Expert:innentalk: Was mache ich mit meinem Zinshaus?
Für viele Menschen sind sie eine alte, unattraktive Bürde. Doch mit etwas Kenntnis und Feingespür ergeben sich viele Möglichkeiten im Umgang mit Zinshäusern – von Verkauf über Sanierung bis hin zu Contracting-Modellen. Architekt Daniel Hora, Immobilienentwickler Daniel Jelitzka und Kunsthistorikerin Marion Krammer sprechen über die Vielfalt der Handlungsspielräume.
Titelbild: Der Gründerzeit auf der Spur: Marion Krammer (l.), Architekturhistorikerin und Geschäftsführerin der Agentur wesearch, Daniel Jelitzka (Mitte), Geschäftsführer von JP Immobilien, und Daniel Hora (r.), Gründer von Megatabs Architekten, im Stiegenhaus des Telegraf 7.
LIVING Wie ist denn Ihre persönliche Wohnsituation?
Marion Krammer Ich wohne in einem Neubau im 15. Bezirk, und zwar in einem Dachgeschoß von Coop Himmelb(l)au. Ich mag die Räume, die Atmosphäre, den Blick auf die Wiener Dachlandschaft.
Daniel Jelitzka Ich wohne an genau dieser Schnittstelle von Alt und Neu. Unter mir ein klassisches Zinshaus, wir wohnen in einem Dachgeschoß mit 3,30 Meter Raumhöhe. Ich bin ein bekennender Altbau-Aficionado, und ich habe mich sehr darum bemüht, die ganz spezifischen Altbau-Qualitäten wie etwa Raumhöhe, Atmosphäre und Grundriss-Flexibilität im Dachgeschoß fortzusetzen.
Daniel Hora Ich wohne in einem Altbau, und zwar in einem offenen, loftartigen Grundriss, einfach großartig! Ich mag den Charme, die Patina, den ganz besonderen Geruch, den ein Altbau verströmt. Das vermisse ich in Neubauten.
Es gibt auch tolle, hochwertige Neubauten!
Hora Natürlich! Das ist unser Job.
Krammer Es gibt wirklich großartige Neubauten, die alles andere als minderwertig und gesichtslos sind. Ich bin ein großer Fan zeitgenössischer Architektur. Auf den klassischen Wohnbau gewerblicher Bauträger – vollgepfercht mit Anlagewohnungen – trifft das meist nicht zu.
Hora Manchmal hilft es schon, den Eingangsbereich großzügig zu gestalten und in den öffentlichen Allgemeinräumen schöne, hochwertige Materialien einzusetzen, um den Menschen eines Hauses mit Respekt zu begegnen.
Jelitzka Das machen wir in unseren Projekten fast immer. Zweigeschoßige Lobby, Stein, Kacheln, Spiegel, Luster, eine Sitzmöglichkeit. Es braucht so wenig, und schon hat man Schönheit geschaffen. Man braucht halt nur ein Sensorium dafür.
Die meisten Städter:innen wohnen in einem klassischen Zinshaus. Was genau versteht man eigentlich darunter?
Krammer Architekturgeschichtlich verstehen wir Historiker:innen darunter Altbauten, erbaut zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und Erstem Weltkrieg. Wien wuchs in dieser Zeit enorm. Mit den Zinshausbesitzer:innen veränderten sich die immobilienwirtschaftlichen Strukturen komplett.
Inwiefern?
Krammer Im Rückblick kann man sagen: Ohne das Zinshaus würde es die Großstadt in ihrer heutigen Form nicht geben. 90 Prozent aller Wiener:innen haben damals zur Miete gewohnt. Das Zinshaus war so gesehen – erstmal in der Geschichte – ein rein privatwirtschaftlich errichtetes Objekt, das einzig und allein auf Vermietung ausgerichtet war. Dieses ganz spezifische Modell konnte einen Großteil des Wohnungsbedarfs abfedern.
Hora Es ging aber nicht nur ums Wohnen, sondern auch um Gewerbe, um Verkauf, um Kleinindustrie aller Art. Dadurch hat das Zinshaus massiv zur Belebung und funktionalen Durchmischung der Stadt beigetragen. Im Laufe der Geschichte, denke ich, gab es keine andere Bautypologie, die so flexibel und funktionsoffen war wie das Zinshaus.
Herr Jelitzka, mit Ihrem Unternehmen JP Immobilien sind Sie unter anderem auf das Aufkaufen und Aufwerten von Zinshäusern spezialisiert. Wie groß ist der Zinshaus-Anteil in Ihrem Portfolio?
