Mit dem Schlagwort „seltsamer Realismus“ würde die Dramaturgin Helena Eckert die Arbeiten ihrer Freundin und Kollegin Anta Helena Recke beschreiben. Fragt man die in München geborene Regisseurin selbst, ob es einen roten Faden gibt, der sich durch ihre Inszenierungen zieht, sieht sie das ein wenig anders: „Für mich ist das schwierig zu beantworten, weil ich eigentlich das Gefühl habe, dass es diese Verbindungen gar nicht gibt. Doch vielleicht besteht dieser rote Faden genau darin, dass ich formal und inhaltlich immer wieder etwas Neues ausprobiere.“

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Ein Ansatz, der ihr in künstlerischer Hinsicht zwar sehr gefällt, der gleichzeitig aber auch sehr herausfordernd sein kann. „Wenn man immer wieder neue Methoden erfindet und dadurch eher experimentell und fragil unterwegs ist, kostet das auch viel Energie.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu, dass ich ein paar Dinge dennoch durchziehen. „Theoretische Gedanken aus der Vogelperspektive“ zum Beispiel. Und Überlegungen zu Normativität und Wahrnehmung, die stets Teil ihrer Inszenierungen sind und mit denen sie bestehende Machtdiskurse auf den Kopf stellt.

Falilou Seck, Tim Freudensprung, Abak Safaei-Rad, Shari Asha Crosson, Ariane Andereggen, Moses Leo, Hanh Mai Thi Tran in „1000 Serpentinen Angst".

Foto: Ute Langkafel

„1000 Serpentinen Angst"

So auch in ihrer Bühnen-Adaption von Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“, der im März 2020 erschienen ist und sich fast episodenartig rund um die Themen Herkunft, Verlust, Lebensfreude und Einsamkeit entspinnt. Ein paar Wochen vor dem offiziellen Erscheinungstermin des Romans bekam Anta Helena Recke, die gerade auf der Suche nach einem Stoff war, die Fahnen von der Autorin. „Ich hatte im Hinterkopf, dass sie gerade etwas schreibt“, erzählt die Regisseurin. An der Inszenierung selbst war Olivia Wenzel nicht beteiligt, schaute sich aber einmal eine Probe an.

Reizvoll fand Anta Helena Recke an der Bühnenbearbeitung von „1000 Serpentinen Angst“ unter anderem die über weite Strecken dialogische Struktur des Textes. „Ich dachte anfangs, dass es aufgrund der vielen Dialoge einfach sein könnte, einen Bühnentext daraus zu machen. Dieser Gedanke hat sich jedoch ein wenig als Trugschluss herausgestellt“, sagt die Regisseurin im Zoom-Interview. Außerdem wollte sie, wie sie lachend hinzufügt, die Uraufführung des Romans auch deshalb machen, „damit es niemand anderer macht und ich das dann sehe und mich ärgere“.

Auf Augenhöhe

Eine der größten Herausforderungen bestand für die 32-Jährige darin, die einzelnen Teile des Romans so auszuwählen, dass den Zuseher*innen genug Infos mitgegeben werden, damit sie die Ideen, die transportiert werden, auch verstehen, man aber trotzdem kurzlebig bleibt. „Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass der Roman zirkulär geschrieben ist, viele Dinge isoliert also gar nicht so eine große Bedeutung entfalten, aber dadurch, dass sie an anderen Stellen nochmals aufgegriffen werden, reichhaltig und motivisch werden“, fasst Anta Helena Recke zusammen. Mit einer ungefähr 60-seitigen Fassung kam Anta Helena Recke in die Probenarbeit, die aber eher als Ausgangsmaterial gedacht war. „Gemeinsam mit dem Ensemble haben wir vor allem im ersten Teil noch an der Fassung gearbeitet, vieles nochmals neu montiert.“

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In der Zusammenarbeit ist Anta Helena Recke vor allem Augenhöhe sehr wichtig. „Ich mag es überhaupt nicht, wenn sich Leute unter oder über mich stellen, weil es mich in ein Verhältnis zwingt, das keine Augenhöhe hat. Damit fühle ich mich unwohl.“ Deshalb wünscht sie sich von der gemeinsamen Arbeit, dass alle Dinge auf freiwilliger Basis passieren und niemand dabei ist, der von der Theaterleitung dazu überredet wurde. „Die Leute sollten sich selbstständig dazu entscheiden, da zu sein. Auch wenn es Herausforderungen zu bewältigen gilt, kann das sehr hilfreich sein. Ich möchte niemanden motivieren oder gar disziplinieren müssen“, führt sie ihre Überlegungen weiter aus.

Shari Asha Crosson in „1000 Serpentinen Angst" am Maxim Gorki Theater.

Foto: Ute Langkafel

Schwarzkopie

Im Alter von neun Jahren hat Anta Helena Recke mit dem Theaterspielen begonnen und das, bevor sich sich anderen Dingen zuwandte, ihre ganze Kindheit über gemacht. Danach schien sich bei ihr alles in Richtung Recht bzw. Menschenrechte zu entwickeln und sie dachte darüber nach, in die Politik zu gehen. „Nach und nach bin ich jedoch vom Glauben abgefallen und habe diesen Weg deshalb für mich ausgeschlossen. Ein wenig später stand eine Musikkarriere im Raum, was ich dann aber auch wieder verworfen habe, weil ich mich auf der Bühne eigentlich nicht so wohlfühle. Über eine logische Erörterung mit mir selbst bin ich wieder zum Theater zurückgekommen“, erinnert sie sich. Eine Entscheidung, die sich unter anderem deshalb als gut erwies, weil sich auf diese Weise Literatur, Kunst, Musik und Politik gut zusammenführen lassen. Nachdem der Weg klar war, studierte Anta Helena Recke Szenische Künste an der Universität Hildesheim.

Sie war unter anderem Hospitantin am HAU und von 2015 bis 2017 Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen, wo sie 2018 mit ihrer Inszenierung „Mittelreich“ für Aufsehen sorgte. Das Stück, eine „Schwarzkopie“ von Anna-Sophie Mahlers Inszenierung des gleichnamigen Romans von Josef Bierbichler, wurde zum Festival Radikal Jung und zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Der wichtige Unterschied zu Mahlers Inszenierung: In Reckes Kopie sind alle Spieler*innen Schwarz. Ihre Produktion „Die Kränkungen der Menschheit“ (eine Koproduktion des Hebbel am Ufer Berlin, der Münchner Kammerspiele, Mousonturm FFM und Kampnagel) wurde ebenfalls zum Theatertreffen eingeladen. Gerade entwickelt sie am Schauspiel Köln das Stück „Svenja“, eine visuelle Recherche zu weißer Weiblichkeit und Familiendynamiken im Kontext von White Supremacy und kultureller Aneignung. Neben ihren eigenen Theaterarbeiten ist Anta Helena Recke auch als Dramaturgin in andere Projekte involviert und Mitbegründerin des Deutschen Museums für Schwarze Unterhaltung und Black Music.

Zur Person: Anta Helena Recke

Ihre Stücke „Mittelreich" und „Kränkungen der Menschheit" wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2020 erhielt sie mit dem Tabori-Preis die deutschlandweit höchstdotierte Auszeichnung für die Freien Darstellenden Künste. 

Infos zu „1000 Serpentinen Angst" am Maxim Gorki Theater und zu „Svenja" am Schauspiel Köln.