LIVING Salon-Gespräch: Wie können wir die Stadt begrünen?
Wir stecken mitten in der Klimakrise und stehen nun vor der Herausforderung, die bestehenden Städte in grüne Lungen umzubauen. Doch wie können wir nachträglich innovative Flora schaffen? Und was genau bringt das? Darüber sprechen Architekt Thomas Weber, Bauträger Hans Jörg Ulreich und die Wiener Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer.
LIVING Haben Sie eine persönliche Lieblingspflanze?
Hans Jörg Ulreich: Ja, und zwar Veitschi und Glyzinien. Die wachsen sehr schnell. Und ich mag’s, wenn die Dinge Tempo kriegen.
Thomas Weber Mein Lieblingsbaum ist der Orangenbaum. Der Duft, wenn er blüht, ist großartig!
Anna Detzlhofer Das Repertoire ist riesig! Ich mag Seidenbäume. Doch ich merke, dass ich eine zunehmende Liebe zu Rosen hege, vor allem zu duftenden wilden Kletterrosen.
Was war denn das schönste, spannendste, innovativste Stück Grün, das Sie in einer Stadt je gesehen haben?
Ulreich Die Highline in New York.
Weber Ich mag den Parc de la Villette von Bernard Tschumi in Paris, mit all seinen Skulpturen und diesem Ineinandergreifen zwischen Kunst und städtischer Natur.
Detzlhofer Mich hat der MFO-Park in Zürich-Oerlikon zutiefst beeindruckt. Eine grüne, haushohe Stadtpergola auf dem Areal einer ehemaligen Maschinenfabrik, die auch als grüne Oper bezeichnet wird. Ein Erlebnis!
Ulreich Mir ist noch was eingefallen, und zwar das Musée du Quai Branly in Paris, wo Patrick Blanc eine riesige begrünte Fassade
installiert hat. Ich war echt baff.
»Aus stadtplanerischer Sicht müsste man die Dächer von Lager- und Logistikhallen begrünen. Da sprechen wir von Millionen Quadratmetern!«, Thomas Weber, Partner bei Schenker Salvi Weber Architekten
Seit wann gibt es denn städtisches Grün, mal abgesehen von feudalen und klerikalen Schloss- und Klostergärten?
Detzlhofer Die Anfänge liegen in der Gründerzeit und im zunehmenden Erstarken einer bürgerlichen Gesellschaft, also rund um 1870. Die ersten großen, öffentlich zugänglichen Parkanlagen Wiens waren der Stadtpark, der Volksgarten und der Türkenschanzpark im Währinger Cottage.
Ulreich Die größten Motoren für öffentliche Parkanlagen waren doch Krankheiten und Epidemien wie Cholera oder Spanische Grippe, oder?
Detzlhofer Auf solche Umstände wurde in der Geschichte immer wieder reagiert. Camillo Sitte bezeichnete dies auch als das »sanitäre Grün«.
Weber Ich finde es spannend, dass Sie beide sich schon intensiv darüber unterhalten, und ich merke, dass man im Architekturstudium zu diesem Thema sehr wenig lernt. Ja, manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass sich Architekten davor bewusst verschließen.
Inwiefern?
Weber Wir in Mitteleuropa haben nie wirklich gelernt, mit der Natur und rund um die Natur zu bauen, schon gar nicht im städtischen Raum. Sie haben die Gründerzeit angesprochen, Frau Detzlhofer, und ich stelle fest, dass die Architekten nicht einmal 50, 60, 70 Jahre später noch offen waren dafür. Im Bauhaus, in der gesamten Moderne hat man alles Mögliche unternommen, um das Grün auszuklammern und auszusperren. Le Corbusier, Mies van der Rohe und viele andere haben sich um eine maximal mögliche Distanz zur Natur bemüht. Eine große Ausnahme ist vielleicht Frank Lloyd Wrights berühmtes »Falling Water«. Doch ansonsten war Grün den Architekten immer suspekt.
Ist das heute anders?
Weber Bis in die 80er-, 90er-Jahre hat sich daran im Wesentlichen nichts verändert.
Ulreich Auch in der Immobilienwirtschaft hat man Grün stets ausgeklammert. Das Grün war der Feind! Erde, Schmutz, Insekten, Feuchtigkeit, Nistplätze für Vögel, hoher Pflegebedarf, teuer, schwer zu kontrollieren, macht die Fassaden kaputt. Dieses Narrativ hat sich jahrzehntelang gehalten.
Weber Mit der Klimadebatte hat sich das total verändert. Seit den 1990er- und 2000er-Jahren hält Grün mehr und mehr Einzug in die Stadt – und damit auch in Wohngebäude, Kulturbauten, Büroarchitektur und in infrastrukturelle Bauten aller Art.