Jelitzka In all den Jahren, seitdem wir tätig sind, ist unser Zinshaus-Portfolio auf zwischendurch rund 150 Häuser angewachsen. Das ist sehr viel. Man muss aber auch bedenken: Laut aktuellem Zinshausreport gibt es in Wien an die 13.000 Zinshäuser. Zinshäuser zu halten, zu pflegen und zu ertüchtigen – und das bei gedeckelten Mieten, die dem Richtwertmietzins unterliegen –, ist ein hartes Geschäft und braucht Profis. Nur dann macht es wirtschaftlich auch wirklich Sinn.

Die Forscherin. Marion Krammer ist Architekturhistorikerin und beschreibt ihre Tätigkeit als History Marketing.
Im Auftrag von Bauträgern und Immobilien--entwick-ler:innen erkundet sie die Geschichte gründerzeit-licher Zinshäuser – und befördert so manch exotisches Detail an die Oberfläche. wesearch-agentur.at

Der Sanierer: Im Laufe der letzten 28 Jahre hat Daniel Jelitzka schon Unmengen von Zinshäusern saniert und aufgewertet. Inzwischen ist das Zinshaus-Portfolio auf 150 Objekte in Wien angewachsen. In rund fünf Prozent der Fälle entscheide er sich für Abbruch und Neubau, sagt er. jpi.at
(c) Johannes KernmayerWelche Möglichkeiten der Substanzerhaltung und Substanzverbesserung gibt es denn?
Jelitzka Sanieren, umbauen, aufstocken, erweitern und so weiter. JP Immobilien tritt immer öfter auch als Generalunternehmer auf, um im Auftrag eines Eigentümers Zinshauswohnungen umzubauen und zu sanieren. Oder aber wir fungieren als Generalübernehmer und bauen das ganze Zinshaus um – meist inklusive Dachgeschoßausbau und Tiefgarage.
Eine Ihrer Werbe-Kampagnen, die in Wien häufig zu finden sind, lautet: »Wir kaufen Ihre Immobilie! Sie genießen Ihr Leben!«
Jelitzka Die Anforderungen an ein gutes Immobilienmanagement werden immer höher. Für viele Grundstückseigentümer:innen ist das Halten von Zinshäusern zur Belastung geworden. Genau hier kommen wir ins Spiel: Wir steigen genau dort ein, wo der ehemalige Eigentümer ausstiegen will.
Ist die Kampagne erfolgreich?
Jelitzka Ja, wir nehmen das Thema sehr ernst. In normalen Jahren erwerben wir im Schnitt rund 30 Zinshäuer pro Jahr, derzeit jedoch deutlich weniger.
Krammer Mich würde interessieren, nach welchen Kriterien Sie an eine Sanierung herangehen. Wo bekommen Sie die Infos her, wie recherchieren Sie die Details zum Haus?
Jelitzka Wir schauen uns Pläne und Fotografien an und begeben uns auf die Suche nach alten Türen, Lustern, Plaketten, Zementfliesen und Bassena-Becken, die wir in die Häuser einbauen.
Hora Gerade, wenn man ein historisches Zinshaus saniert, sind es oft diese kleinen, feinen Details, die es ausmachen. Ein bisschen Patina, ein bisschen Geschichte, ein paar authentische Versatzstücke von damals helfen dabei, den Charme eines alten Zinshauses trotz Sanierung zu bewahren.
Was wir bis jetzt ausgespart haben, ist das Thema Abbruch und Neubau.
Jelitzka Von 100 Projekten, die wir angehen, sind es vielleicht fünf, bei denen wir uns für einen Abriss entscheiden – und das auch nur dann, wenn die Substanz schwächelt, wenn das Haus mehr oder weniger leer und ohne Mietverträge ist, und wenn die Bebauungsbestimmungen vor Ort mit einer Neubebauung eine deutlich höhere Wirtschaftlichkeit erwarten lassen.
Wie geht es Ihnen beiden, wenn Sie in der Stadt wieder einmal eine Baulücke sehen?
Krammer Eigentlich gut! Baulücken und permanente Erneuerung sind Teil einer städtischen Identität. Karl Kraus meinte damals: »Wien wird zur Großstadt demoliert.« Auch die gründerzeitliche Stadt, die wir heute so schätzen, ist letztendlich Resultat von Abbruch und Neubau.
