-Teeschale mit einem schönen Furo­shiki-Geschenktuch auf eine Ablage zu stellen – und schon hat man ein ganz anderes Ambiente.

Buxbaum: Oder neue Wandfarben, neue Tapeten, neue Textilien. košutić Ich schöpfe gerne aus dem Vollen. Ich verändere Räume für Menschen. Die meisten Kund:innen kommen nicht mit einem kleinen Anliegen zu mir, sondern wollen alles komplett neu, und zwar von Grund auf.

Sie decken alles ab?

Košutić: Ja, am liebsten mache ich alles von A bis Z. Von der Analyse des Wohnverhaltens, vom Duschen und Zähneputzen in der Früh über die Erstellung eines Entwurfskonzepts bis hin zum allerletzten Zierkissen auf der Couch.

Wie lange dauert so ein Prozess?

Košutić: Bei kleineren Wohnungen ein halbes Jahr, wenn es schnell gehen muss. Bei größeren Wohnungen und Einfamilienhäusern entsprechend länger. Es ist eine wirklich inten­sive Bauherren-Architekten-Beziehung, die in dieser Zeit entsteht. Entsprechend groß sind die Möglichkeiten der Erneuerung. Kommen wir zum nächstkleineren Maßstab: Farben, Tapeten, Oberflächen. Buxbaum Ich habe einen spannenden Job, denn ich decke ein recht großes Spektrum ab – von der Neugestaltung einer Wohnung im Privatbereich über Büros und Arztpraxen bis hin zu Farb- und Materialkonzepten für ganze Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Manchmal reicht es, einfach nur eine Wand in einer anderen Farbe zu streichen, und schon erscheinen die Zimmer, Möbel und Bilder an der Wand ganz anders – wie neu.

Greifen Sie lieber zu Farben oder zu Tapeten?

Buxbaum: Ich mag tatsächlich die Kombination der beiden Medien, abhängig von der Raumgeometrie und der Größe der Wandflächen.Nicht zu vergessen, dass man darüber hinaus auch mit Spachteltechniken und Oberflächenveredelungen arbeiten kann. Das Panorama der Möglichkeiten ist wirklich riesig.

Sander: Und ich kann mir vorstellen, dass eine gute Gestaltung am Ende auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, oder?

Buxbaum: Natürlich! Die Leute haben eine bessere Orientierung, finden sich schneller zurecht und werden – wie im Falle eines Krankenhauses – erwiesenermaßen auch schneller gesund. Und Mitarbeiter:innen bleiben gesund.

Frau Sander, Sie betreiben zwei Geschäfte für Wohnkultur, eines mit afrikanischem Schwerpunkt, eines mit japanischem Schwerpunkt. Warum gerade diese beiden Kulturkreise?

Sander: Weil diese beiden Kulturkreise sehr intensiv mit Haptik, Komfort und Naturmaterialien arbeiten. Afrika – das berührt die Seele und stellt einen intensiven Kontakt zu den Naturgewalten her, und das spürt man auch in den Kleinmöbeln und Wohnaccessoires. Japan wiederum – das ist gepflegte und zelebrierte Ästhetik, mit meist minimalistischen Mitteln, dafür aber auf allerhöchstem Niveau. Und das wissen die Menschen zu schätzen.

Welche Tipps und Tricks können Sie Ihren Kund:innen mit auf den Weg geben?

Sander: Trauen Sie sich! Finden und erfinden Sie sich neu, auch mit neuen Farben und Tapeten im Raum! Im schlimmsten Fall kann man ja wieder drüberstreichen, wenn es einem nicht mehr gefällt.

Buxbaum: Sobald sich ein Raum verändert, verändert es auch den Menschen, der sich darin bewegt. Das kann eine schöne Erfahrung sein. košutić Ich bin davon überzeugt, dass uns Räume formen und unser Verhalten beeinflussen.

Zum Abschluss: Welchen Raum würden Sie gerne einmal gestalten?

Košutić: Einen Shop mitsamt Corporate-Design für eine internationale Fashion-Brand.

Buxbaum: Einen spirituellen, tröstenden, überkonfessionellen Raum.

Sander: Ein Hausboot. Ich liebe Wasser!

Und welches Projekt würden Sie ablehnen?

Sander: Einen religiösen Raum. Religion ist Privatsache, da will ich mich nicht einmischen.

Buxbaum: Einen rein auf Umsatzsteigerung hin konzipierten Verkaufsraum.

Košutić: Einen Raum, in dem man einem Menschen wehtun würde.

Erschienen in
LIVING 08/2024

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Wojciech Czaja
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