Gibt es irgendwelche Städte, Länder, Kulturräume, die im Bereich urbanen Grüns die Nase vorn haben?
Detzlhofer Ein absoluter Pionier auf diesem Gebiet ist Berlin, und hier vor allem Westberlin in den Jahrzehnten der Trennung. Nachdem die Stadt rundherum von der Berliner Mauer und vom Eisernen Vorhang eingekesselt war, haben sich die Stadtplaner und Architektinnen hier schon von Anfang an bemüht, jeden Quadratmeter zu nutzen und Straßen, Innenhöfe, Balkone, Dächer und Restflächen aller Art zu begrünen. Eine innovative Grünplanung in Westberlin war überlebenswichtig.
Sie haben ja selbst einmal in Berlin gearbeitet.
Detzlhofer Ja, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer bin ich für ein halbes Jahr nach Berlin gezogen. Im Zusammenwachsen der beiden Stadthälften, im Wiederentdecken verloren geglaubter Flächenressourcen gab es für uns Landschaftsarchitekt:innen jede Menge Arbeit. Es war eine tolle Zeit!
Ich würde mit Ihnen gerne mal durchdeklinieren, welche klassischen, altbewährten Methoden städtischen Grüns es gibt. Womit fangen wir an?
Weber Auf städtebaulicher Ebene sind das auf jeden Fall mal Alleen, grüne Plätze, Parkanlagen sowie Wald- und Wiesengürtel, wie es sie in vielen Städten gibt.
Detzlhofer Balkone, Terrassen, Dachterrassen, begrünte Innenhöfe, aber natürlich auch grüne Fassaden, die es schon seit vielen Jahrhunderten gibt.
Ulreich Veitschi! Ich sag’s ja!
Seit wann gibt es Baumpflanzungen auf der Straße?
Detzlhofer Die gab es auch nicht immer. Die größte und wohl berühmteste Baumoffensive in Österreich war die Anlegung der Wiener Ringstraße. Damit wären wir schon wieder bei der Gründerzeit.
Weber Was mir noch einfällt, sind große, zusammenhängende, grundstücksübergreifende Innenhöfe, wie zum Beispiel das Planquadrat im vierten Bezirk.
Ulreich Das ist eine tolle Idee, aber leider fast nicht wiederholbar. Ich habe in meinen Projekten immer wieder versucht, Innenhöfe zusammenzulegen und stattdessen schöne, zusammenhängende Grünräume anzulegen. Aber bislang bin ich immer daran gescheitert. Der Wiener mauert sich lieber ein, anstatt über den Tellerrand zu blicken.
Wie schaut es im Bereich innovativer Begrünungen aus? Welche Projekte und Methoden fallen Ihnen da ein?
Ulreich In Düsseldorf hat Architekt Christoph Ingenhoven mitten in der Stadt ein ganzes Haus mit insgesamt acht Kilometern Hainbuchenhecken bepflanzt, und zwar an den schrägen und ebenen Dachflächen. Es geht!
Detzlhofer Das erste innovative, radikal anders gedachte Begrünungsmodell, an das wir uns in Wien längst gewöhnt haben, und dessen politische und technische Entstehungsgeschichte wir fast schon vergessen haben, ist die Donauinsel. Unglaublich, was für technische, ökologische und auch soziale Qualitäten hier geschaffen wurden!
Ulreich Ich bin ehrlich gesagt stolz auf meine Fassadenbegrünungen. Zu einer Zeit, als das noch niemand gemacht hat in Wien, haben wir bereits zwei, drei Projekte an der Fassade begrünt – mit Pflanztrögen, gespannten Kletterseilen und automatischer Bewässerung.
In Amsterdam beispielsweise dürfen Hauseigentümer, wenn die räumliche Situation das zulässt, 30 Zentimeter des Gehsteigs nutzen, um entlang des Hauses Begrünungen vorzunehmen. Geht das auch in Wien?
Ulreich Das wäre schön! Aber nein, leider nicht. Zehn Zentimeter würden schon reichen!
Weber Das heißt, Sie sind nach wie vor darauf angewiesen, Pflanzentröge zu bauen und diese an die Fassade zu montieren?
Ulreich Nicht unbedingt! Unser Geheimnis lautet Kellerfenster.
Weber Kellerfenster?
Ulreich Ja. In einem Pilotprojekt haben wir die Fassadenpflanzen direkt aus dem Kellerfenster rauswachsen lassen. Im Kellergeschoß, gleich hinter der Fassade, haben wir einen Substratkoffer installiert, mit automatischer Bewässerung. Und sobald die Blätter hinausragen, können sie an der Fassade Photosynthese betreiben.
Wie offen sind Ihre Bauherren denn für innovative Grünkonzepte?