Hora Die Stadt darf keine Käseglocke sein. Veränderung, Austausch der Bausubstanz und ein sich wandelndes Bild im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sind wichtige Parameter für städtische Lebendigkeit. Wenn diese Veränderung nicht passiert, dann wird die Stadt zu einem toten Museum. Beispiele dafür gibt es in Europa zur Genüge. Das will niemand.
Worauf ist zu achten, wenn man abbricht und neu baut?
Hora Dass die Qualität, die nachkommt, mindestens der Qualität des abgebrochenen Hauses entspricht. Im Idealfall sollte die Qualität deutlich steigen. Aber ich gebe zu: Das ist leider nicht immer der Fall. Gerade im kostengünstigen Wohnbau, wo man einer großen Zahl an Gesetzen, Vorschriften und technischen Anforderungen gerecht werden muss, mangelt es oft an finanziellen Ressourcen, um gute, hochwertige Neubauten zu errichten.
Passiert Ihnen das auch?
Hora Ich hoffe nicht! Wir haben das Glück, dass wir in der Regel mit sehr kompetenten Bauherren zu tun haben, die um die Wichtigkeit von Architektur und Baukultur Bescheid wissen.
Jelitzka Gerade im Altbau lauern manchmal große Überraschungen: morsche Dippelbäume, kaputte Steigleitungen, Badewannen, die vom letzten Stock bis ins Erdgeschoß durchkrachen – alles schon erlebt! Die Sanierung eines Zinshauses kann ein Abenteuer sein.
Hora Aber es passieren auch gute Dinge! Einmal haben wir hinter einer Deckenverkleidung plötzlich 20 alte, zwischengelagerte Altbautüren in einem einwandfreien Zustand entdeckt. Großartig!
Frau Krammer, gemeinsam mit ihrer Partnerin Margarethe Szeless betreiben Sie die Agentur wesearch und sind dabei auf History Marketing spezialisiert. Was heißt das?
Krammer Wir suchen, forschen und recherchieren, und zwar nicht nur im Gebäude selbst, sondern auch in der Geschichte. Wir sind auf der Baupolizei, heben alte Bauakte heraus, wir suchen in Archiven, Grundbüchern, Bezirksmuseen, historischen Adressbüchern, in der Österreichischen Nationalbibliothek, in diversen Nachlässen, und so weiter. Meist machen wir dies im Auftrag von Bauträgern und Immobilienentwickler:innen, wir arbeiten aber auch für Privatpersonen.
Was kommt dabei heraus?
Krammer Viele spannende Details! Beispielsweise wissen nur die Wenigsten, dass in gründerzeitlichen Häusern nicht nur die Wohnungen, sondern auch die Gänge selbst polychrom, also sehr bunt ausgemalt waren. Und doppelflügelige Türen waren meist unlackiert oder dunkel gebeizt.
Hora Das haben wir auch bei unseren Projekten immer wieder gesehen. In exklusiven Innenstadtpalais ist es durchaus vorgekommen, dass Fenster und Türen weiß lackiert waren, wie wir das heute kennen. In der Regel war das aber nicht der Fall.
Jelitzka Das mit den Wänden und Decken wusste ich. Das mit den Türen ist mir neu!
Krammer Weiße Wände und weiße doppelflügelige Türen sind nicht das Produkt der Gründerzeit, sondern vor allem ein Produkt des heutigen Immobilienmarkts.
Frage an den Immobilienmenschen: Könnten Sie sich vorstellen, ein saniertes Zinshaus mit bunten Decken und braunen oder unlackierten Türen zu übergeben?
Jelitzka Das wäre aus heutiger Sicht in der Tat sehr ungewöhnlich, denn wir haben uns an ein ganz bestimmtes, tradiertes Bild gewöhnt. Aber ich denke, wenn man das geschichtlich argumentieren kann, dann wären die Leute dafür durchaus aufgeschlossen.
Was haben Sie im Zuge Ihrer Gebäudeforschung sonst noch ans Tageslicht gefördert?
Krammer Es findet sich fast in jedem Haus irgendeine Überraschung. Häufig waren es damals auch Frauen, die ein Zinshaus beim Architekten in Auftrag gegeben haben – ein spannendes gesellschaftliches Detail, das noch viel zu wenig erforscht ist! Man erfährt, welche prominenten Persönlichkeiten an einem Ort gelebt haben. Man erfährt, wie ein historisches Zinshaus im nationalsozialistischen Regime genutzt wurde. Und man erfährt beispielsweise, dass sich in den Räumlichkeiten eines Zinshauses in Wien-Neubau eine der größten Straußenfedernfabriken Europas befunden hat – mit riesigen Farbbecken im Keller.
Herr Hora, Herr Jelitzka, haben Sie mit wesearch oder einer anderen Forschungsinstitution dieser Art schon mal zusammengearbeitet?
Jelitzka Nein, noch nicht, und das ist ein Fehler!
Hora Ich finde diese Art der Gebäudeforschung faszinierend. Das würde mich sehr interessieren! Ich denke, die Geschichte eines Hauses zu kennen, hebt ja auch den ideellen und monetären Wert einer Immobilie. Außerdem wissen wir aus Erfahrung: Wer sich mit einem Gebäude identifizieren kann, der gibt auch besser acht darauf und verhindert auf diese Weise Verschmutzung und Vandalismus.
Krammer Ich sage Ihnen: Ich kann in Wien kaum noch an einem Zinshaus oder einer Baulücke vorbeilaufen, ohne dass mein Forscherinnenhirn gleich zu rattern beginnt. Das ist Fluch und Segen zugleich!
Ein Ausblick in die Zukunft: Welche Zinshaus-Trends sehen Sie auf uns zukommen?
Jelitzka Das Zinshaus ist ein architektonischer Klassiker, der heute so nicht mehr gebaut werden kann, und wird daher immer rarer, immer seltener. Ich bin daher überzeugt, dass die Attraktivität weiterhin steigen wird. Ich mache heute schon die Beobachtung, dass Zinshäuser seltener gekauft und gleich weiterverkauft werden, sondern stattdessen eher länger im Portfolio gehalten werden.
Hora Zinshaus-Sanierung ist per se eine sehr klassische, traditionelle Bauaufgabe. Ich würde mir auf diesem Gebiet etwas mehr Innovation wünschen. Auch im Umgang mit der Erdgeschoßzone – was etwa Geschäftslokale und tote Garageneinfahrten betrifft – braucht es dringend neue Konzepte.
Von welchem Zinshaus träumen Sie?
Jelitzka Wir haben ein Zinshaus in San Sebastian, das wir nun zu einem Boutique-Hotel mit 20 exklusiven Zimmern ausbauen werden. Jeden Tag Blick aufs Meer und gutes Essen, das ist mein Traum.
Hora Ich wünsche mir ein Zinshaus mit
großen, attraktiven öffentlichen Zonen, wo man mit Nachbarn ins Gespräch kommen kann. So wie früher an der Bassena.
Krammer Ich wünsche mir ein modulares, flexibel anpassbares Zinshaus mitten in der Stadt – und das zu leistbaren Preisen!

Der Gestalter: Architekt Daniel Hora hat eine Liebe fürs Detail. Oft sind es die kleinen Dinge, die den Charme und die Atmosphäre eines Zinshauses ausmachen. Und sie helfen dabei, die Identifizierung mit dem Wohnhaus zu steigern und Verschmutzung und Vandalismus zu verhindern. megatabs.com
(c) Johannes KernmayerDIE GESPRÄCHSPARTNER:INNEN
Daniel Hora (46) studierte Architektur und Bauingenieurwesen an der TU Wien. 2003 gründete er sein Büro Megatabs Architekten in Wien. Das Büro ist u. a. auf Interior Design, öffentliche Neubauten sowie auf Sanierung und Refurbishments von Altbauten spezialisiert. 2022 plante er für JP Immobilien das Boutique-Hotel »Josefine« in Wien-Mariahilf. megatabs.com
Daniel Jelitzka (54) studierte Jus und Immobilienökonomie. 1996 gründete er gemeinsam mit seinem Partner Reza Akhavan das Unternehmen JP Immobilien, das auf die Bereiche Maklerei, Bauträgergeschäft, Zinshaus-Investment und Hospitality spezialisiert ist. Zuletzt baute er das ehemaligen Gewerbehaus der WKO zum »Hoxton Hotel« um. Eröffnung war am 1. April 2024. jpi.at
Marion Krammer (43) studierte Russisch, Kunstgeschichte und Kommunikations-wissenschaften. 2013 gründete sie mit Margarethe Szeless die wesearch Agentur für Geschichte und Kommunikation, spezialisiert auf History Marketing im Immobilienbereich. Zuletzt erschien im Residenz Verlag »Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole«. wesearch-agentur.at