Weber Im Fall des Museum Belvedere war dies ein Wettbewerb, und wir haben unter anderem genau deswegen gewonnen. Ansonsten kann ich sagen: In der Privatwirtschaft gibt es immer noch gewisse Ängste und Vorbehalte, da hat sich das Thema noch nicht ganz etablieren können. Anders sieht es im gemeinnützigen Wohnbau aus, wo die Ökologie eine der vier Säulen der Nachhaltigkeit ist. Die Wohnbauträger sind engagiert, extrem bemüht, aber dennoch passiert es immer wieder, dass man auf ein Minimum zusammengestutzt wird. Der Kostendruck im Wohnbau ist enorm, und wenn man am Ende irgendwo Einsparungen vornehmen muss, dann passiert dies meist beim Grün.
Ulreich Nicht immer! Man wird in unserem Portfolio kein einziges Projekt ohne Grün finden. Wir haben sogar schon Schrägdächer begrünt, und das mitten in der dicht bebauten Stadt. Außerdem planen wir in unseren Projekten – wie auch viele gemeinnützige Bauträger – immer öfter Urban-Gardening-Flächen ein.
»Das erste innovative, radikal anders gedachte Begrünungsmodell in Wien war die Donauinsel. Unglaublich, was für Qualitäten hier geschaffen wurden!«, Anna Detzlhofer, Gründerin von DND Landschaftsplanung
Frau Detzlhofer, letztes Jahr haben Sie mit Ihrem Büro auf dem Dach einer Logistikhalle im Linzer Hafen einen öffentlichen Dachpark angelegt. Ist das ein gangbarer Weg für die Stadt?
Detzlhofer Selbstverständlich! Es braucht eine gute, detaillierte und auch sehr intensive Planung mit allen Beteiligten, denn die technischen und auch rechtlichen Schnittstellen sind enorm. Es war ein wunderschönes Projekt. Seit Herbst 2023 ist der Hafenpark täglich von acht Uhr früh bis zum Einbruch der Dunkelheit besuchbar.
Weber Aus stadtplanerischer Sicht ist das ein tolles Projekt, denn die Begrünung von Dach- und Fassadenflächen, wie Sie das machen, Herr Ulreich, ist wichtig und absolut begrüßenswert, aber die wirklich großen Potenziale findet man am Stadtrand, auf den riesigen Dächern von Lager- und Logistikhallen. Da sprechen wir von Millionen Quadratmetern!
Ulreich Das stimmt. Es gäbe im Bestand noch so viel zu begrünen. Wenn da nur die Rahmenbedingungen passen würden! Der Hafenpark jedenfalls ist ein wirklich beeindruckendes Projekt.
Detzlhofer Dankeschön! Gleichzeitig aber erinnere ich mich, dass die Stadt Linz mehr als ein Jahr lang mit ihren Abteilungen verhandelt hat, bis klar war, wer den Hafenpark pflegt. Alles nicht so einfach!
Eine Frage zum Output: Was bringt städtisches Grün am Ende?
Weber Sozialen Zusammenhalt. Die Leute treffen sich, gießen, pflanzen an und ernten.
Ulreich Abkühlung. In unseren grünen Innenhöfen ist die Temperatur nach der Begrünung um zwei bis drei Grad kühler, die gefühlte Temperatur sogar um bis zu zehn Grad geringer. Das ist schon was!
Detzlhofer Und natürlich ist Grün auch ein wichtiger CO2-Speicher und Lebensraum für Tiere. Nicht zu vergessen, dass Grün Regenwasser zurückhält und auf diese Weise die städtische Kanalisation entlastet. Grün ist also auch ein volkswirtschaftlicher Gewinn.
Keine Stadt also ohne urbane Grünkonzepte mehr?
Weber Das sollte schon längst eine Selbstverständlichkeit sein.
Ulreich Es ist aber auch harte Arbeit.
Detzlhofer Harte Arbeit, die sich auszahlt. Erst kürzlich haben Forscher:innen berechnet, dass die Folgeschäden der Klimakrise, wenn wir nichts unternehmen, eines Tages sechsmal höher sein werden als eine prophylaktische Klimaplanung, in die wir heute investieren.
Zum Abschluss: Sie spazieren durch Wien im Jahr 2050. Welches grüne Highlight sticht Ihnen sofort ins Auge?
Weber Ich nehme mit Freude wahr, dass der Wienfluss endlich ein grüner Dschungel geworden ist.
Detzlhofer Es gibt keinen Asphalt und keinen Beton mehr in den Parks. Alle Gehwege sind entsiegelt.
Ulreich Und an den Fassaden ist das dicht verbaute, gründerzeitliche Wien vom Gehsteig hinauf komplett begrünt.